Cristiano Ronaldo ist vieles. Eigenwillig, egozentrisch, perfektionistisch. Der neben Lionel Messi bis heute noch größte aktuelle Star des Weltfußballs ist aber vorbildhaft, lernfähig und mannschaftsdienlich. Und vor allem deshalb, weil er in seiner reiferen Phase gerade letztere Eigenschaften immer häufiger zeigt, fehlt der WM in Russland nun etwas. Was bleibt, sind seine Routinen und Automatismen bei Standardsituationen. Denn diese haben viele andere Spieler aus aller Welt längst für sich auf ihre ganz individuelle Art und Weise adaptiert. Wir beschreiben genau wie und zeigen auf, wie dies jeder andere Spielsportler auch tun kann. Und dann schauen wir ins Archiv und stellen fest, dass der Volksheld aus Portugal in wenigen Jahren einen immensen Wandel vorangetrieben hat.
Dr. Fabio Richlan (zum Profil): Cristiano Ronaldo – der Meister der Routine (Bewegungsablauf beim Freistoß)
Ball nehmen – auflegen – Hose richten – 5 Schritte nach hinten – zwei Schritte zur Seite – Körperhaltung einnehmen – durchatmen – durchziehen.
So sieht der von außen beobachtbare Anteil von Cristiano Ronaldos “pre-performance routine” bei einem Freistoß aus. Diese Routine hilft ihm dabei – unabhängig vom Kontext, egal ob Training oder WM-Spiel, egal ob 1. oder 90. Minute – stabil seine Leistung in dieser Standardsituation abzurufen. Durch die immer gleich ablaufende Routine “entkoppelt” er sich gewissermaßen von den äußeren Bedingungen, welche nicht seiner Kontrolle unterliegen und kann sich stattdessen auf die bevorstehende Aufgabe und seine Handlung konzentrieren.
Lohnende Investition in Zeit
Neben einem fixen Bewegungsablauf ist es entscheidend, dass die Routine auch einen mentalen Anteil beinhaltet. Diesen mentalen Anteil an CR7s Freistoß-Routine können wir zwar leider nicht direkt beobachten (nur seine Auswirkungen), aber wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass ein solcher mentaler Anteil existiert. Der Mann weiß ganz genau, welchen Gedanken er vor der Ausführung haben möchte, welches Gefühl, welches Bild, welches Selbstgespräch, welche Einstellung, welchen Fokus und welchen Aktivierungszustand. Um dies zu erreichen, hat er viel Zeit und Arbeit in die Entwicklung seiner persönlichen Routine investiert. Es ist eine Investition, die sich letztendlich bezahlt macht.
Folgende Punkte sind in Bezug auf die Entwicklung einer persönlichen Routine wesentlich:
- Die Routine muss sowohl Verhalten, als auch Gedanken beinhalten
- Die Gedanken müssen kurz, einfach und positiv sein
- Die Routine muss individuell und aufgabenspezifisch sein
- Die Routine muss immer gleich ablaufen; alle Schritte müssen auch im Training geübt werden
- Die Routine muss sich auf Dinge beziehen, welche der eigenen Kontrolle unterliegen: Gedanken – Gefühle – Körper – Verhalten
- Die Routine nutzt verschiedene Techniken des Mentaltrainings: Visualisierung, positive Selbstgespräche, Atemtechniken, Körpersprache, usw.
Johanna Constantini (zum Profil): Wie lassen sich Routinen, z.B. bei einem Eckball üben?
Mittlerweile sind selbst in der Fußball-Bundesliga und natürlich auch bei der Weltmeisterschaft Handlungsroutinen bei Eckbällen zu beobachten. Diese CR7-Moves in light laufen dann meist in Form von kurzen Trippelschritten ab, die vor der Ausführung des Eckballs vorgeschalten werden. Aber gehen wir der Sache mal konkret nach: Wie lassen sich Routinen – zum Beispiel beim Eckball – üben?
Indem entsprechende Bewegungsabfolgen mental trainiert werden. Dafür bietet sich die sportpsychologische Technik der Bewegungsvorstellung an. Anfangs sollte die einzuübende Routine von dem Athleten in eigenen Worten ausformuliert werden. Es empfiehlt sich, dies auch niederschreiben zu lassen. In weiterer Folge werden die für den Bewegungsablauf entscheidenden Knotenpunkte markiert, um die ausführliche Bewegungsbeschreibung um genau jene Signalwörter kürzen zu können. Während der Athlet im nächsten Schritt die Knotenpunkte in der Reihenfolge des tatsächlichen Bewegungsablaufs laut vorsagt, kann er sich einen Rhythmus dazu überlegen.
Wichtig: Mentale Vorstellung macht dann Sinn, wenn die dafür benötigte Zeit der Dauer der tatsächlichen Ausführung dieser trainierten Routine entspricht (Guillot,A. & Collet C., 2005)
Quelle: Guillot,A. & Collet C.Duration of Mentally Simulated Movement: A Review (2005) Journal of Motor Behavior, Vol. 37, No. 1, 10-20
Prof. Dr. Oliver Stoll (zum Profil): Zum Perfektionismus von CR7
Vor vier Jahren war Cristiano Ronaldo schon einmal ein großes Thema für uns. Natürlich war schon damals, also zur Fußball-WM 2014 in Brasilien, klar, dass er ein wirklich Großer der Weltfußballs ist. Wie groß er wirklich ist, hat er aber allen voran in den vergangenen vier Jahren gezeigt. Aus dem hochnäsigen, arroganten und selbstverliebten Perfektionisten ist ein in besonderen Grenzen mannschaftsdienlicher Spieler geworden, der seine Stärken für den Mannschaftserfolg investiert und zumindest im Ansatz seine Gegner respektiert – wie er Edinson Cavani nach dessen Verletzung zur Außenlinie begleitete, dies war schon feinste Zivildienstschule.
Ganz ehrlich: Ronaldo, der in Portugal vor allem deshalb verehrt wird, weil er Hoffnung macht, hat in den vergangenen Jahren an sportlicher und menschlicher Größe gewonnen. Selbst sein Firlefanz rund um die Freistöße können wir aus sportpsychologischer Sicht so eintüten, dass er allen anderen Kickern der Erde verdeutlicht hat, wie wertvoll Automatismen und Routinen sein können. Vielleicht hat er nun im Herbst seiner Karriere auch bewiesen, dass er seinen Perfektionismus zu beherrschen gelernt hat. Wir erinnern an dieser Stelle an den Text von Prof. Dr. Oliver Stoll aus dem Jahr 2014 und hauchen leise “adeus”:
Prof. Dr. Oliver Stoll: Cristiano Ronaldo – Gefangen im Perfektionismus?
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