Nils Petersen gehört neben Bernd Leno, Jonathan Tah und Leroy Sane zu den vier Nationalspielern, die aus dem Aufgebot der Fußball-Nationalmannschaft gestrichen worden sind. Für viele Fans war der Freiburger ein Sympathieträger, nicht wenige hätten den im Harz geborenen Stürmer gern mit dem Adler auf der Brust in Russland auflaufen sehen. Zu seinen großen Unterstützern und Förderern zählt auch Nils Vater, Andreas Petersen, selbst langjähriger Trainer. Er warnte aber schon nach der überraschenden Nominierung seines Sohnes für den vorläufigen WM-Kader im MDR-Fernsehen: „Nils sollte im Trainingslager nicht zu zaghaft sein und an sich glauben“.
Zum Thema: Wie die Leistung abrufen, wenn es darauf ankommt?
Zu einem bestimmten Zeitpunkt die Leistung abzurufen, also wirklich bestmöglich zu performen, wenn es darauf ankommt, bereitet vielen Sportlern Schwierigkeiten. Neben dem Talent, der technisch-taktischen Ausbildung und der Kondition als eher grundlegende Voraussetzungen besteht gerade bei Drucksituationen häufig die Frage, ob die Sportlerinnen bzw. Sportler in einer geforderten Leistungssituation ihre Bestleistung abrufen können? Jetzt kommt die gute Nachricht: Darauf kann man sich vorbereiten!
In diesem Zusammenhang möchte euch einige Anregungen anbieten. Eine sportliche, private und berufliche Spitzenleistung hängt von drei Faktoren ab: der biologischen Voraussetzung, den Umgebungsbedingungen und den Soft Skills. Um Höchstleistungen zu bringen, müssen sich alle drei Bereiche gegenseitig unterstützen. Der Faktor „Soft Skills“ wird häufig unterschätzt. Denn meiner Meinung nach spielt genau dieser Bereich die alles entscheidende Rolle, um gut zu sein, wenn es gefordert wird. Es lohnt sich also, das Mentale Training näher zu betrachten.
Bedingungen, die Wettkampfsituationen kennzeichnen
Zwischen sportlichem Wettkampf, privaten und beruflichen Drucksituationen gibt es zahlreiche Verbindungen. Nach Eberspächer (2012) gibt es verschiedene Bedingungen, die eine typische Wettkampfsituation kennzeichnen:
- eine hohe zeitliche Belastung, die über dem täglichen Standard liegt
- die Ungewissheit des Ergebnisses
- die unmittelbare Leistungsfähigkeit ohne die Möglichkeit, seine Handlung zu wiederholen
- und die daraus entstanden Konsequenzen des Ergebnisses
Jeder, der eine solche Situation bereits erlebt hat, weiß, dass die physische und psychische Beanspruchung ansteigt. Doch wie bewältigt man Drucksituationen? Durch eine lösungsorientierte Vorgehensweise, Selbstorganisation und einserne Disziplin.
Ein kleines Experiment
Stellen Sie sich vor, sie stehen im Training vor der Entscheidung, einen Elfmeter schießen zu dürfen, der nur als Übungszweck dient. Und nun stellen Sie sich vor, Sie müssten einen Elfmeter verwandeln, der über den Abstieg in die 2. Liga bestimmt…! „Wie fühlen Sie sich jetzt?“. Angespannt und denken Sie an Konsequenzen (Kuhl & Beckmann, 1987)? Wenn ja, dann spüren Sie ähnliches wie Fußballer/innen auf Topniveau.
Die Erklärung ist folgende: Die veränderte Wahrnehmung, mit einer veränderten Bewertung, führen zu physiologischen Reaktionen (Angst, Sorgen, feuchte Hände u.v.m). In beiden Fällen steht man vor dem Elfmeterpunkt. Im ersten Fall kann nicht viel passieren, auch wenn man nicht treffen würde. Im Abstiegskampf ist die Konsequenz jedoch um einiges höher. Einige Sportlerinnen bzw. Sportler denken in diesem Moment an die Konsequenzen: „Was passiert, wenn…“ Dieser Automatismus, lässt Leistung mindern. Wer jedoch etwas leisten will, der sollte sich nicht nur auf die Konsequenzen konzentrieren, sondern auf die eigenen Fähigkeiten und den gegenwärtigen Moment.
Stärken
Jeder Mensch hat Stärken und Schwächen. In meiner Beobachtung und in einzelnen Gesprächen mit Leistungskickern/innen überwiegen jedoch die Schwächen. Doch in einem erfolgreichen Leben kommt es vor allem darauf an, die eigenen Stärken zu kennen und zu nutzen. Beispiel: „Sie alle sind jetzt Fußballtrainer/in in einer bekannten Mannschaft. Was erwartet der Manager, der Verein, die Fans und Ihre Spieler bzw. Spielerinnen von einem Trainer/in? Ganz klar: Dass Sie Lösungen parat haben und dass Sie wissen, wie man erfolgreich Fußball spielt.“
Trainer bzw. Trainerinnen werden dafür bezahlt, dass sie Lösungen präsentieren statt Probleme zu diskutieren. Wer will schon eine Trainerin bzw. einen Trainer auf der Bank sitzen haben, der die Kicker im Training und Wettkampf nur beobachtet und dann nur die Schultern zuckt. Wichtig ist daher, die eigenen Kompetenzen situationsgerecht einzusetzen. Ein Experte muss seine Kompetenzen kennen, von diesen Stärken überzeugt sein und sie dann ausspielen. Das erreicht man, indem man die eigenen Fähigkeiten trainiert, entweder durch vielfaches Wiederholen oder durch mentales Training (siehe dazu http://www.die-sportpsychologen.de/2015/06/29/dr-rene-paasch-mentales-training-im-nachwuchsfussball/).
Der innere Unterstützer
Eine Technik, sich auf anspruchsvolle Aufgaben vorzubereiten, ist der Aufbau eines sogenannten „inneren Unterstützers“. Dabei geht es darum, sich von außerordentlichen Situationen (bspw. Nils Petersen im Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft und im Länderspiel gegen Österreich) eine genaue Vorstellung zu machen. Diese Vorstellungen dienen als Prüf- und Führungsgrößen. Das funktioniert im Leistungssport ähnlich wie im privaten und beruflichen Kontext. Wie der Elfmeterschütze, der den Bewegungsablauf vor dem Schuss aufs Tor noch einmal durchgeht, so sollten sich bspw. auch Chirurgen vor Beginn ihrer Operation die äußeren und inneren Umstände seiner Tätigkeit präzise bewusst machen und alle Einzelheiten durchgehen. Entscheidend ist, dass ein Schritt nach dem anderen gemacht wird. Es gibt weder wichtige noch unwichtige Schritte. Was einen Top-Spieler/in außerdem auszeichnet, ist eine absolut sachliche und emotionslose Herangehensweise. Dauerhaftte negative Emotionen erzeugen Stress und sind leistungsmindernd.
Ein weiteres Werkzeug, seine innere Welt zu programmieren, ist das Selbstgespräch (Paasch, 2015). Was im ersten Moment merkwürdig klingt, hat im Leistungssport einen besonderen Platz. Steigt die persönliche Beanspruchung durch eine Aufgabe, dann können bewusst geführte Selbstgespräche zu einer verbesserten Leistung führen. Gemeint sind jedoch nur positiv verstärkende Gespräche (siehe dazu: http://www.die-sportpsychologen.de/2016/11/09/dr-rene-paasch-beine-machen-mit-selbstgespraechen/ & http://www.die-sportpsychologen.de/2015/05/22/prof-dr-oliver-stoll-macht-der-selbstgespraeche/
Fazit
Spitzensportler/innen sind Performer des Augenblicks. Sie bringen genau zum richtigen Zeitpunkt die volle Leistung. Das Geheimnis ihres Erfolges versteckt sich hinter dem Wort „Fokussierung“. Sie konzentrieren sich auf das, was gerade wichtig ist. Dazu noch ein kleines Experiment: Jeder sollte Zuhause seinen Fernseher einschalten und sich dabei auf die Pause zwischen Aus- und Einatmen konzentrieren. Das erwartete Ergebnis lautet: Wer sich richtig auf die Atempause konzentriert, wird den Fernseher nicht mehr hören „Sozuagen die Fähigkeit schaffen, zum bewussten Hier und Jetzt. Ein Flow-Erlebnis lebt von der Fokussierung. Weder Vergangenheit noch Zukunft spielen im Moment der Handlung eine Rolle. Dieser Zustand ist sehr wichtig, denn Kopf, Bauch und Körper sollen sich gleichzeitig unterstützen. Wer diese Form beherrscht, ist auch zu Spitzenleistungen fähig.
Und jetzt noch eine Anregung zum Schluss: „Nehmen Sie sich zwei Ideen von meinem Blogbeitrag mit und setzen Sie diese zeitnah um“. Sollten Sie dazu Fragen haben, dann dürfen Sie sich gerne über die genannte E-Mail-Adresse bei mir melden. Zur Profilseite von Dr. René Paasch: http://www.die-sportpsychologen.de/rene-paasch/ Viel Erfolg und Spaß bei der Umsetzung.
Ein Wort zu Nils Petersen
Persönlich finde ich es schade, dass Petersen nicht in Russland dabei ist. Aber dafür werden Joachim Löw und sein Team ihre Gründe haben. Jedoch wäre es dem Bundestrainer sicherlich schwerer gefallen, Petersen zu Hause zu lassen, wenn dieser im Länderspiel gegen Österreich eine Mega-Leistung gebracht hätte.
Literatur
Beckmann, J. (1987): Höchstleistung als Folge missglückter Selbstregulation. In J.P. Janssen, W. Schlicht & H. Strang (Eds.), Handlungskontrolle und soziale Prozesse im Sport (S. 52-63). Köln: bps.
Eberspächer, H. (2012): Das Handbuch für Trainer und Sportler. Stiebner Verlag GmbH. ISBN 3936376034
Kuhl, J., & Beckmann, J. (1983): Handlungskontrolle und Umfang der Informationsverarbeitung: Wahl einer vereinfachten (nichtoptimalen) Entscheidungsregel zugunsten rascher Handlungsbereitschaft. Zeitschrift für Sozialpsychologie, 14, 241-250.
Paasch, R. (2015): Journal of Pedagogy and Psychology. Effect of training self-talk regulation on improving action orientation vs. state orientation and endurance performance in the area of amateur soccer Riga Teacher Training and Educational Management Academy, Latvia. 8th International scientific conference. ISBN 978-9934-503-31-3. Internet: www.rpiva.lv/pdf/8_konferences_raksti.pdf, S. 76
Internet
https://www.mdr.de/sport/video-197524_zc-a44cf87d_zs-2013e4cd.html. (Zugriff am 17.05.2018)
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