Konzentration spielt bei anspruchsvollen Trail-Abfahrten eine wesentliche Rolle. Die MountainbikerInnen, mit denen ich bisher zusammengearbeitet habe, haben sehr davon profitiert, dass wir gemeinsam die vier verschiedenen Dimensionen erarbeitet haben, in oder auf denen die eigene Aufmerksamkeit liegen kann: “außen- weit“, “außen-eng”, “innen-weit“ oder “innen-eng”. Diese Methode möchte ich hier beispielhaft näher erläutern.
Zum Thema: Mentaltraining für Mountainbiker (Teil 1)
Die Arbeit an der Aufmerksamkeitssteuerung mit Hilfe dieser schematischen Unterteilung ist eine verbreitete Methode in der Sportpsychologie – und hilft meiner Erfahrung nach gerade Mountainbikern sehr, weil sie ihren Fokus (auch im Sinne der Blickführung) während eines Trails sehr oft und – je nach Geschwindigkeit – sehr schnell wechseln müssen. Zudem gibt es sehr viele ablenkende Faktoren (Geräusche des Reifens auf dem Untergrund, Verhalten anderer Mitfahrer in der Gruppe, Selbstgespräche, steile Abhänge/Absturzgefahr auf einer Trail-Seite usw.), die zu „Verweigerung“ oder Stürzen führen können.
Das Bewusstsein zu entwickeln, wo die eigene Aufmerksamkeit tatsächlich gerade liegt, ob dieser aktuelle Fokus mir persönlich dabei hilft, diese Passage zu meistern (oder eher hinderlich ist) und zu lernen, den Fokus je nach Situation schnell und eigenständig zu wechseln – all das ist ein wesentliches Ziel des sportpsychologischen Konzentrationstrainings für Mountainbiker.
http://www.die-sportpsychologen.de/2018/05/31/mila-hanke-sportpsychologisches-mentaltraining-fuer-hobby-mountainbiker/
Mila Hanke selbst “in bike action”. Fotocredit: www.team-f8.de / Chris Tharovsky
Stirnlampen zur Veranschaulichung
Um die verschiedenen Dimensionen anschaulicher, “sinn-licher” und erlebbarer zu machen, lasse ich die Sportler im ersten Schritt Stirnlampen auf den Kopf setzen, ausprobieren und wahrnehmen: Worauf ist der Lichtkegel deines Aufmerksamkeitsscheinwerfers gerade gerichtet? Nach außen auf etwas in der Umgebung? Oder nach innen, auf deine persönliche Gefühlswelt oder deine Gedanken? Ist er weit eingestellt oder eher eng? Und wie fühlt sich dieser Fokus für dich in dieser speziellen Situation gerade an?
Gemeinsam reflektieren und notieren wir dann verschiedene persönliche “Schlüssel-Situationen” während der Auf- und Abfahrt und in eine Spalte daneben, wo genau die Aufmerksamkeit des Sportlers dabei liegt:
… auf dem Bergpanorama (außen- weit)?
… auf einem Mit-Biker (außen-eng)?
… auf der eigenen allgemeinen Gefühlslage, z.B. „müde”, „aufgedreht” (innen – weit)?
… auf den eigenen konkreten Gedanken, z.B. „Da vorne kommt eine Spitzkehre, die schaffe ich doch eh wieder nicht“ (innen – eng)?
Leistungsfördernd oder eher leistungshemmend?
In einem dritten Schritt bewertet und notiert der Sportler neben jeder Situation und der dazugehörigen Aufmerksamkeitsvariante, ob diese „Scheinwerferausrichtung“ in der betreffenden Situation für ihn leistungsfördernd oder eher leistungshemmend ist. Also ob die Ausrichtung gewechselt werden sollte – und wie der Sportler diesen Wechsel eigenständig umsetzen kann.
Zum Beispiel: Am Einstieg in einen Trail liegt die Aufmerksamkeit einer Bikerin meist auf dem Herumgeblödel oder der schlechten Laune eines anderen Gruppenmitglieds (außen – eng). Diesen Fokus beurteilt die Sportlerin als für sie persönlich negativ. Sie reflektiert selbst, dass sie den Trail sicherer meistern würde, wenn sie sich stattdessen ganz auf ihre positiven Selbstgespräche konzentrieren würde (z.B. „Ich schaffe das, weil ich es geübt habe“ oder „Ich bin ganz im Moment”) – also auf den Fokus „innen- eng“. (-> Selbstgesprächsregulation ist ein weiterer Themenbereich des Mentaltrainings, auf den ich in einem anderen Blog-Beitrag eingehen werde). Sie entwickelt für sich als spürbares „Wechsel-Signal, sich mit der Hand auf den Oberschenkel zu klatschen, um ihre Konzentration entsprechend umzulenken.
Den Aufmerksamkeitsfokus lenken
Ein anderer Sportler richtet seine Aufmerksamkeit vor dem Trail-Einstieg ganz auf seinen allgemeinen Gefühlszustand nach einer für ihn viel zu langen Gruppen-Mittagpause auf der Hütte (“ungeduldig, angespannt, zappelig, aufgepusht, will endlich Gas geben und den anderen zeigen, was ich kann”) – sein Fokus liegt auf der Dimension “innen – weit”. Im Reflexionsgespräch stellt er fest, dass er in diesem Zustand Gefahr läuft, den Trail zu schnell, zu unkontrolliert und zu übermütig abzufahren – und zu stürzen, was ihm häufig passiert. Wir erarbeiten gemeinsam, dass es für seinen Fahrstil besser wäre, sich vor dem Start ein paar Schritte von der Gruppe zu entfernen und den weiten Ausblick auf die Bergkette zu nutzen, um sich zu entspannen, zu beruhigen und zu sammeln. Seine Aufmerksamkeit sollte also eher „außen – weit“ eingestellt sein (auf die beruhigende idyllische Umgebung), statt “innen – weit” (auf seine überdrehte Gefühlslage) – um auf dem Trail nicht vor lauter Ungeduld und Hektik zu stürzen.
Weitere Beispiel-Übungen für Mountainbiker zu den Themenbereichen “Umgang mit Nervosität & Angst“, „Aktivierung & Entspannung” sowie Verletzungsmanagement werde ich in meinen zukünftigen Blog-Beiträgen dieser Serie beschreiben.
Zum Schluss: Meine praktische Arbeit als Sportpsychologin mit MountainbikerInnen:
Als individuelles Privattraining oder Kleingruppen-Training arbeite ich im Chiemgau mit dem MTB-Fahrtechniktrainer Andy Rieger von „HappyTrails“ zusammen. Denn die eng und individuell aufeinander abgestimmte Verbindung von Mentaltraining UND fahrtechnischem Training ist das, was den Sportlern und Sportlerinnen am meisten dabei hilft, mehr Spaß und Sicherheit beim Biken zu entwickeln. Mein spezieller Ansatz ist, das Mentaltraining zunächst zeitlich und „räumlich“ getrennt vom Fahrtechniktraining durchzuführen – damit die Sportler mentale Methoden erst einmal in Ruhe und abseits von Bike und Trails erlernen und üben können (auch im Alltag, Job, etc), BEVOR das fahrtechnische Input hinzukommt. Erst nach den einzelnen Einheiten verbinden wir beide Bausteine in realen Bike-Situationen im Gelände.
Mehr Infos: http://happytrails.de/mountainbike-fahrtechnikkurse-und-camps/
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[…] In meiner Blog-Serie möchte ich von meiner Arbeit mit Hobby-Mountainbikern und Mountainbikerinnen berichten – einer meiner Meinung nach unterschätzten Zielgruppe, die von Mentaltraining ebenso profitieren kann wie Leistungssportler. Ich möchte zu verschiedenen Themenbereichen sportpsychologische Beispiel-Methoden erklären, die den Bikern, die ich betreue, besonders gut geholfen haben. Den Anfang mache ich mit einer Übung zum Thema „Konzentration und Aufmerksamkeit“ (Link zum Text) […]