Immer häufiger stoßen Sportpsychologen in den vergangenen Monaten auf Stellenausschreibungen von Profi-Vereinen hinsichtlich freier Posten in den Nachwuchsleistungszentren. Dazu bekennen sich Profis immer häufiger zur Zusammenarbeit mit Sportpsychologen oder Mentaltrainern. Und nehmen wir dann die Diskussionen rund um die Äußerungen von Fußball-Weltmeister Per Mertesacker im Spiegel dazu, ließe sich fast ein Boom der Sportpsychologie im Profi-Fußball vermuten?
Nicht ganz so rosarot sieht Ulf Baranowsky die Situation im Profi-Fußball. Wir haben in Vorbereitung unserer Veranstaltung “Die rote Couch – Das Sportpsychologie-Barcamp” am 2./3. Juni 2018 in Bochum (weitere Infos und zur Anmeldung) mit dem Geschäftsführer der deutschen Spielergewerkschaft VDV gesprochen. Das Interview bietet eine optimale Grundlage, um bei unserem Barcamp mit Sportpsychologen, Mentaltrainern, Spielern, Trainern, Managern, Sportdirektoren, Spielberatern, Eltern und weiteren Experten in die Tiefe zu gehen.
Ulf Baranowsky, es gibt wenige Themen im Profi-Fußball, über die vorsichtiger gesprochen als über die Sportpsychologie. Wie verbreitet ist denn die Disziplin bei den Klubs in Deutschland?
Der Großteil aller Teams der Bundesliga, 2. Bundesliga und 3. Liga bietet nach wie vor für die Profis keine sportpsychologische Betreuung an. Ebenso sind fest angestellte Sportpsychologen bei den Profimannschaften weiterhin eine Seltenheit. Das sind die zentralen Ergebnisse unserer aktuellen VDV-Spielerbefragung. Nur bei knapp 15 Prozent der Profimannschaften kümmert sich demnach ein Psychologe vor Ort permanent um die psychische Gesundheit und um die mentale Leistungsfähigkeit der Profis. Bei jeder vierten Profimannschaft gibt es zumindest für Fragen der Spieler externe Ansprechpartner, die temporär vor Ort sind. Dazu zählen auch Sportpsychologen, die für das jeweilige Nachwuchsleistungszentrum der Klubs tätig sind. Rund 60 Prozent der Befragten gaben allerdings an, dass ihre Profimannschaft gegenwärtig überhaupt nicht sportpsychologisch betreut werde.
Diese Zahlen stehen im Einklang mit älteren Untersuchungen, die sie veröffentlicht haben.
Auf ähnliche Resultate sind wir als VDV bereits bei unserer ersten Spielerbefragung im Jahr 2012 gestoßen. Schon damals forderten fast alle befragten Profis eine verpflichtende sportpsychologische Betreuung in den Profiteams sowie eine externe Anlaufstelle, da es eine große Hemmschwelle gebe, sich mit ernsthaften psychischen Problemen an den eigenen Klubpsychologen zu wenden.
Dabei wäre eine Implementierung der Sportpsychologie doch wichtig. Zum einen im Sinne der Optimierung der sportlichen Leistungsfähigkeit, zum anderen aber auch präventiv hinsichtlich psychischer Erkrankungen, die Sportpsychologen zumindest erkennen können?
Wir wissen aus internationalen Studien und aus unserer täglichen Arbeit, dass mehr als zwei Drittel der aktiven und ehemaligen Profis unter Symptomen von Depression oder Angststörungen leiden. Insbesondere nach dem tragischen Tod von Robert Enke wurden von Verantwortlichen Verbesserungen in Aussicht gestellt. Geschehen ist aber viel zu wenig. In einigen Fällen haben Klubs sogar zwischenzeitlich in den Profiteams beschäftigte Sportpsychologen wieder entlassen.
Wohin können sich betroffene Profis den wenden, wenn sie bei sich ein Problem ausmachen?
Als Anlaufstelle für Fragen zur psychischen Gesundheit und zur schnellen Vermittlung von Hilfe vor Ort haben wir als VDV vor einigen Jahren gemeinsam mit der Robert-Enke-Stiftung und der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) an der Deutschen Sporthochschule in Köln die sportpsychologische Netzwerkinitiative MENTAL GESTÄRKT ins Leben gerufen (www.mentalgestaerkt.de; Beratungshotline 0221-49825540). Dieses Angebot richtet sich insbesondere an Spitzensportler sowie an Top-Talente und deren Familien.
Welche Erwartungshaltung haben Sie denn aber konkret gegenüber den Klubs?
Darüber hinaus sehen wir die Klubs und Verbände in der Pflicht, ihrer Fürsorgepflicht für die psychische Gesundheut der Spieler besser nachzukommen. Als Spielergewerkschaft fordern wir daher schon seit langer Zeit, eine Sportpsychologenpflicht im Profibereich. Umgesetzt wurde dies bisher aber nur in den Nachwuchsleistungszentren; und auch dort längst noch nicht überall optimal. Die Klubs erkennen die Chancen meistens nicht, die ihnen die Sportpsychologie bietet; dabei müssten sie aus sportlicher und wirtschaftlicher Sicht ein großes Eigeninteresse daran haben, dass ihre Profis möglichst jederzeit auch mental topfit sind.
Es gibt also noch ein Wissensdefizit im Profi-Fußball gegenüber der Sportpsychologie?
Es ist ganz wichtig, dass in die Köpfe der Entscheidungsträger kommt, welche unterschiedlichen Facetten die Sportpsychologie hat. Facetten, die auch wichtig sind für den Klub und für die Gesellschaft. Wir haben im Profi-Fußball die Situation, dass sich alle Beteiligten sehr intensiv die Frage stellen, wie die Leistung des Einzelnen verbessert werden kann. Da bietet die Sportpsychologie Antworten, wenn es darum geht, sich zu fokussieren, resilient zu werden und Stress zu managen. Auf der anderen Seite geht es eben aber auch um Verantwortungsbewusstsein. Und da geht es eben darum, Risikofaktoren zu minimieren, Spieler frühzeitig aufzuklären und zu lernen, Anzeichen zum Beispiel auch hinsichtlich psychischer Erkrankungen richtig zu erkennen und dann zu intervenieren.
Die rote Couch – Das Sportpsychologie Barcamp (Thema Fußball) – 02/03.06.2018 in Bochum
Wir müssen leider feststellen, dass diese Botschaft bei den Klubs der Bundesliga, der 2. Bundesliga und der Dritten Liga leider noch nicht so angekommen ist, wie es wünschenswert wäre. Zwar ist auch auf Forderung der VDV unter Andreas Rettig seinerzeit als DFL-Geschäftsführer eine Verpflichtung implementiert worden, dass es eine sportpsychologische Betreuung in der Nachwuchsleistungszentren geben muss, für den Profibereich gibt es die aber noch nicht. Von unserer Seite ist die fehlende Verpflichtung der sportpsychologischen Betreuung bei den Profi-Teams ein klarer Kritikpunkt an die Adresse des deutschen Profifußballs.
Es fehlt also an Rahmenbedingungen?
Wir brauchen Festlegungen, wer überhaupt Sportpsychologe in den Klubs sein darf. Stellen wir doch mal die Frage, welche Qualifikationen diese Leute brauchen? Aus unserer Sicht müssen das an Universitäten studierte Psychologen sein, die eine Spezialisierung im Bereich Sportpsychologie benötigen. Und wünschenswert wäre es zudem, wenn sie zusätzlich noch eine therapeutische Zulassung hätten. Hier muss eine Professionalisierung her und ein klares Rollenbild geschaffen werden, mit dem diese Personen in den Klubs arbeiten. Das Rollenbild schließt zum einen die zeitlichen Umfänge mit ein, zum anderen aber auch den Schutzraum, den sie im Klub bieten müssen. Denn letztlich muss sich ein Spieler sicher sein, dass die ärztliche Schweigepflicht auch für die Gespräche mit dem Sportpsychologen im Klub gilt. Dies sind aber alles Dinge, die noch offen sind, und die völlig unterschiedlich gehandhabt werden. Und es ist traurig, dass es an dieser Stelle nochnicht weiter vorangegangen ist.
Direkt zur Anmeldung für das Barcamp:
DAZN-Beitrag von Mathias Liebing, Redaktionsleiter von Die Sportpsychologen, mit Ulf Baranowsky zum Thema Depression im Profi-Fußball
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