Feldversuch, wirklich angewandte Forschung oder einfach eine sportliche Herausforderung. Ganz egal wo die Gründe liegen, aber Prof. Dr. Oliver Stoll nimmt uns in seiner Streakrunning-Serie mit auf sein persönliches Abenteuer, welches er sich für das Jahr 2018 vorgenommen hat: Der sportpsychologische Experte will jeden Tag mindestens eine Meile laufen. Egal ob klirrende Minusgrade, leichte Zipperlein oder zum Beispiel Urlaube gute Gründe zur Rast liefern würden…
Zum Thema: Streakrunning-Serie, Teil 3
Nun ist also der Februar auch schon wieder vorbei. Und ich sitze vor meinem digitalen Lauftagebuch (www.jogmap.de) und schaue ungläubig auf die Zahlen und Grafiken. Ich sehe 59 Tage – und 60 Laufeinheiten – jeden Tag mindestens eine Einheit zwischen minimal 4,4 und maximal 25 Kilometern. Am 9. Februar 2018 war mir die eine Einheit (scheinbar) nicht genug. Meine eigener „Unglauben“ sagt schon viel über das aus, was gerade mit mir passiert. Ich achte schon darauf, dass ich mich jeden Tag laufend bewege, aber ich achte weder darauf, wann, noch wo, noch wieviel, noch wie oft. Zugegeben – das sind immer vergleichsweise kurze Distanzen. Im Durchschnitt sind das so um die acht km am Tag- und im Schnitt bin ich eher langsam unterwegs (so ungefähr sechs Minuten pro Kilometer), aber es ich war jeden Tag im Jahr 2018 laufen. Und das ganze summiert sich bis jetzt auf 459,19 Kilometer dieses Jahr und davon 217,53 Kilometer alleine im Februar. Das waren 60 Kilometer mehr als im Februar 2017. Aber da war ich auch ca. eine Woche krank. Dieses Jahr war ich noch nicht krank.
Und da bin ich auch schon beim ersten Thema, über das ich gerne ein paar Worte verlieren möchte: Ich war bis jetzt noch nicht krank. Ich neige ohnehin nicht dazu, schnell krank zu werden, aber ich habe bisher jedes Jahr, meistens im Januar oder im Februar mindestens einmal eine Erkältung. Dieses Jahr habe ich nicht mal den Anflug von „Rüsselpest“ oder die „trockene Bellerei“. Während bei mir an der Uni reihenweise die Mitarbeiter krankheitsbedingt ausfallen, bin ich verschont geblieben. Nun – als Wissenschaftler weiß ich natürlich, dass ich diesen monokausalen Zusammenhang „Streakrunning führt zu stabiler Gesundheit“ nicht herstellen darf. Es gibt ja leider keinen „Kontrollgruppen-Oli“, der gerade nicht läuft und nur auf der Couch rumhängt. Es gibt gerade nur den „Experimentalgruppen-Oli“. Also der monokausale Zusammenhang ist damit verboten, aber „Glauben würde ich schon gerne daran“.
Erste Veränderungen
Was hat sich noch verändert? Meine Sinne – sie funktionieren besser, oder anderes gesagt, ich nehme intensiver wahr und zwar sowohl nach innen, als auch nach außen. Ich kann Muskelspannungen sehr genau lokalisieren und spüren. Das aber leider auch, wenn ich nicht laufe. Und das ist mitunter im Februar das Problem gewesen. Ich steife gerade, vor allen Dingen in den unteren, Extremitäten total ein. Ich spüre einen ständigen, kleinen Muskeltonus“, vor allen Dingen in den Waden. Auch das ist für mich neu. Wenn ich früher mal wegen des Laufens muskuläre Probleme hatte, dann eher in den Oberschenkeln. Das hat sich nun alles nach unten verlagert. Ich weiß natürlich, dass ich mit Funktionsgymnastik etwas dagegen machen könnte, aber ganz ehrlich: Ich mag keine Funktionsdiagnostik. Also – habe ich beschlossen – ich lebe einfach damit. Das „in sich Hineinhören“ führt auch dazu, dass ich Kleinigkeiten manchmal überbewerte und sofort begonnen habe, mir Sorgen zu machen. Und diese Gedankenspirale zu durchbrechen ist dann schon ein harter Job, vor allen Dingen dann, wenn Du nicht immer Menschen um dich herum hast, die du mal fragen oder mit denen Du dich austauschen kannst. Bei meinen Arbeitskolleginnen und –kollegen reicht das Meinungsspektrum von „totalem Unverständnis“ („Du wirst schon sehen, was du davon hast. Du ruinierst dir deine Knie und deine Hüften“) bis zu großem Respekt („Mensch, Du quatscht ja nicht nur über Sport, du machst das ja auch jeden Tag“). Und dennoch gelingt mir dieses „Durchbrechen der Gedankenspirale“, spätestens dann, wenn in der Mittagspause meine Kollegen alle in die Mensa traben und ich auf die Peißnitz-Insel, auf der es jeden Tag so viel Neues zu entdecken gibt. Das Nutria, dass fett am Saale-Ufer sitzt und die letzten Grasreste frisst, wäre mir früher nie aufgefallen und auch nicht die kleinen Trailwege, die hoch auf die Klausberge führen und – wenn du oben mal stehen bleibst – einen atemberaubenden Blick über das Saaletal bis nach Kröllwitz eröffnen. Ich lerne nicht nur mich, sondern gleichzeitig auch die Stadt, in der ich arbeite, besser kennen.
Berichten muss ich noch von zwei Erlebnissen. Als erstes vom ersten Familienurlaub (nach Lissabon), der anstand. Meine Frau und ich und unsere beiden Kinder wollten dem grauen Winter im Februar entfliehen. Generalstabsmäßig wurde meine Familie darüber informiert, dass ich ja nun – auch in Lissabon – jeden Tag wenigstens einmal laufen werde. Die Truppe war bis jetzt schon viel von mir gewöhnt, aber eben ausgerechnet im Urlaub! Nun – dieses Mal konnte ich mir dann einiges anhören. Und mal ehrlich: eigentlich haben sie Recht. Warum sollten die sich nach mir richten? Das ist meine Entscheidung mit dem täglichen Rumgerenne, also muss ich das machen, wenn ohnehin keiner mit mir rechnet. Da war natürlich wieder Disziplin gefragt. Nein – nicht ausschlafen, sondern sich um 6 Uhr leise aus dem Zimmer schleichen, wenn alle noch schlafen. Dann eben schon mal vorab die Stadt erkunden und im Anschluss nach dem gemeinsamen Frühstück, wie ein jahrelang erfahrener Lissabon-Stadtführer mit Insiderwissen und Abkürzungen zu den besten Spots angeben.
Ein besonderer Wettlauf
Oder am nächsten Tag eine Wette abschließen: Wer ist schneller draußen am Torre de Belem (ca. 7km von der Innenstadt entfernt)? Ihr mit dem Zug oder ich zu Fuß? Alles in allem ist meine Lauferei nicht groß aufgefallen. Klar, habe ich immer mal wieder ein paar Sprüche reingereicht bekommen. Die waren aber alle eher lieb gemeint. Und es war nicht so, dass mich meine Familie ärgern wollte – eher im Gegenteil.
Es gab einen einzigen Tag, da stand der „Streak“ auf der Kippe. Eine spontane Entscheidung, Ende Februar, an einem Samstag bei blauem Himmel und Sonnenschein – einem perfekten Wintertag – mal zum Fichtelberg zu reisen und Ski fahren zu gehen. Diese Entscheidung und die Folgen habe ich total unterschätzt. Gesagt – entschieden – getan! Skisachen zusammengepackt hingefahren und los ging es. Es war ein Traum-Ski-Tag. Vier Stunden lang sind wir dort die Pisten rauf und runter gefahren. Bis mir dann – so um 16 Uhr einfiel „Du musst ja heute noch laufen gehen“. Ein kurzes „in sich hineinhören“ signalisierte mir: Die Oberschenkel sind dicht – nichts geht mehr. Und schon ging das Gegrübele los. Setzt du dich erst mal, trinkst mal einen Glühwein, genießt die letzten Sonnenstrahlen. Die Mädels hatten sich sogleich ein Heißgetränk bestellt. Da gingen aber dann sofort die Alarmglocken los. Die Sache „vor sich herschieben“ führt garantiert zum Ende des Streaks, hämmerte mir mein „Gewissen“ ein. Und wieder einmal war Disziplin gefragt. Ich küsste also meine liebe Frau und sagte: „Bin gleich wieder da Süße“, nahm meine Ski und ging zum Auto auf den Parkplatz, zog mir meine Laufsachen an (die ich ja – das wisst ihr mittlerweile“ immer im Kofferraum mit mir führe“ und trabte mal locker los, ganz langsam, Schritt für Schritt, bis die Muskeln sich wieder erinnern an das laufen….in Richtung Oberwiesenthal-Zentrum, dann an den Pisten vorbei, hoch zum Hotel von Jens Weißflog (mit einer sensationellen Sicht auf das Winterskigebiet am Fichtelberg, hier geht es zu seinem aktuellen Insiderinterview mit ihm) bei untergehender Sonne und wieder zurück zum Auto mit dem Wissen, dass meine Mädels mir ganz sicher ein Heißgetränk mitgebracht haben. Tja, und da war es auch „vollbracht“. Aber – körperlich war ich so ziemlich komplett am Ende – Prokrastination hätte garantiert den Streak gebrochen! Diese ganze Sache hing mir dann noch drei Tage lang beim Täglichlaufen nach. Aber auch diese Muskelermüdung verschwand mit einer kleinen Reduzierung der täglichen Streckenlängen auf deutlich unter zehn Kilometer und ein Absenken der Geschwindigkeit auf sieben Minuten pro Kilometer und das auch schon nach drei Tagen.
Der Lernfortschritt
Was habe ich also gelernt?
1.) Streakrunning ist nichts „Extremes“ – ich übererfülle sicherlich die WHO-Empfehlungen, dass sich doch bitte jeder fünfmal pro Woche mindestens eine halbe Stunde moderat intensiv, sportlich betätigen sollte (wenn man gesund bleiben möchte). Aber so sehr viel mehr ist das dann auch nicht, was ich gerade mache. Darüber muss ich mir keine Gedanken machen. Vielleicht müssen sich diejenigen Gedanken machen, die die WHO-Empfehlungen nicht umsetzen.
2.) Man ist überrascht, was alles so gehen kann, wenn man wirklich davon überzeugt ist und so eine Sache konsequent umsetzt. Wie schon angedeutet, ich laufe bezogen auf den Umfang mehr als zu „Wettkampfzeiten“ – und fühle mich aber körperlich wie mental, sehr viel ausgeglichener.
3.) Das spannendste ist zu beobachten, was sich alles verändert, weil es eben auch nicht so schnell geht, in dieser ansonsten brutal schnelllebigen Zeit. Es ist eher ein schleichender Prozess, der so etwas wie langsame Anpassung und Gewöhnung zulässt und man auch damit experimentieren darf. Damit meine ich nicht nur die muskuläre Anpassung, sondern auch das Entstehen von Gelassenheit, die entstanden ist, aber auch die geschärften Sinne und intensiven Wahrnehmungen.
Der kalte Winter scheint ja jetzt vorbei zu sein, wobei – die schönsten Läufe waren die in der Kälte bei blauem Himmel und Sonnenschein, nehmen wir mal den heutigen Tag mit -11 Grad raus. Es steht der Frühling vor der Tür, und ich kann es kaum erwarten weiter zu machen, dann aber mit kurzen Hosen und T-Shirt und wenn möglich so wie möglich mit meiner Frau.
Prof. Dr. Oliver Stoll: Streakrunning ist „Mentales Training“ (Streakrunning-Serie, Teil 1)
Prof. Dr. Oliver Stoll: Grenzenlose Gelassenheit (Streakrunning-Serie, Teil 2)
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