Lorraine Huber im Interview mit Mila Hanke (exklusiv vor dem Freeride World Tour-Finale): „Wenn ich mich auf ein Lernziel konzentriere, ergeben sich die Resultate von selbst“

Lorraine Huber gewann 2017 die Freeride World Tour (FWT) der Ski Damen – die Weltmeisterschaft der Freerider. Seit Jahren fährt die 37-jährige Österreicherin aus Lech am Arlberg ganz vorne in der Weltspitze mit. Wer die Wettkampfbedingungen nicht kennt: Die Teilnehmer dürfen den zu fahrenden, mit Felsklippen durchsetzten und meist sehr steilen Tiefschneehang nur von gegenüber per Fernglas besichtigen, um sich vorab eine möglichst spektakuläre Abfahrtslinie zu überlegen. Einen Trainingslauf gibt es nicht. Für den Wettkampf werden die Fahrer und Fahrerinnen per Helikopter oben am Startpunkt abgesetzt und müssen dann die Linie ihrer Wahl möglichst schnell, flüssig, mit tiefen Klippensprüngen, Tricks und sauberen Landungen abfahren. Judges bewerten den „run“ nach einem Punktesystem. Derjenige mit der höchsten Gesamtpunktzahl aus fünf weltweit verteilten Contest gewinnt den Weltmeistertitel.

Seit Januar steht Lorraine Huber in der FWT 2018 unter dem Druck, ihren Vorjahrestitel zu verteidigen. Die ersten drei von fünf internationalen Contests liefen nicht wie erhofft, Lorraine lag danach nur auf Platz acht der Gesamtwertung. Beim Contest im Österreichischen Fieberbrunn am 10. März musste ein Knoten platzen, um doch noch unter die besten Sechs und damit ins Finale am 31. März in Verbier einzuziehen. Und dieser Knoten platzte: Lorraine siegte in Fieberbrunn und schaffte als Gesamtvierte doch noch den Sprung ins Finale (siehe Video des Runs unten). Auch aufgrund ihrer mentalen Vorbereitung.

Im Interview mit Journalistin und Sportpsychologin Mila Hanke verrät sie, welche Mentaltechniken ihr wann am meisten helfen. Außerdem interessant: Weil Lorraine die mentale Stärke im Ski-Sport so wichtig ist und sie auch andere Sportler in dieser Fähigkeit unterstützen möchte, absolviert sie gerade ein Masterstudium zum Mentalcoach an der Universität Salzburg. www.lorrainehuber.com

Fotoquelle: Zoya Lynch

 

Lorraine, wie wichtig ist der „mentale Faktor“ in deinem Sport?

Beim Freeriden ist er enorm wichtig. Es wäre aber ein Trugschluss zu denken, dass innere Stärke ausschließlich im Kopf, also durch die richtigen Gedanken entsteht. Je besser mein Training in der Saisonvorbereitung lief, je stärker ich körperlich bin, je ausgeruhter ich mich fühle, je mehr ich meinem Material vertraue usw., desto stärker bin ich auch im Kopf. Körper und Geist hängen eben immer zusammen und beeinflussen sich gegenseitig.

Von welcher sportpsychologischen Methode hast Du bisher am meisten profitiert?

Von ideomotorischem Training, auch Visualisierungstraining genannt. Vor jedem Wettkampf stelle ich mir meine geplante Abfahrtlinie im Detail vor, vom Start bis ins Ziel. Und zwar aus meiner eigenen Perspektive. Beim Freeriden ist das enorm wichtig, da wir den zu fahrenden Hang nur von gegenüber „besichtigen“ können und es keine Trainingsläufe gibt. Du fährst also oft für dich komplett neues Gelände. Vorab stelle ich mir nicht nur das Gelände vor, wie es aus meiner Perspektive aussehen wird – die Rinnen des Hanges, die Felsen, die ich umfahren muss, die Klippen, die ich springen will, die Landeflächen usw. – , sondern auch das Rundherum am Contest-Tag: das Geräusch des Helikopters, der uns oben am Berg absetzt, die Atmosphäre am Start während des Wartens, meine Empfindungen direkt im Start-Gate – so lebendig wie möglich und mit allen Sinnen. Wenn ich die Bilder im Kopf mit den Emotionen verbinden kann, die ich an den verschiedenen Orten und Zeitpunkten im Wettkampf empfinden möchte, dann ist die Wirkung dieser Mentaltechnik umso stärker.

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Seit Beginn der Free Ride World Tour 2018 im Januar stehst du unter dem Druck, deinen Weltmeistertitel vom letzten Jahr zu verteidigen. Der Saisonstart lief aber nicht so gut und bis zu deinem Sieg in Fieberbrunn sah es sogar aus, als würdest du es nicht ins Finale schaffen. Wie gehst du mit hohem Leistungsdruck um?

Dabei hilft mir die richtige Zielsetzung. Ich konzentriere mich voll und ganz auf mein Skifahren – also wie ich technisch fahren möchte – und nicht auf das Resultat, das ich erzielen will. Es ist gut, eine übergeordnete Vision wie einen Weltmeistertitel zu haben, um Zugkraft zu generieren und Ressourcen zu fokussieren. Aber während meiner Wettkampfsaison hilft es mir enorm, den Fokus auf kleinere Teilziele zu lenken, bis hin zu dem, was ich am Wettkampftag frühstücke oder wie ich mich aufwärme. Ganz wichtig ist für mich zudem, bei jedem Contest neben einem Leistungsziel auch ein Lernziel vor Augen zu haben – wie zum Beispiel einfach Spaß zu haben, möglichst viele Erfahrungen zu sammeln, von Konkurrentinnen dazuzulernen. Wenn ich mich auf das Lernen und meine persönliche Entwicklung konzentriere, dann ergeben sich die Resultate von selbst. Diese Lernziel-Perspektive war auch ein wichtiger Baustein dafür, dass ich trotz des Rückstandes fokussiert und motiviert geblieben bin, den Contest in Fieberbrunn gewonnen und es doch noch ins Finale geschafft habe.  

In deinem Risikosport könnte ein Fehler schwere Verletzungen mit sich bringen oder sogar tödlich sein. Was hilft Dir, mit Ängsten umzugehen?

Beim Freeriden wie auch bei anderen Sportarten hilft es zunächst, Gefühle der Angst zu differenzieren: Wovor genau habe ich Angst? Sind es Ängste rund um die eigene Gesundheit? Und/oder Versagensängste? Und/oder Zukunftsängste? Wenn ich zum Beispiel Versagensängste empfinde, bin ich meist blockiert, was dazu führt, dass ich sehr verhalten bzw. verkrampft Ski fahre. Indem ich sportpsychologisch daran arbeite, verschiedene Eigenschaften in mir aufzubauen oder zu stärken (zum Beispiel mehr Mut, mehr Entschlossenheit), kann ich mich selbst von einem blockierten in einen mutigen Zustand verändern. Bestimmte Eigenschaften stärke ich unter anderem durch diszipliniertes Denken (unterstützende Wörter, Sätze und Bilder durch meinen Kopf gehen lassen) sowie diszipliniertes Verhalten (unterstützende Körperhaltungen, Gesichtsausdrücke). Dabei gibt es eine Vielzahl an mentalen Techniken, die ich einsetze. Ein Beispiel für diszipliniertes Denken wäre, mir in einer angstauslösenden Situation nicht innerlich zu sagen: „Boah, das ist ja brutal steil! Wenn das jetzt schief geht…“. Sondern mir zuzusprechen „Ich habe mich bestmöglich vorbereitet, um eine Passage wie diese zu meistern. Ich schaffe das!“

Welche Mentaltechniken nutzt du sonst noch in einem Wettkampf?

Wenn ich oben am Start stehe, muss ich „vom Kopf“ – also von der ganzen akribischen Planung und Analyse vorab – „in meinen Körper“ kommen. Nur dann gelange ich bei der Abfahrt wirklich in einen Flow-Zustand. Mittlerweile funktioniert das bei mir sehr schnell über eine Routine aus Körperreizen. Zum Beispiel vor dem Start die Oberschenkel abklopfen, Fäuste ballen, tiefes Ein- und Ausatmen, in die Hände klatschen. Dann lenke ich meinen Fokus auf das Hier-und-Jetzt und bin auch körperlich aktiviert und „ganz da“, um meine Leistung genau jetzt, in den folgenden Minuten, erbringen zu können.

 

Interview: Mila Hanke, zur Profilseite von Mila Hanke
Fotoquelle: Zoya Lynch

Mila Hanke

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Mila Hanke
Mila Hankehttp://www.die-sportpsychologen.de/milahanke/

Sportarten: Mountainbiken (von Marathon bis Downhill), Klettern/ Bouldern, Trailrunning/Berglauf, (Free-)Ski/Snowboard, Basketball, Leichtathletik uvm.

Aschau im Chiemgau, Deutschland

+49 (0)176 63162448

E-Mail-Anfrage an m.hanke@die-sportpsychologen.de

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