Lena Tessmer: Unwichtig von Amtswegen – Die Bedeutung der Sportpsychologie im DOSB-Nachwuchsleistungssportkonzept

Das Nachwuchsleistungssportkonzept 2020 des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) möchte die Qualität der kommenden Sportlergeneration sichern. Es soll transparent gemacht werden, was das Leistungssportsystem für den Nachwuchs tut und wie eine umfassende Ausbildung gewährleistet werden kann. Ich habe das Konzept hinsichtlich der Sportpsychologie unter die Lupe genommen und bin als Pädagogin, Sportpsychologin und Sportlerin enttäuscht.  

Zum Thema: Deutschlands Nachwuchs und die Sportpsychologie

Der Untertitel des Konzepts lautet „Unser Ziel: Dein Start für Deutschland“. Das hört sich persönlich an und ist sicher auch so gemeint. Deutschland möchte junge Talente für den Leistungssport begeistern. Persönlicher als dieser Untertitel wird es dann aber auch nicht mehr. Der Inhalt des Konzepts nimmt die Talentsichtung, die Rolle des Trainers, die duale Ausbildung, die wissenschaftliche Begleitung, die Eltern und die verschiedenen sportlichen Vereine/Verbände in den Blick. Die einzelnen Karrierestationen und verschiedene personellen Aufgaben werden beschrieben, aber wer damit letztendlich angesprochen wird, bleibt mir unklar.

Jetzt kann man sich fragen, ob das überhaupt wichtig ist? Ich finde keine eindeutige Antwort. Wenn die Antwort aber ist, dass es nicht wichtig ist, dann frage ich: Warum muss es das Konzept dann überhaupt geben?

Welche Rolle spielt die Sportpsychologie im Nachwuchsleistungssportkonzept

Keine. Okay, zugegeben, das stimmt nicht, aber die Erwähnung, die sie findet ist (fast) schlimmer als keine. Aber dazu später mehr. Erst einmal möchte ich einen längeren Abschnitt zitieren, der eingangs im Nachwuchsleistungssportkonzept unter der Überschrift B. Ziele des Nachwuchsleistungssports zu finden ist:

„Im Mittelpunkt des Nachwuchsleistungssports steht der Athlet/in, der/die sich freiwillig und mit zunehmender Leistungsbereitschaft und Kreativität Ziele steckt und diese anstrebt. Parallel dazu hat er/sie sich den Anforderungen einer nachhaltigen Bildung und Persönlichkeitsentwicklung zu widmen, damit er/sie sowohl während als auch nach Beendigung seiner/ihrer leistungssportlichen Karriere befähigt ist, eigenverantwortlich ein sinnerfülltes Leben zu führen.“ (S. 8)

Sportpsychologen stellen sich die Nackenhaare auf

Hört sich gut an, oder? Der Athlet steht im Mittelpunkt und wird mit Hilfe vieler Werte – wie z.B. Freiwilligkeit, Kreativität und Strebsamkeit – im Leistungssportsystem ein sinnerfülltes Leben führen. Nur wie es dazu kommt und wie diese Werte vermittelt und erlernt werden, wird im Nachwuchsleistungssportkonzept nicht erwähnt. An dieser Stelle könnte die Sportpsychologie mit ihren Methoden, wie z.B. Zielsetzungs- und Visulisierungstraining sowie Motivations- und Emotionsregualtion Abhilfe leisten. Sie findet aber leider kaum Erwähnung. Die sportpsychologische Betreuung wird – neben vielen anderen Betreuungsangeboten – nach dem Konzept möglichst auf Basis „standardisierter Routineverfahren“ (S. 21) umgesetzt.

Sportpsychologische Betreuung als standardisiertes Routineverfahren? Jedem praktisch tätigen Sportpsychologen dürfte es jetzt die Nackenhaare aufstellen. Sportpsychologie ist keine Fließbandarbeit. Aktuell wird in der Berichterstattung der olympischen Winterspiele die Individualität der Athleten positiv gewürdigt. Diese wird auf individuelle Trainingsmethoden zurückgeführt. Die Sportpsychologie ist eine mögliche Trainingsmethode, die auf die Bedürfnisse und Herausforderungen des Athleten individuell angepasst sein muss, damit Deutschland bei olympischen Spielen Individualisten bejubeln kann. Im Nachwuchsleistungssportkonzept wurde dies leider nicht festgehalten.

Welche Rolle spielt das Nachwuchsleistungssportkonzept für die Sportpsychologie?   

Ich würde auch hier so gerne sagen „Keine“, aber ich glaube leider nicht, dass es stimmt. Wenn in einer zweijährigen Arbeitsphase (Beginn 11/2011) vier Expertengruppen ein solches Konzept erstellen und die Sportpsychologie dabei kaum bzw. keine Rolle spielt, dann hat das eine Aussagekraft über die Rolle, die der Sportpsychologie in der Nachwuchsarbeit zugeschrieben wird. Für die Unterstützung einer positiven Persönlichkeitsentwicklung wird lt. des Konzepts der Trainer in die Verantwortung genommen. Aber dass die Rollenanforderungen an den Trainer ohnehin schon zu umfassend sind, ist bekannt.

Wir haben in Deutschland mittlerweile Ansätze in der Nachwuchsarbeit, die hinsichtlich der Positionierung der Sportpsychologie nachahmungswürdig erscheinen. So hat z.B. der Olympiastützpunkt (OSP) Brandenburg an den Eliteschulen das Schulfach „Sportpsychologie“ etabliert. In einem Konzept, dass die bestmögliche Ausbildung von Nachwuchsathleten zum Ziel hat, sollte die Sportpsychologie zumindest theoretisch Erwähnung finden. Inwieweit die Standpunkte dies finanziell und organisatorisch umgesetzt bekommen, steht auf einem anderen Blatt. Aber ein Anfang wäre damit gemacht, indem die Wichtigkeit der Funktion der Sportpsychologie – insbesondere beim Nachwuchs – genannt wird.

Literatur: 

Kreisl, V. (2018): Ein Hoch auf Individualität im Leistungssport. Verfügbar unter: http://www.sueddeutsche.de/sport/olympia-ein-hoch-auf-individualitaet-im-leistungssport-1.3870569 (zuletzt aufgerufen am: 22.02.2018)

DOSB (2013): Nachwuchsleistungssportkonzept – Unser Ziel: Dein Start für Deutschland. Verfügbar unter: https://www.dosb.de/fileadmin/fm-dosb/arbeitsfelder/leistungssport/Konzepte/DOSB_Broschuere_NWS_Konzept_web.pdf (zuletzt aufgerufen am: 23.02.18)

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Lena Tessmer
Lena Tessmerhttp://www.die-sportpsychologen.de/lena-tessmer/
Sportarten: Schwimmen, Triathlon, Leichtathletik, Langstreckenlauf, Reiten