Alle vier Jahre stehen sie im Rampenlicht: Deutschlands beste Sportler kämpfen um olympische Medaillen. Doch nach kurzer Zeit holt der Alltag sie schnell wieder ein. Wer erfolgreich ist, erhält einen Sponsoringvertrag und es folgen ein paar Interviews und Einladungen zu Fernsehauftritte. Zum Überleben reicht dies aber selten. Für einen erfolgreichen Sportler stellt sich aber schon während seiner aktiven Laufbahn der Gedanke, wie nach dem Karriereende eine langfristige Lebensgrundlage gesichert werden kann. Diesbezüglich möchte ich Ihnen einige Anregungen liefern.
Zum Thema: Können Leistungssportler ihr Talent im Wirtschaftsleben gewinnbringend nutzen?
»Ich habe gesehen, wie schnell es im Leben gehen kann. Wenn Turnen kein Thema mehr ist, dann muss man auf eine gute Ausbildung zurückgreifen können.«
(Fabian Hambüchen, Silbermedaillengewinner Olympische Spiele, 2012)
Selbstverständlich werden Leistungssportler durch ihren Sport in ihrer Persönlichkeit anders geprägt als Gleichaltrige. Spannend ist jedoch zu ergründen, welche im Spitzensport erforderlichen bzw. erworbenen Fähigkeiten auf andere Bereiche des Lebens übertragen (Blinde & Greendorfer, 1985; Mayocchi & Hanrahan, 2000) und in der Wirtschaft aktiviert werden können. Eines der größten Hindernisse bei der Aktivierung ist die Tatsache, dass Sportler sich häufig ihrer übertragbaren Fähigkeiten gar nicht oder nur zum Teil bewusst sind (Danish, Petitpas & Hale, 1993). Zwar werden ihnen Fähigkeiten wie Zielstrebigkeit, Ausdauer und Belastbarkeit nachgesagt, die auch in der Wirtschaft erfolgversprechend sind. Aber die Frage, welche Sportlertypen welche übertragbaren Fähigkeiten für welche Jobprofile erwerben, ist bislang nur wenig erforscht. In explorativen Gesprächen mit 25 Personalchefs und führenden Personalberatern wurden zunächst unternehmensseitig wahrgenommene Chancen und Risiken für den Einsatz von Spitzensportlern in der Wirtschaft aufgenommen sowie mögliche Jobprofile für ehemalige Spitzensportler diskutiert. In einer anschließenden Online-Befragung mit 1.006 der ca. 3.800 von der Stiftung Deutsche Sporthilfe geförderten Top-Athleten in Deutschland wurden berufsrelevante Persönlichkeitsmerkmale erhoben, mit denen von über 7.700 Fachkräften und 117 EBS-Studenten verglichen sowie die in den Interviews aufgestellten Hypothesen getestet (Schmidt & Saller, 2013).
Die Studie zeigt auf, in welchen berufsrelevanten Persönlichkeitsdomänen Leistungssportler gut aufgestellt sind und in welchen sie sich weiter qualifizieren sollten, um die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Karriere in der Geschäftswelt zu schaffen. Zudem verdeutlicht die Untersuchung relevante Unterschiede zwischen verschiedenen Sportlertypen. Die Ergebnisse belegen, dass es sich für Personalverantwortliche lohnt, bei der Nachwuchsrekrutierung auf die Leistungssportler zu achten. Hier die wichtigsten Persönlichkeitsmerkmale von Leistungssportlern:
Engagiert, diszipliniert und mental stabil
Die Studienergebnisse zeigen, dass Spitzensportler Persönlichkeitsmerkmale aufweisen, die für den Aufstieg in einem Unternehmen förderlich sein können. So ließen sich für Sportler überdurchschnittliche Werte hinsichtlich Engagement (Wettbewerbsorientierung, Leistungsanspruch, Karriereorientierung), Disziplin (Planungsorientierung, Sorgfalt, Analyseorientierung) und Stabilität (Gelassenheit, Selbstbewusstsein, Stress- und Frustrationstoleranz) feststellen. Ein Indikator dafür, wie sich die starken Ausprägungen von Engagement und Disziplin positiv auf Bereiche außerhalb des Sports auswirken, ist die schulische Leistung. Diese Studie zeigt: Fast 10% der Spitzensportler schließen die Schule mit einem Notendurchschnitt von 1,5 und fast 20% mit 2,0 oder besser ab – und dies trotz der starken zeitlichen Belastungen durch ihren Sport.
Doch die ausgeprägten Persönlichkeitsmerkmale können im Beruf auch schwierig sein: Sportler sind meistens extrem zielstrebig und fokussiert auf ihren Sport. Die hoch ausgeprägte Leistungsorientierung hilft ihnen einerseits im Job, sie kann aber auch hinderlich sein, wenn sie davon abhält, auf dem Weg zum Ziel nach links und rechts zu schauen.
Geschlecht und Sportart
Zahlreiche soziodemographische Einflussfaktoren lassen deutliche Unterschiede zwischen Persönlichkeitseigenschaften von Leistungssportlern erkennen. Einige der Studienergebnisse entsprechen den allgemeinen Erwartungen, andere überraschen. Wie in der Gesamtbevölkerung sind auch bei Spitzensportlern Dominanz und Stabilität eher männliche Eigenschaften; die Sozialkompetenz ist bei Frauen stärker ausgeprägt. In Bezug auf Stabilität ist bei Spitzensportlern besonders groß. Dies ist insbesondere bei der Gruppe der Athletinnen unter 18 Jahren in der Stichprobe der Fall, die in ihrer Persönlichkeit häufig noch wenig gefestigt sind. Persönlichkeitsmerkmale variieren mit der jeweiligen Sportart. Während Kampfsportler tendenziell, d.h. bei schwacher statistischer Signifikanz, besonders leistungsmotiviert und dominant sind, weisen Präzisionssportler (z.B. Sportschützen) die höchsten Werte im Bereich Stabilität auf. Bei Geschwindigkeits- und Ausdauersportlern liegen die Werte im Bereich Kooperation und Sozialkompetenz tendenziell etwas niedriger. Nicht allzu überraschend ist der Unterschied in der Sozialkompetenz und Kooperationsbereitschaft zwischen Einzel- und Teamsportlern.
Unerwartet aber ist: Selbst Teamsportler können als gerade einmal durchschnittlich kooperativ im Vergleich zur Gruppe von Fachkräften bezeichnet werden. Die Vermutung vieler Personalchefs, Teamsportler seien ausgesprochen teamorientiert, bestätigt sich nicht. Lediglich Teamsportler, die in einem Sportspiel aktiv sind (also z.B. Hockey, Handball) weisen überdurchschnittlich hohe Werte bei Kooperation und Sozialkompetenz auf. Mit Hilfe einer Cluster-Analyse und Typisierung lassen sich aus den Ergebnissen des Persönlichkeitstests Segmente innerhalb der befragten Sportler abgrenzen.
Clusteranalyse Leistungssportler
Typ 1 (Einzelgänger)
zeichnet sich durch hohes Engagement und sehr hohe Disziplin aus. Sozialkompetenz und Kooperationsfähigkeit sind hingegen unterdurchschnittlich ausgeprägt.
Typ 2 (Kämpfer)
hat noch höhere Werte bei Engagement und Disziplin als der Einzelgänger. Gleichzeitig ist er jedoch hochgradig dominant, aber weniger persönlich stabil und weist dabei eine äußerst geringe Kooperationsfähigkeit auf.
Typ 3 (Teamplayer)
stellt das Gegenstück zum Kämpfer dar. Er erreicht auf den Skalen Engagement und Disziplin nur durchschnittliche Werte, die Dominanz ist besonders niedrig. Dafür ist seine Kooperationsfähigkeit stark ausgeprägt.
Typ 4 (Meister aller Klassen)
ist in allen Persönlichkeitsbereichen überdurchschnittlich. Er zeichnet sich durch hohes Engagement, hohe Disziplin, Kooperation, Sozialkompetenz und eine etwas überdurchschnittliche Dominanz und Stabilität aus.
Tab. 1.: Clusteranalyse Leistungssportler (Schmidt & Saller, 2013)
Spitzensportlertypen im Überblick
Schauen wir uns das im Detail an. Einen Überblick liefern Schmidt und Saller auf Basis der ausgewerteten Daten (Schmidt & Saller, 2013):
Typ: Einzelgänger
Häufigkeit: 27 %
Beschreibung: Äußerst leistungsmotiviert, diszipliniert und strebsam. Dabei weniger sozial kompetent und äußerst wenig an Teamarbeit interessiert. Wenig Interesse an Dominanz und Durchsetzung.
Besonders häufig bei: Einzelsportlern, insbesondere in Präzisionssportarten; Einzelkindern; Mittlerem Einkommenssegment; Berufswunsch in der Verwaltung oder beim Staatsdienst.
Besonders selten bei: Kapitänen; Spitzensportlern aus kinderreichen Familien; Spitzensportlern mit Top-Einkommen; Spitzensportlern mit Berufswunsch in der Beratung oder im Management.
Möglicher Beruf: Fachexperte
Typ: Kämpfer
Häufigkeit: 16 %
Beschreibung: Leistungsmotiviert und einsatzbereit. Hochgradig dominant und bereit, sich jederzeit durchzusetzen. Niedriges Interesse an Kooperation. Relativ empfindlich und weniger emotional stabil.
Besonders häufig bei: Kraftsportlern; Spitzensportlern aus Großfamilien (vier oder mehr Geschwister); Niedrigeren Bildungsabschlüssen als Abitur; Spitzensportlern, die beim Beruf besonders auf die Vergütung achten (allerdings nur marginal häufiger)
Besonders selten bei: Sportspiel – Athleten; Mannschaftsspielern ohne Kapitänsamt (in einer Mannschaft mit Kapitän); Topverdienern
Möglicher Beruf: Interims-Manager
Typ: Teamplayer
Häufigkeit: 28 %
Beschreibung: Am wenigsten ehrgeizig und leistungsmotiviert. Äußerst zurückhaltend und wenig dominant. Nur durchschnittlich diszipliniert. Stets auf Kooperation aus und äußerst mannschaftsdienlich.
Besonders häufig bei: Weiblichen Spitzensportlern; Teamsportarten; Spielsportarten; Mannschaftsspielern ohne Kapitänsamt (in einer Mannschaft mit Kapitän); Geringverdienern; Berufswunsch in der Verwaltung
Besonders selten bei: Kraftsportlern; Einzelkindern; Spitzensportlern, die beim Beruf besonders auf die Vergütung achten; Spitzensportlern mit Berufswunsch Management
Möglicher Beruf: Assistent der Geschäftsführung
Typ: Meister aller Klassen
Häufigkeit: 29 %
Beschreibung: Überdurchschnittlich leistungsorientiert und diszipliniert. Äußerst sozialkompetent. Emotional sehr stabil und selbstbewusst. Nicht übermäßig »einzelbrötlerisch«, sondern setzt im richtigen Maße Team- und Einzelarbeit ein. Ausreichend dominant, um sich, wenn notwendig, durchzusetzen.
Besonders häufig bei: Männlichen Spitzensportlern; Ex-Kapitänen; Top-Verdienern; Spitzensportlern mit einem sehr hohen Selbstbewusstsein, später einen Job zu finden; Spitzensportlern mit Interesse an Berufen in Management, Marketing oder Beratung
Besonders selten bei: Einzelkindern; Pessimisten (die für sich wenig Jobchancen sehen); Spitzensportlern mit Hauptschulabschluss oder ohne Abschluss; Spitzensportlern mit Interesse an Verwaltungstätigkeiten
Möglicher Beruf: Führungskraft im höheren Management
Anregungen für Leistungssportler & Unternehmen
Aufgrund der Studienergebnisse lassen sich in diesem Zusammenhang folgende Empfehlungen für Spitzensportler ableiten:
Duale Karriere nutzen
Eine nachgewiesene hohe Zielstrebigkeit und Disziplin hilft Sportlern, mit der Doppelbelastung fertig zu werden. Erfolgskritisch sind strukturierte Arbeitspläne, persönliche Zielvereinbarungen, die Fähigkeit zur Priorisierung und eine hohe Selbstdisziplin.
Situation bewusstmachen
Vielen Führungskräften und Ausbildungsleitern ist nicht bewusst, mit welchen körperlichen und mentalen Herausforderungen das Ausüben eines Spitzensports heutzutage auch außerhalb der Wettkampfzeiten verbunden ist. Eine offene und ehrliche Kommunikation über bestehende Anforderungen und benötigte Zeitkontingente sind daher notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche duale Karriere. Jeder Athlet ist selbst in der Verantwortung, sein Unternehmen oder seine Ausbildungsstätte ausreichend zu informieren und die Situation realistisch darzustellen.
Situative Verhaltensweisen
Aus der Verhaltenspsychologie ist bekannt, dass es gerade im jüngeren Erwachsenenalter durchaus möglich ist, sich selbst Verhaltensvariabilität anzutrainieren, auch wenn sie nicht unbedingt den Persönlichkeitsmerkmalen entspricht. So können z.B. Menschen mit niedriger Dominanz Verhaltensweisen trainieren, um sich situativ erfolgreich gegen Widerstände durchzusetzen. Wichtigste Voraussetzung zum Aufbau von Verhaltensvariabilität ist die Fähigkeit zur Selbstreflexion.
Netzwerk
Leistungssportler haben die Möglichkeit, schon in jungen Jahren exzellente Kontakte in Unternehmen und Verbände aufzubauen. Bei Sportlerbällen, Sponsoring-Events und ähnlichen Veranstaltungen haben Athleten hingegen die Möglichkeit, schon gute Kontakte aufzubauen. Fast alle Studenten und Absolventen unterschätzen die Bedeutsamkeit von Netzwerken bei der Suche nach dem Traumberuf. Die meisten Unternehmen stellen jedoch bedeutend lieber ehemalige Praktikanten oder gute Bekannte aus ihrem Netzwerk ein, anstatt die Unsicherheit der Suche auf dem freien Arbeitsmarkt auf sich zu nehmen.
Denkanstöße für Unternehmen und Ausbildungsinstitute
Spitzensportler wünschen sich für ein erfolgreiches Studium von Universitäten „Neue Studienformate“ wie kombinierte »on/offCampus« Angebote (Blended Learning), flexiblere Studienzeiten und besonders häufig Verständnis von Seiten der Betreuenden. Des Weiteren kann es sich für Unternehmen lohnen, gezielte Kooperationen mit Sportverbänden und -vereinen abzuschließen, die ambitionierte Leistungssportler zusammen bringen.
Fazit
Es ergeben sich konkrete Ansatzpunkte für die gezielte Rekrutierung von Spitzensportlern, deren Arbeitsplatzgestaltung in Form flexibler Teilzeitangebote sowie für Maßnahmen zur Erhöhung der Attraktivität als Arbeitgeber. Nicht zuletzt enthält die Studie Anregungen für Sportler und stellt die Bedeutung der dualen Karriere heraus. Die Studie zeigt auf, in welchen berufsrelevanten Persönlichkeitsdomänen Spitzensportler gut aufgestellt sind und in welchen sie sich weiter qualifizieren sollten, um die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Karriere in der Geschäftswelt zu schaffen. Die Ergebnisse belegen, dass es sich für Personalverantwortliche lohnt, bei der Nachwuchsrekrutierung auf das Segment Leistungssport zu achten. Spitzensportler sind loyal und dankbar, wenn ein Arbeitgeber es ihnen ermöglicht, Sport und Beruf miteinander zu verbinden. Eine Investition in Verständnis und Flexibilität kann sich für den Arbeitgeber vor allem in den Jahren nach der aktiven Sportlerlaufbahn vielfach auszahlen.
Literatur
- Blinde, E., & Greendorfer, S. (1985): A reconceptualization of the process of leaving the role of competitive athlete. International Review of Sport, 20, 87-93
- Mayocchi, L. & Hanrahan, S. (2000): »Transferable skills for career change«. In D. Lavallee, & P . Wylleman (Hrsg.): Career transitions in sport: International perspectives (S. 95-110). Morgantown, W.VA: Fitness Information Technology
- Danish, S., Petitpas, A. & Hale, B. (1993): Life development intervention for athletes: Life skills through sport. The Counseling Psychologist, 21, 352-385
- ISBS Research Series Issue 6, 01|2013: Kollege Spitzensportler Chancen für Wirtschaft und Athleten. Autoren: Prof. Dr. Sascha L. Schmidt und Thomas Saller
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Ausgezeichnet! Könnte auch Personaler differenziert in der Personalauswahl überzeugen! Die Sportler und das Motto ” Duale Karriere” haben es verdient!
Es ist wichtig über Mutmaßungen und Eindrucksbildung hinaus helfende Fakten nennen zu können für einen beruflichen Einstieg. Die USA lässt da grüssen!
Gerade freut man sich über Medaillen , aber der Sportleralltag vermisst kontinuierliche Karriereplanung respektive – unterstützung.