Die «Winnermentalität» langfristig aufbauen! Mit dem Ziel, dieses spannende Thema aus Sicht der angewandten Sportpsychologie einem breiten Publikum näher zu bringen, bin ich kürzlich an die Kantonsschule Romanshorn gereist. Nach dem Vortrag sprach mich ein talentierter und offensichtlich sehr interessierter 16-jähriger Volleyballspieler an, bedankte sich artig und fragte: „Wie nur bringe ich das meinem Trainer bei?“
Zum Thema: Die langfristige Entwicklung einer „Winnermentalität“
Ich sehe es als eine zentrale Aufgabe, als Notwendigkeit gar, dass sich die Angewandte Sportpsychologie in der Öffentlichkeit zeigt, über Inhalte und Arbeitsweisen informiert und so ihre Expertise einem breiten Sportpublikum zugänglich macht. So geschehen am 13. März 2018 im ländlichen Romanshorn.
An dieser klassischen Kantonsschule mit gymnasialer Matura findet sich im Ausbildungsprogramm eine besondere Trouvaille: die Matura Talenta. Es handelt sich dabei um ein Bildungsangebot für Gymnasiastinnen und Gymnasiasten, die besondere intellektuelle Begabungen haben oder auf hohem Niveau sportlich oder künstlerisch-musisch aktiv sind. Die Kantonsschule wird geleitet von Stefan Schneider, einem Sportlehrer und –experte mit eigener Spitzensport-Vergangenheit.
Psychoedukation ist wichtig!
Mein Vortragsziel war, den rund 120 anwesenden Schülerinnen, Eltern und Trainer praxisnahe „Psychoedukation“ zu vermitteln. Ich wollte Denksanstösse geben, eine differenzierte Sichtweise auf das Thema ermöglichen und die Anwesenden mit Ideen zur individuellen Umsetzung in die Praxis auf den Nachhauseweg entlassen.
Das Thema „Winning mindset im Leistungssport“ ist gleichermassen spannend wie tückisch. Eine Gefahr besteht unter anderem darin, sich allzu sehr auf populärwissenschaftliche Exkurse einzulassen – eine andere, sich in der Weite des Themas zu verlieren. Trotzdem: Aus Sicht der Sportpsychologie bejahe ich die „Existenz“ eines psychologischen Konstrukts, das wir als »Winnermentalität« bezeichnen. Im Kern dieses Ansatzes steht die Annahme einer variablen, lernfähigen und nicht primär den Genen zuzuschreibenden „Mentalität“, die aus individuellen Denkweisen, Haltungen und Einstellungen gespiesen wird (vgl. u.a. Dweck 2006; 2012). In der sportpsychologischen Anwendung verbinde ich diese Theorie gerne mit dem Modell der Karrierentwicklung (vgl. Wylleman & Lavallée, 2004) und weiteren ganzheitlichen Ansätzen im Bereich der Umfeld- und Talententwicklung (vgl. Henriksen et al., 2010) sowie des Mentalen Trainings (vgl. Gubelmann, 2004). Aus meiner Sicht als angewandt tätiger Sportpsychologe stehen die Vorzeichen im Prozess der langfristigen Entwicklung eines „winning mindsets“ dann besonders gut, wenn folgende Grundgedanken konsequent verfolgt werden:
- Förderung eines positiven Selbstbildes und Selbstbewusstseins;
- Lernförderlicher Umgang mit Niederlagen und Rückschlägen;
- Entwicklung von mentaler Stärke, insbesondere von emotionaler Robustheit.
Take home messages
An ausgewählten Beispielen versuchte ich schliesslich exemplarisch aufzuzeigen, wie eine praktische Umsetzung dieser drei Grundgedanken aussehen könnte. Die Erkenntnisse hieraus sind in folgenden „take home messages“ zusammengefasst:
- Breite sportliche Förderung, keine wettkampforientierte Frühförderung
- Unterstützung zur Selbständigkeit;
- Gradmesser „emotionale Stabilität“ vermehrt beachten
- Umsichtige Betreuung in der Niederlage oder in anderen Krisensituationen (z.B. Verletzungen);
- Kompetente und vertrauensvolle Begleitung in der Umfeldbetreuung;
- Elterncoaching;
- Geeignete sportpsychologische Intervention prüfen.
Ein Hinweis an junge Kolleginnen und Kollegen im Feld der Sportpsychologie: Mit solchen Referaten verdient man monetär wenig, umso grösser und wichtiger ist der Gewinn an Sympathie, Goodwill – und wichtigen Netzwerkkontakten! Längerfristig entwickelt sich so jenes Netzwerk, das später eine Selbständigkeit im Berufsfeld ermöglichen wird. Darum galt für mich zu Beginn meiner beruflichen Karriere als Sportpsychologe immer: jede Vortragsmöglichkeit annehmen und einen qualitativ möglichst hochwertigen Beitrag liefern!
Interesse an mehr Informationen?
PS: Wer sich für die Inhalte meines Referats oder gar für jene Ideen interessiert, die ich dem Nachwuchs-Volleyballspieler mitgegeben habe, kann sich ungeniert bei mir melden! h.gubelmann@die-sportpsychologe.ch
Dr. Hanspeter Gubelmann: Winning mindset im Leistungssport (Vortrag)
Quellen:
Dweck, C. S. (2006). Mindset: The new psychology of success. New York: Random House.
Dweck, C. S. (2012). Mindset: How you can fulfill your potential. Constable & Robinson Limited.
Gubelmann, H. (2004). Ein Fall für den Sportpsychologen? Über Themen, Aufgaben und Integration der psychologischen Intervention im Schweizer Spitzensport. Schweizerische Zeitschrift für Sportmedizin und Sporttraumatologie 52 (2), S.49-53.
Henriksen, K., Stambulova, N. & Roessler, K.K. (2010). Holistic approach to athletic talent development environments: A successful sailing milieu. Psychology of Sport and Exercise 11(3): 212-222.
Wylleman, P., Lavallee, D. (2004). A developmental perspective on transitions faced by athletes. In M.Weiss (Ed.), Developmental sport and exercise psychology: A life span perspective (pp. 507-527). Morgantown, WV: Fitness Information Technology.
Homepage Kantonsschule Romanshorn: https://www.ksr.ch/gymnasiale-maturitaetsschule/matura-talenta.html/3345
Bericht: https://www.ksr.ch/news.html/1337/news/31455
Handout Vortrag Romanshorn (auf Anfrage)
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