Der Zürich Marathon vermarktet sich als “erster Marathon mit mentalen Verpflegungsposten“. Dahinter steckt eine hoch interessante Kooperation der Rennorganisatoren mit dem Institut für Angewandte Psychologie (IAP). Wir haben Dr. Jan Rauch, Vizepräsident der SASP, “Leiter Sportpsychologie” am IAP und Profilinhaber bei Die Sportpsychologen, gefragt, wie die Zusammenarbeit konkret aussieht und was bei der nächsten Auflage des Zürich Marathons am 22. April 2018 zu erwarten ist.
Zum Thema: Die besondere Rolle der Sportpsychologie beim Zürich Marathon
Dr. Jan Rauch, mit dem Institut für Angewandte Psychologie (IAP) bereitest du Athleten auf den Zürich Marathon vor. An wen richtet sich das Angebot und wie kam es dazu?
Das Mentale Training to go (MTgo) des IAP richtet sich grundsätzlich an alle, die sich auf den Zürich Marathon 2018 vorbereiten. Aber natürlich können die vorgestellten Tipps und Übungen auch von anderen Sportlern/-innen genutzt werden.
Wir hatten schon früher eine lose Kooperation mit dem Zürich Marathon. Bruno Lafranchi, der ehemalige Spitzenläufer und Präsident des Zürich Marathon hat ein Faible für das Thema, er kennt die Wichtigkeit des Mentalen aus seiner eigenen Karriere. Ausserdem war es ihm ein Anliegen, dass man am Zürich Marathon nicht nur verbissene Gesichter sieht, sondern auch gelöste und glückliche. Zusammen haben wir in seinen Laufvorbereitungskursen Workshops zur Psychologie im Marathon durchgeführt und bei uns am IAP grosse Veranstaltungen zu diesem Thema organisiert. Die Resonanz der Teilnehmenden war immer sehr gut und das Interesse gross. Deshalb haben wir uns entschieden, für den Zürich Marathon ein mentales Vorbereitungsprogramm zu entwickeln. Letztes Jahr waren alle Inputs von mir, dieses Jahr konnten wir auch weitere Exponenten der Schweizer Sportpsychologie sowie eine bekannte Journalistin und Outdoor-Bloggerin für Beiträge gewinnen.
Wie funktioniert das Mentale Training to go?
Wir stellen auf der Seite www.zhaw.ch/iap/marathon Hintergrundinformationen, Tipps und Übungen zur mentalen Vorbereitung des Zürich Marathons zur Verfügung. Dabei bespielen wir die im Marathon wichtigen Bereiche Motivation, Aufmerksamkeit und Emotion. In den Beiträgen werden vor allem Grundtechniken des mentalen Trainings erklärt, jeweils kombiniert mit einer möglichst einfachen Übung. Die Idee dahinter ist, dass die Leute diese Übungen in ihre Trainings integrieren, damit spielen, variieren und anpassen, um für sich die nützlichen Aspekte mitzunehmen. Während des Zürich Marathons haben wir zudem auf der gesamten Laufstrecke riesige Tafeln mit Hinweisen zu den relevanten Bereichen platziert, welche die Läuferinnen und Läufern an ihre mentale Vorbereitung erinnern sollen. Das sind z.B. Hinweise wie “Wo ist dein Fokus?”. Der Hinweis alleine bewirkt natürlich wenig – er kann die Läuferinnen und Läufer aber an ihr Aufmerksamkeitsdrehbuch erinnern, welches als Übung im MTgo behandelt wurde.
Die Inhalte richten sich an ein breites Publikum und sind entsprechend angewandt und möglichst einfach dargestellt. Für viele Leute sind dies die ersten Berührungen mit sportpsychologischen Themen oder zumindest das erste Mal, dass sie mentale Trainingsformen an sich ausprobieren.
In diesem Jahr begleiten wir zwei Läufer, Ephraim und Pascal, die am Programm mitmachen. Auf unserem Video-Blog berichten sie jeweils in kurzen Videos, wie sie die Tipps und Inputs umsetzen konnten und was es für ihr Training bewirkt. Ihre Erfahrungen tauschen sie mit mir aus und ich beantworte im Blog auch ihre Fragen.
Welches Feedback bekommt ihr von den Teilnehmern?
Wir bekommen ausgesprochen positives Feedback. Eine Umfrage unter rund 100 Läuferinnen und Läufern im Nachgang des letztjährigen Zürich Marathon hat ergeben, dass 95% der Nutzer das MTgo als sehr gewinnbringend eingestuft haben. Der Nutzen wurde in Bezug auf verschiedene Zielebenen sehr individuell wahrgenommen: mental (z.B. verbessertes Lauferleben), taktisch (z.B. Einhaltung des Rennplans), technisch (z.B. Körperhaltung) aber auch leistungsmässig. Neben der Leistung wurde der Nutzen des MTgo vor allem für das Lauferleben sehr hoch eingeschätzt. Das war das schönste Resultat: Viele merkten, dass mentale Vorbereitung nicht nur etwas für Weltklasseläufer ist, die damit noch das letzte Quäntchen Leistung abrufen können, sondern dass es auch Nutzen auf ganz anderen Ebenen mit sich bringen kann. Das war ja auch immer eine Idee von Bruno Lafranchi: Nicht unbedingt schnellere Teilnehmer/innen, sondern glücklichere Gesichter auf der Laufstrecke und im Ziel. Gemäss Umfrage hat das MTgo definitiv einen Beitrag dazu geleistet.
Natürlich hören wir auch manchmal, dass die aufgeschalteten Übungen und Tipps zu „basic“ seien – dies in der Regel von Leuten, die bereits mit sportpsychologischen Themen vertraut sind. Es ist klar, die Seite ist keine sportpsychologische Weiterbildung, sie bildet eher einen Eindruck davon ab, wie man im sportpsychologischen Bereich arbeiten kann und kann als Einstiegshilfe in mentales Training verstanden werden.
Die Resonanz in den Medien war schon im vergangenen Jahr beachtlich. Warum ist das so und was bringt dies der Sportpsychologie ganz allgemein?
Der Zürich Marathon hat das Angebot als „ersten Marathon mit mentalen Verpflegungsposten“ vermarktet, das stiess natürlich auf Interesse. Dazu erfahren mentale Aspekte im Ausdauersport allgemein grössere Beachtung als in anderen Sportarten, denn die Wichtigkeit des Mentalen ist fast allen Läufer/innen klar.
Der Sportpsychologie selber verschafft es eine bestimmte Aufmerksamkeit, wie gesagt sind dies für viele Leute erste Berührungspunkte. Die für eine breite Masse aufgebauten Inhalte kommen sehr gut an. Dabei besteht aber auch immer die Gefahr, dass es allzu simplifiziert rüberkommt und die Leute denken, dass Sportpsychologie nichts Gescheites sein kann, wenn es so “einfach” ist.
Sind solche digitalen Beratungswege ein mögliches Szenario für die Sportpsychologie der nahen Zukunft?
Das glaube ich gar nicht. Es sind verhältnismässig einfache Tipps und Übungen, die wir auf der Seite aufschalten. Natürlich setze ich auch in Beratungen teilweise diese Methoden ein – das ist ja dann aber nur ein kleiner Aspekt der Beratung. Ein Angebot wie das MTgo kann niemals eine Beratung ersetzen.
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