Eigentlich war das folgende Interview das, was ich bereits als zweites in dieser Reihe führte. Das Problem war nur, dass es bis jetzt nie richtig fertig wurde, weil ich nur zwei Tage später Dennis Zimmermann zum Interview traf – und was diese Begegnung mit mir machte, wisst ihr alle (zum Interview mit Dennis).
Dabei hat die Begegnung mit dir, Simon, alle Klischees widerlegt, die ich doch so oft höre, dass alle Footballspieler in Wahrheit strohdoof seien. Beim angehenden Doktor der Sportwissenschaften ist das definitiv nicht der Fall.
Ich freue mich noch aus einem zweiten Grund: Denn endlich ist es so weit, dass in meiner Interview-Reihe auch die Defense mal zu Wort kommt. Und dann gleich Simon Gavanda – einer der besten Defense Liner in Deutschland, Spieler der Deutschen Football Nationalmannschaft.
Und noch was: Liebe Trainer und Manager aufgepasst, mein Interviewpartner ist immer noch nicht entschieden, wie und ob es mit ihm in der kommenden Saison weitergeht. Fest steht nur, dass er ab sofort die niederländische Jugend-Nationalmannschaft als Coach betreut. Als Spieler scheint er mir aber offen für gute Angebote zu sein. Wer also ein wenig Stimmung an der Kabine nötig hat und noch einen Führungsspieler in der Defense braucht, ist bei Dr. Henry Jekyll, äh Simon Gavanda sicher richtig.
Wie bist du zum Football gekommen?
Ich habe mit sechs Jahren einen Schwimmkurs gemacht und bin von dort direkt in einen Schwimmverein eingetreten. Dort hatte ich vier bis fünf Mal pro Woche Training. Zwischendurch habe ich zusätzlich noch ein bisschen Fechten „gemacht“ und kurze Zeit mal Judo ausprobiert. Beim Schwimmen bin ich allerdings geblieben, bis ich ca. 17 Jahre alt war. Da habe ich mich irgendwann gefragt, warum ich das überhaupt noch mache. Die Ansprüche wurden immer mehr. Jedes Wochenende Wettkämpfe, letztendlich Samstag und Sonntag von 8.00 Uhr bis 20.00 Uhr im Schwimmbad und das das ganze Jahr.
Ich habe noch drei Geschwister und meine Eltern haben unsere Sportwünsche immer bestmöglich unterstützt.
Mit 16 Jahren habe ich zusätzlich noch drei Mal in der Woche am Footballtraining teilgenommen und eine zeitlang alles gleichzeitig gemacht.
Der größte Unterschied für mich war, dass es mich erfüllt hat, ein Team zu haben und dass Kommunikation erlaubt und sogar erwünscht war. Im Schwimmen hieß es immer, wenn du reden kannst, kannst du noch schneller schwimmen. Da kam durch die fehlende Kommunikation kaum Teamgefühl auf.
Die Jugendmannschaft mit maximal 20 Spielern hatte sich gerade neu gegründet, der Verein selbst ca. ein Jahr zuvor. Wir alle haben uns ausprobiert, eigentlich hatte niemand zuvor jemals einen Football in der Hand. Ohne das meine Eltern diese Zeit finanziell, sowie zeitlich unterstützt hätten, wäre das niemals möglich gewesen.
Ab 2005 habe ich mich dann nur noch auf Football konzentrieren wollen.
Was konntest du vom Schwimmen mitnehmen?
Pünktlichkeit, Disziplin, Durchbeißen. Im Vergleich zu meinen anderen Teamkollegen ist mir vieles leichter gefallen. So haben schnell einige Mannschaftskameraden über das drei Mal pro Woche stattfindende Training gestöhnt – für mich war es eher eine Entlastung.
Wie war ab da dein sportlicher Werdegang?
2006-2010 habe ich dann in Stuttgart gespielt. In der ersten Herrensaison war ich direkt Starter in der 1. Liga. Dann bin ich nach Köln gezogen und habe angefangen Sport zu studieren. Mit mindestens vier Praxiseinheiten pro Semester habe ich dann zu Beginn erst einmal ein Jahr im Football pausiert. In dieser Zeit hatte ich auch eine Knieverletzung, die operiert werden musste. Den Football habe ich immer vermisst und auch nie aufgehört dafür zu trainieren, damit ich schnellstmöglich wieder spielen konnte.
2012 habe ich durch die Universität einige Spieler der Düsseldorf Panther kennengelernt, bin mit ihnen zum Training gegangen und habe letztendlich dort angefangen zu spielen.
2013 sowie 2014 haben wir in Düsseldorf insgesamt nur ein Spiel gewonnen. Unser Headcoach hatte damals gewechselt und die Art und Weise, wie das damals abgelaufen ist, war für mich nicht tragbar, so dass ich den Verein auch wechseln wollte.
Meinen Kontakt zu Stuttgart hatte ich nie verloren und so habe ich 2015 gesagt, dass, wenn sie mir einen Praktikumsplatz für mein Studium vor Ort besorgen würden, ich eine Saison für sie spielen würde. Headcoach Jemil Hamiko hat dies damals auf eigene Faust organisiert, was ich ihm nie vergessen werde. 2016 kamen unsere Vorstellungen dann leider nicht mehr überein und ich bin einem tollen Angebot von Frankfurt gefolgt. Seit dem habe ich mit einem anderen Spieler eine WG vor Ort und fahre Donnerstag bis Sonntag nach Frankfurt. Ich versuche Montag bis Mittwoch alles hier in Köln zu erledigen.
Wenn man in einem guten Verein der German Football League (GFL) spielen will, dann muss man im deutschen Football bereit sein auch weite Fahrten auf sich zu nehmen.
2009 war ich beim Tryout der Nationalmannschaft. Damals wurde mir gesagt, ich müsse schneller oder schwerer werden und bekam eine Absage. Dann hörte ich jahrelang nichts mehr von ihnen.
2014 war bei den Falcons, direkt neben meiner SportHOCHschule, ein Training der Nationalmannschaft und so habe ich mir das durch Zufall angeschaut. Anschließend hat mein Freund Raphael Llanos mich gefragt, warum ich eigentlich nicht dabei sei und hat den Kontakt zum jetzigen Defense Coordinator hergestellt. Und zwei Wochen vor der WM war ich dann ein Teil des Teams. Ohne ihn wäre das sicher nicht so gewesen.
Erinnerst du dich an dein erstes Spiel?
Für uns alle war das erste Spiel totales Chaos. Mit unseren Pads gab es damals Lieferschwierigkeiten und so kam unsere Ausrüstung erst im April und im Mai hatten wir unser erstes Spiel. Nicht mal vier Wochen hatten wir zuvor Vollkontakttraining gehabt.
2006 bin ich dann nach Stuttgart in die letzte Jugendsaison gewechselt und hatte direkt eine perfekt Saison.
Dort bin ich eigentlich auch erst fest zu meiner Position gekommen.
Was macht deine Position aus und ist sie für dich die Richtige im Nachhinein? Was ist für dich an Defense besser als an Offense?
Definitiv! Meine Position macht aus, dass man lieber austeilt anstatt einzustecken. Es gibt die, die immer scoren, immer glänzen wollen. Und dann gibt es die Bösen…
Bist du ein Leader?
Ich würde mich nicht als Leader bezeichnen. Auf dem Platz habe ich eher die Qualität andere in wichtigen Momenten wieder etwas „runter“ zu bringen.
Ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht, an wem es lag, wenn wir mal nicht gewonnen haben. Schuldzuweisungen machen meiner Meinung nach überhaupt keinen Sinn. Wenn jeder auf seiner Position das Beste gibt, wird es funktionieren.
Die Amerikaner übernehmen bei uns am meisten die Rolle des Antreibers und halten die bewegendsten Ansprachen. Allerdings wird sich in Frankfurt von Vereinsseite gewünscht, dass ich die Vorbildfunktion für andere Spieler übernehme.
Welche Vorbereitungen hast du am Spieltag?
Bei Heimspielen bin ich ziemlich früh im Stadion und ich ziehe mich eigentlich direkt schon um. Am Morgen selbst habe ich keine festen Rituale. Eine ziemlich lange Zeit hatte ich eine rote Glücksunterhose, die ich mal von meinem besten Freund bekommen habe. Die habe ich aus Spaß bei jedem Spiel getragen – natürlich immer frisch gewaschen. Irgendwann war sie allerdings leider kaputt.
Beim Kick-off stehe ich immer an der 30 Yard-line. Nach dem ersten Spielzug ist es dann für mich erst richtig gut, da komme ich erst wirklich mental richtig ins Spiel.
Bist du aufgeregt vor Spielen?
Das ist sehr unterschiedlich. Vor dem ersten Spiel gerade der aktuellen Saison war ich schon nervös nach so einer langen spielfreien Zeit. Aber nach all den Jahren mit all meiner Erfahrung hält sich das mittlerweile in Grenzen. Als ich früher in der Offense Line solche Typen wie Raphael Llanos gesehen habe, ist mir das Herz doch kurz in die Hose gerutscht – ich kannte solche großen starken Jungs nicht wirklich bis dahin.
Gab es in deiner Karriere Momente, in denen du dir sportpsychologische Unterstützung gewünscht hättest?
Nach meiner ersten ernstzunehmenden Verletzung 2007 hätte ich mir sportpsychologische Intervention gewünscht. Die dadurch entstandene Verletzungsangst, die ich durch die folgende Saison schleppte, wäre sicher ein spannendes gemeinsames Thema geworden. Damals hat es lange gedauert, bis ich gemerkt habe, dass ich meinem Körper wieder zu 100% vertrauen kann.
http://www.die-sportpsychologen.de/2017/05/11/dennis-zimmermann-no-regrets-warum-fragen-wir-nicht-einfach-die-besten-episode-2/
Inwieweit konnte dir dein Studium in der Ausübung deines Sports eine Unterstützung leisten? Welche Überschneidungen gab es?
Vor allem hat es mir Wissen vermittelt über Training, Ernährung und ein bisschen Sportpsychologie. Es hat mit geholfen, Kontakte zu knüpfen mit anderen Spielern im Kraftraum (Düsseldorf Panther, Cologne Crocodiles, Langenfeld Longhorns etc.). Dann, dass ich mein Deutschlandstipendium zur Finanzierung meines Masters durch Football erhalten habe.
Ich bekam Sonderurlaub von Seminaren während der EM. Mehr oder weniger konnte ich eine flexible Zeiteinteilung vornehmen. Mein Pflichtpraktikum während des Masters wurde in Stuttgart vom damaligen Headcoaoch organisiert. Meine Bachelorarbeit habe ich über Football geschrieben und für meine Doktorarbeit mit Footballern (Düsseldorf Panther) gearbeitet und geforscht. Zudem bin ich als Ausbilder im Verband tätig.
Irgendwie ging immer das Eine in das Andere über.
Was würdest du jungen Spielern raten?
- Früh ins betreute Kraft- und Konditionstraining einsteigen!
- Wer Ambitionen hat sollte zu einem großen Verein wechseln!
- Sich Vorbilder suchen!
- Kurz- und Mittelfristige Ziele setzen und etwas träumen (Fernziele)!
- Arbeiten, arbeiten, Arbeiten!
Gibt es etwas, dass du anders machen würdest an einem bestimmten Punkt deiner Karriere?
2011 würde ich im Nachhinein nicht mehr aussetzen. Ich würde früher das „Pumpen“ anfangen. Einige Spielzüge im Laufe der Jahre würde ich heute hoffentlich anders spielen.
Ist es deiner Meinung nach wünschenswert, die Sportpsychologie als festen Bestandteil im deutschen Football zu etablieren?
Es wäre super. Die Teamchemie bestimmt einen großen Teil des Erfolgs mit, deshalb sollte Teambuilding durch einen Sportpsychologen begleitet werden. Meine eigenen Verletzungserfahrungen haben auch deutlich gemacht, dass ich in dieser Zeit solche Hilfe dringend gebraucht hätte. Neben vielen anderen Faktoren im deutschen Football kann man hier noch eine Menge rausholen!
Trainer sollten hier aufgeschlossen gegenüber Experten von außen sein, egal ob Athletik, Ernährung oder Psychologie.
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