50 Prozent der 10-jährigen Kinder in Deutschland können nicht schwimmen. Diesen Fakt darf man sich ruhig erneut durch den Kopf gehen lassen: Jedes Zweite 10-jährige deutsche Kind kann nicht schwimmen! Schwimmbäder werden es immer weniger, Sportlehrer unterrichten Schwimmen, ohne dass sie selbst richtig wissen, wie Schwimmunterricht didaktisch sinnvoll aufgebaut wird. Manchmal wissen sie selbst nicht, wie man richtig schwimmt. Die Ausgangsbedingungen zur erfolgreichen Schwimmlernvermittlung sind eher dürftig und dennoch ist es unumstritten, dass es wichtig ist, dass unsere Kinder sicher schwimmen lernen. Das Seepferdchen reicht hier nicht aus!
Zum Thema: Didaktik, Methodik, psychologische Grundlagen – Die Fehler bei der Schwimmausbildung in Deutschland
Die Kinder in Deutschland liegen im Wasser auf dem Bauch und sie Schwimmen Brust. Es gibt vier Schwimmlagen: Freistil (oder auch: Kraul), Rücken, Delphin (oder auch: Schmetterling) und Brust. Brustschwimmen ist die technisch anspruchsvollste, langsamste und medizinisch ungesündeste Schwimmart. Haben sie mal einen Schwimmanfänger Brustschwimmen sehen? Es gleicht einem Überlebenskampf: Kopf im Nacken, damit kein Wasser in den Mund laufen kann, meist fast senkrecht im Wasser stehend, während mit Armen und Beinen waschmaschinenartig gekreist wird, damit man nicht untergeht. Im klassischen Schwimmunterricht schreit zeitgleich vom Beckenrand der Lehrer/die Lehrerin: „Mach dieses, tu jenes nicht und fass’ nicht am Rand an!“
Ich liebe Wasser! Wenn ich meinen Kopf untertauche, dann ist es berauschend still. Ich kann schwimmen, gar nicht mal so schlecht sogar. Ich halte mich regelmäßig in Schwimmbädern auf und beobachte Schulklassen, Kinder, Lehrer und Eltern im Schwimmbad. Ich habe noch nie jemanden beobachten können, der es aus sportlicher und pädagogischer Sicht, meiner Meinung nach „richtig“ macht. Ich war im Sommer mit einem 5-jährigen Mädchen im Schwimmbad. Sie kann noch nicht schwimmen und hatte Schwimmflügel um. Sie hat keine Angst vor Wasser – im Gegenteil! Sie hüpft immer wieder fröhlich vom Beckenrand und kämpft sich brustschwimmend zurück an den Beckenrand. Als ich sie auffordere, sich mal auf den Rücken zu legen, strampelt sie automatisch schnell mit den Beinen, ansonsten liegt sie ruhig und gerade da. Sie kommt unfassbar schnell voran. Ich lobe sie und sie sagt: „Ja, aber meine Lehrerin sagt, ich soll nicht so viel mit den Beinen strampeln.“ Ein Kind bewegt sich also schnell, sicher und richtig durchs Wasser und das soll es nicht? Das macht mich wütend!
Element Wasser: Faszination und Ungeheuer zugleich
Wasser kann einen Menschen tragen, ein Gefühl der Schwerelosigkeit erzeugen. Wasser kann einen nach Luft schnappen lassen und mit seiner unbändigen Kraft in die Tiefe ziehen. Wasser kann weich sein, Wasser kann hart sein. Wasser kann mit dir oder gegen dich sein. Wasser kann ein lebendiges und geborgenes Gefühl vermitteln. Wasser kann dich töten. Vielleicht ist die Kombination aus dem Facettenreichtum des Elements Wasser genau das, was seine Faszination ausmacht.
Kinder haben oftmals Angst vor Wasser. Manchmal haben sie schlechte Erfahrungen damit gemacht, manchmal haben sie „einfach nur“ Angst. „Du brauchst keine Angst haben“, reduziert die Angst nicht. Wie aus psychologischen Studien bekannt ist, verarbeitet das Gehirn das „Nicht“ nicht. Lasst uns den Kindern Sicherheit vermitteln, indem wir sie ins Wasser begleiten. Wenn sie Fahrradfahren lernen halten wir sie doch auch fest. Warum stehen die Lehrer*innen eigentlich immer „oben“, während die Kinder sich „unten“ einen abstrampeln? Auch ein langsames Ranführen an das Gefühl, wenn der Kopf unter Wasser ist, kann enorme Sicherheit geben. Wasser spielerisch erkunden, ohne gleich schwimmen zu müssen, kommt auch recht kurz. Ich weiß, dass all das in der Umsetzung möglicherweise schwierig ist. Letztendlich sollte Bund, Ländern und Kommunen eine sichere und spaßbetonte Schwimmvermittlung aber wichtig genug sein, um fachlich geschultes Personal und genügend Zeit zur Verfügung zu stellen. Denn: Am Ende rettet sicheres Schwimmen Leben!
Literatur:
Scheler, Fabian (2017): „Deutschland wird zum Nicht-Schwimmerland“. Quelle: http://www.zeit.de/sport/2017-06/schwimmen-nichtschwimmer-schwimmunterricht-dlrg-interview (aufgerufen am: 20.10.17)
Scheler, Fabian (2017): „Mit Brustschwimmen hält man sich gerade so über Wasser“. Quelle: http://www.zeit.de/sport/2017-08/schwimmen-kinder-sicherheit-sommer-dlrg (aufgerufen am: 20.10.17)
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Danke, danke und nochmals DANKE für dieses Statement. Ich bin ganz bei Ihnen. Denn ich habe selbst erst vor zwei Jahrem im Alter von 35 (meiner Tochter zuliebe) Schwimmen gelernt. Brustschwimmen kann ich bis heute nicht und die Angst schwimmt immer irgendwie mit. Also war das Thema Schwimmen schon früher nicht so einfach. Hätte ich das Schwimmen als Kind richtig gelernt, hätte ich vielleicht einen aktiveren Lebensstil entwickelt. Heute trennt mich das Thema davon einmal einen Triathlon zu probieren. Ich sehe auch nicht ein, warum Brustschwimmen DIE richtige Art und Weise sein sollte. Warum? Die anderen Stile funktionieren doch auch wunderbar.
[…] bin (nicht durch Zufall) auf einen Artikel von Lena Tessmer auf ‘Die Sportpsychologen’ gestoßen auf den ich gerne hier verweisen […]
Lieber Herr Möller, vielen Dank für Ihren Beitrag zu meinem Artikel. Einerseits freut es mich, dass ich das Thema für Sie treffend formuliert habe, andererseits bestätigt es die negativen Aspekte, die ich im Beitrag ausformuliere. Das ist natürlich gar nicht positiv! Ich wünsche Ihnen, dass Sie die Angst in Griff bekommen und eines Tages doch einen Triathlon absolvieren werden. Der richtige Trainer und möglicherweise ein Sportpsychologe könnten Sie diesem Ziel bestimmt ein gutes Stück näher bringen! Alles Gute, Ihre Lena Tessmer.
[…] http://www.die-sportpsychologen.de/2017/11/02/lena-tessmer-ein-wuetender-blick-auf-die-angstkultur-i… […]