Sie ballern und legen smoke. Sie schiessen am Bildschirm Tore für Schalke 04 und streben im Team nach Fame und hohen Sieg-Prämien. Die Rede ist von E-Sportlern, von Clans oder auch Vereinen, die getragen von Millionen Followern im Internet und vor grossem Publikum in riesigen Stadien ihre Wettkämpfe austragen. Bis anhin interessierte sich die Angewandte Sportpsychologie nicht um die oftmals als „nerds“ bezeichneten Computerfreaks. Das kürzlich im Penta Leistungssportzentrum durchgeführte Barcamp der „die-sportpsychologen“ eröffnete überraschende und interessante Einblicke.
Zum Thema: Spannende Schnittstellen zwischen (angewandter) Sportpsychologie und E-Sport
Eine persönliche Vorbemerkung zum Text scheint angezeigt: Ein „digital immigrant“ wird versuchen, in die Welt der „digital natives“ einzutauchen. Genauer gesagt geht es um eine Subkultur dieser digitalen Welt, die innert kürzester Zeit eine hochgradig professionelle Community mit einem weltumspannenden Millionenpublikum ausgebildet hat. Im herkömmlichen Sportverständnis könnte man von einem Trendsport sprechen, der sich in Windeseile zu einem Megasport mit olympischen Format emporhievt. Ein Beispiel: am «Dota 2», dem grössten E-Sport Event 2016 in Seattle, wurde ein Preisgeld von über 20 Millionen Dollar ausgeschüttet. Das siegreiche 5-köpfige Team aus China erhielt dabei 9 Mio, ihr Captain war gerade mal 18 Jahre jung. 20.000 Zuschauer waren in der Halle anwesend. Das Publikum feierte gelungene Aktionen und bejubelte die Stars wie bei einem Fussballspiel. Millionen Fans verfolgten weltweit die Live-Streams auf ESPN3 und der Gaming-Plattform Twitch.
Szenenwechsel: Barcamp im Penta Leistungssportzentrum in Berlin. Vertreterinnen und Vertreter der Sportpsychologie treffen hier auf die E-Sportler und die Macher von Penta Sports. Manuel Mahlich (CEO) und Felix Gräbeldinger (COO) und einige Spieler führen uns eloquent und ebenso professionell in die Welt des E-Sports ein. Ad hoc und den Themeninteressen der Anwesenden folgend, wird – wie dies das Tagungsformat „barcamp“ vorsieht – das inhaltliche Tagungsprogramm festgelegt. Ein erster Blick auf die derart entstandene Liste der präferierten Diskussionsthemen lässt die spannenden Schnittstellen zwischen (angewandter) Sportpsychologie und E-Sport deutlicher erkennen:
– Stress, Druck, Regeneration
– Teambildung insbesondere in neu zusammengestellten, internationalen Teams
– unmittelbare Wettkampfvorbereitung
– Teamleistung
– Manipulation und Doping
Steile Thesen
Ein erstes inhaltliches Fazit ist schnell gezogen. E-Sport muss und wird mit der Sportpsychologie vermehrt in Kontakt kommen. Dabei sind neben den oben aufgeführten Schlüsselthemen wichtige Rahmenbedingungen zu diskutieren, allenfalls auch zu klären. Diese Diskussion sollte zudem auch in einem grösseren Kontext stattfinden, da es sich bei den Akteuren sehr häufig um ein sehr junges Publikum handelt. Nachfolgend wird der Versuch unternommen, die vielen Eindrücke, offenen Fragen und inhaltlichen Diskussionen in einem thesengeleiteten Themenkatalog zu bündeln.
Alle Gamen (spielen) aber nur wenige sind E-Sportler!
Penta-CEO Manuel Mahlich bringt es mit folgendem Statement auf den Punkt. „Die Millionen die FIFA oder das am häufigsten gestreamte League of Legends spielen, betreiben Gaming – spielen es aus Plausch. Aber nur die E-Sportler verdienen damit Geld.“ Er verweist dabei auf den hohen Professionalisierungsgrad ihres Weltsports, der seiner Ansicht nach nur einen valablen Vergleich im herkömmlichen Sport kennt – dem Weltfussball! Üblich sei, dass die aus fünf Spielern bestehenden Teams vor wichtigen Meisterschaften täglich acht Stunden intensiv und zielgerichtet trainieren – sieben Tage die Woche. In der barcamp-Diskussion meinte die Hochsprung-Olympiasiegerin 1992 und heute auch im Bereich des Mentaltrainings tätige Heike Meier-Henkel: „Leistungssteigerung findet bei uns über die Regeneration statt“.
Wer E-Sport verstehen will, muss den Mut zum Perspektivenwechsel aufbringen!
Wenn ich mir als Psychologe das beliebte Spiel Counter-Strike: Global Offensive am Bildschirm anschaue, fällt es mir wahrlich schwer, darin einen direkten Sportbezug zu erkennen. Bei FIFA 18 lebt das Sportvehikel zumindest in der virtuellen Realität. Hört man Martin „Rekkles“ Larssen, einem Idol „League of Legends“ aufmerksam zu, so wird das Bild differenzierter: „Ich würde mich als nichts anderes als einen Athleten bezeichnen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das auch in der Gesellschaft akzeptiert werden wird.“ Die Spieler sprechen von Teamleistung, von Spielstrategie und Timing. In meiner Jugendzeit haben wir „Räuber und Bulle“ gespielt, uns mit Dreckbeuteln beworfen, Fallen gestellt und den perfekten Raub inszeniert.
E-Sport verändert Lebenspläne und Tagesabläufe!
„Für E-Sportler beginnt der Tag am Mittag. Spiele starten häufig erst in den Abendstunden und dauern aufgrund der Zeitverschiebungen nicht selten bis 04.00h“. Mit dieser Charakterisierung verweist Penta-COO Felix Gräbeldinger auf Besonderheiten im Umgang mit seinen Sportlern. Ein anwesender Spieler doppelt nach: „Früher habe ich täglich und sehr lange gespielt, bis ich ein Studium begonnen habe. Aktuell macht das Studium keinen Spass, also habe ich wieder mehr Zeit für meine Passion…“ E-Sport verändert nicht nur die Gewohnheiten der Teilnehmer sondern stellt das (soziale) Umfeld der Spieler auf eine hohe Belastungsprobe. Gerade in diesem Bereich erscheint eine professionelle Begleitung und Beratung der oftmals sehr jungen Sportler als unabdingbare Notwendigkeit. Aufgrund der sehr dynamischen Entwicklung im Feld ortet der renommierte „Spielsucht“-Experte Mark Griffiths (2017, p.63) hohen Handlungsbedarf. „The gambling and video game industries are always two steps ahead of the regulators, legislators, policymakers, and academic researchers. Therefore, the field is in a constant state of flux and needs monitoring closely for further change in an evolving market.“ Auch die bekannte Schweizer Medienpsychologin Sarah Genner (2017) ortet hier ein erhöhtes Forschungsinteresse an der Schnittstelle zwischen Sport- und Medienpschologie.
Mentale Stärke der E-Sportler ist jener anderer Spitzensportler vergleichbar! – oder doch nicht?
„Es ist ja bloss ein Spiel – wenn ich verliere, kann ich auf den restart-Button drücken und es beginnt wieder bei null“. Was bei den Spass orientierten Hobbyspielern zutreffen mag, ist im Profibereich des E-Sports mittlerweile undenkbar. Unter grossem Zeitdruck und vor tobendem Publikum bekämpfen sich die Teams auf ihrem langen Weg in einen schliesslich oft mehrstündigen Final. Die Rede ist schnell von „choking under pressure“ oder eben von einer zielführenden Spielstrategie, die dann, wenn’s zählt, umgesetzt werden muss. Daher rückt auch das Thema Sportpsychologie in den Fokus von Funktionären, Trainern und Spielen, die nach einem optimalen Umfeld zur Leistungserbringung suchen. Gleichwohl existieren im Bereich des E-Sports durch das junge Durchschnittsalter der Aktiven, hohe Preisgelder und großes Zuschauer- bzw. Faninteresse besondere Herausforderungen, bei denen sportpsychologische Experten helfen können.
Auch E-Sport muss verstehen: Es geht primär um Menschen und nicht nur um wirtschaftliche Interessen!
E-Sport ist mittlerweile „big business“ mit weltweiter Verbreitung. Wie Griffith (2017) betont, ist eine wissenschaftliche Begleitung ebenso schwierig wie notwendig. Aus Sicht der Sportpsychologie ergeben sich eine Vielzahl bedeutender Fragestellungen, die weniger den wirtschaftlichen, sondern verstärkt den individualpsychologischen Anliegen und Bedürfnissen der Akteure nachgehen sollen. Aus Sicht der Angewandten Sportpsychologie muss es u.a. vorrangig darum gehen, das psychologische Anforderungsprofil in den jeweiligen Disziplinen präzise zu ergründen, um sinnvolle Interventionen im Bereich der Trainingsgestaltung und Leistungsoptimierung zu entwickeln. Die pädagogisch ausgerichtete Sportpsychologie, die den jungen Menschen und seine Lebensqualität ins Zentrum ihrer Betrachtung stellt, wird sich in erster Linie um ihre Verantwortung im Dienste der Persönlichkeitsentwicklung kümmern. Eine ethisch-akzentuierte Sportpsychologie wird der Frage nachgehen: Dürfen wir, was wir könn(t)en?
Fazit
Die Sportpsychologie steht vor einer grossen Herausforderung. Die äusserst bereichernde Begegnung mit aktiven Spielern und den Vertretern von Penta Sports im Rahmen vom besagten Event ”Die rote Couch – Das Sportpsychologie-Barcamp” bestärkt mich in meiner Überzeugung, dass hier ein spannendes Handlungsfeld, insbesondere für junge Kolleginnen und Kollegen, entstehen wird. Wie sehr ich persönlich, als „digital immigrant“, in der Materie gefordert sein werde, wurde mir bei meiner Rückkehr in die Schweiz wunderschön vor Augen geführt. Als mich mein 16-jähriger Sohn Michael danach fragte, wen ich denn in Berlin getroffen hätte, antwortete ich eher beiläufig: Leute von Penta Sports! „Waaaas, du kennst Penta!“ Selten zuvor habe ich meinen Sohn dermassen euphorisch-überrascht erlebt!
Heike Meier-Henkel: „Sportler können von E-Sportlern lernen – und umgekehrt“
Quellen:
Genner, S. (2017). Digitale Transformation. Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche in der Schweiz – Ausbildung, Bildung, Arbeit, Freizeit. ZHAW, Fachgruppe Medienpsychologie.
https://www.ekkj.admin.ch/fileadmin/user_upload/ekkj/04themen/08Digitalisierung/d_2017_Bericht_Digitale_Transformation_Genner.pdf
Griffiths, M. (2017). The psychosocial impact of professional gambling, professional video gaming & eSports. Casino & Gaming International, 28, pp. 59-63. http://irep.ntu.ac.uk/id/eprint/30079/1/7570_Griffiths.pdf
http://penta-sports.com/die-rote-couch-das-sportpsychologie-barcamp/
https://www.youtube.com/watch?v=dWm-R9iyhBo
http://www.die-sportpsychologen.de/2017/04/26/thorsten-loch-esport-und-die-sportpsychologie/
https://newzoo.com/insights/rankings/top-games-twitch/
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Sehr gelungener Beitrag, Hanspeter! Danke dafür und auch für den Austausch vor Ort.
[…] Dr. Hanspeter Gubelmann: E-Sport – Mit guten (s)kills zum Sieg! […]
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