Sieben Monate vor der Mission Titelverteidigung in Russland überrascht Löw mit Aussagen zur einer neuen Fehlerkultur, die er etablieren will: Erkenntnisse und Entwicklung sind wichtiger als Ergebnisse (Süddeutsche, 13.Nov. 2017), sagte er kürzlich zum letzten Länderspiel des Jahres gegen Frankreich. Aber halt mal: Jeder Fußballer betrachtet Misserfolge oder Fehler als unangenehm. Es löst ein Gefühl von fehlender Leistungsfähigkeit aus. Fehler zu machen, gilt als Zeichen von Schwäche. Doch es gibt auch eine optimistischere Perspektive. In vielen Bereichen entfalten Fehler erstaunlich positive Wirkungen.
Zum Thema: Wie der Fußball durch einen professionellen Umgang mit Fehlern seine Entwicklung voranbringen kann.
Wir alle machen ständig Fehler. Als Kinder stolpern wir, fallen auf die Nase, stehen wieder auf und laufen weiter. Mitunter blutet das Knie, aber was macht das schon?! Im Fußball läuft es anders. Da wird die schlechte Leistung oder häufige Fehler im Wettkampf zum Stolperstein: Ersatzspieler! Im Leistungs- und Amateursport stehen die Mannschaften wöchentlich vor diesem Risiko, Fehler zu machen: kleine und große, reversible und irreversible. Nur wer nicht experimentiert oder neue Wege geht, macht auch keine Fehler und verweigert Entwicklungsschritte.
Fehlerkultur im Fußball
Die Fehlerkultur im Fußball ist eine Form von Organisationskultur, die darauf ausgerichtet ist, aus Fehlern in einem Verein zu lernen und diese als exzellente Lernquelle zu sehen, um die Zuverlässigkeit zu verbessern. Im Training und Wettkampf ist ein Fehler ein Spielzug bzw. eine Handlung, die normalerweise einen Verlust bzw. eine Minderung des Gewinns verursacht. Ein Fehler kann spielentscheidend sein, aber oft auch durch andere Handlungen ausgeglichen werden. Fußballer versuchen zunächst immer, Fehler zu vermeiden. Aber es genügt nicht, nur den Fehler vermeiden zu wollen. Wir müssen auch lernen, solche Fehler, die unweigerlich im Sport auftauchen, zu managen. Fehlermanagement im Fußball heißt für mich, den Fehler zu machen, ihn zu erkennen, ihn zu korrigieren und dabei auch die Konsequenzen anzugehen. Dazu gehört auch, über Fehler zu kommunizieren und die negativen Fehlerkonsequenzen zu minimieren. Training für Training. Wettkampf für Wettkampf. Hier einige Anregungen für eine bessere Fehlerkultur:
- Sportliche Vorteile durch Innovationen und durch experimentieren, folglich durch Fehleroffenheit, erlangen.
- Individuelle Kompetenzen stärken, wie die Fähigkeit Fehler zu antizipieren und Entscheidungen zu treffen.
- Fehler machen zu dürfen ist das neue Attribut der Freiheit und Entwicklung im Sport.
Für die Trainerperspektive:
- Geben Sie als Trainer eigene Fehler zu.
- Analysieren Sie mit dem gesamten Team, wie es zu dem Fehler kommen konnte.
- Sprechen Sie auch über mögliche Schuldzuweisungen und lösen Sie diese in der Diskussion auf.
- Ziehen Sie aus dem Fehler die notwendigen Schlüsse und legen Sie Maßnahmen für zukünftige Projekte fest.
- Sprechen Sie als Trainer Ihren Spielern das Vertrauen aus.
Lernen aus Fehlern
Aus Sicht der Psychologie werden Fehler als „eine Abweichung von einem als richtig angesehenen Verhalten oder von einem gewünschten Handlungsziel, das der Handelnde eigentlich hätte ausführen bzw. erreichen können“ betrachtet. Jetzt kommt die interessante Aussage! Ab sofort dürfen Sie beim Sport Fehler machen. Nein, Sie dürfen nicht nur, Sie müssen es sogar, denn: Ständig variierende und vom Idealbild abweichende Bewegungen sind der Schlüssel zu schnellen Fortschritten auf dem Weg zu einem effektiven Training (Hegen, Schöllhorn, 2012). Näheres dazu gerne über den Link: http://www.die-sportpsychologen.de/2017/05/23/dr-rene-paasch-torschusstraining-im-fussball/.
Nicht nur eine geführte Fehlerkultur braucht der Fußball sondern auch Führungskräfte, die verstehen, ganzheitlich zu arbeiten. Ein passendes Beispiel dazu ist unser Bundestrainer Joachim Löw.
Das kann jeder Trainer von Jogi Löw lernen
Jogi Löws Schlüssel zum Erfolg heißt 24,7. Fachleute nannten immer wieder diese Zahl, um den Überraschungssieg der deutschen Nationalmannschaft beim Confed Cup in Russland zu erklären. 24,7 Jahre. So jung war die deutsche Mannschaft im Durchschnitt, die das Team Chiles im Endspiel geschlagen hat. Talente früh fördern und ihnen die Chance geben, sich zu beweisen und erneuten Druck für Weiterentwicklung der „Weltmeister“ im Kader zu schaffen. Das können Trainer vom Bundestrainer lernen. Doch das ist längst nicht alles. Weitere Verhaltensweisen sind es, die Joachim Löw –aus der Ferne betrachtet – zu einem erfolgreichen Trainer machen:
Innere Ruhe: Unser Bundestrainer wirft so schnell nichts aus der Bahn. Eine Niederlage nicht und ein Sieg auch nicht. Löw beherrscht die Kunst, Siege wie Niederlagen in einen Zusammenhang zu setzen. In diesem Kontext spreche ich gerne von „in sich ruhende Führungskraft“. Sie verlieren sich nicht im Taumel der vermeintlichen Unbesiegbarkeit. Und sie lassen sich nicht in den Strudel einer Niederlage ziehen. Sie lernen aus Fehlern, ohne sich selbst über Misserfolge zu definieren.
Mut: Wer sich über eigene Fehler nicht zu lange einen Kopf macht, der kann auch mal mutig sein. Gutes Beispiel dafür ist der Confed Cup. Er hat den jüngeren Spielern das Vertrauen und somit die Chance gegeben, sich beim Confed Cup zu beweisen. Er ist ein Risiko eingegangen, was sich für ihn und für die Zukunft der Nationalmannschaft ausgezahlt hat.
Vorausschauend: „Ich habe mich auch als Führungskraft weiterentwickelt“, sagt Löw über sich selbst. Löw definiert sich als zielstrebige Führungskraft, die immer wieder an sich arbeitet. Wie anstrengend die Arbeit an sich selbst sein kann, hat Löw eindrücklich beschrieben. 2003 bestieg er den Kilimandscharo und geriet geistig und körperlich an den Rand seiner Kräfte. „Diese Grenzerfahrung hat mir gezeigt, dass es immer weiter geht“, berichtete er später. „Und wenn man das Ziel sieht, egal wie schwer es zu erreichen ist, dann dreht man nicht um! Diese Erkenntnis hat mir in meinem Leben immer geholfen.“
Empathie: „Ihr müsst heute so viel geben wie noch nie, dann werdet ihr das erreichen, was ihr noch nie hattet.“ Mit diesem Satz schickte Löw sein Team ins Endspiel der Fußball-WM in Brasilien. Eine weitere sehr prägende Aussage Löws: „Zeig der Welt, dass Du besser bist als Messi!“ Das gab der Bundestrainer dem Stürmer Mario Goetze mit auf den Weg, als er ihn im Finale einwechselte. Wenig später schoss dieser Deutschland zum WM-Titel. Ein Satz, der große Gefühle anspricht und motivierend wirkt.
Team: Hat es ein Spieler aber erst einmal in die Nationalmannschaft geschafft, wird er geführt und bestärkt vom Teamgeist. Die Mannschaft steht über allem. Für die Mannschaft müssen alle persönlichen Eitelkeiten zurückstehen. Es ist eine Ehre, dazuzugehören. Alle verlieren und alle siegen zusammen. Weiteres zum Thema Führung und Teamentwicklung im Fußball finden Sie hier:
Löw setzt großes Vertrauen in jeden Einzelnen und vermittelt: “Nur gemeinsam sind wir stark.“ Dabei kümmert er sich auch um persönliche Belange seiner Spieler, coacht sie bei Karriereentscheidungen oder erarbeitet individuelle Entwicklungsziele. Er interessiert sich sehr für seine Spieler. Diese Herangehensweise ist ein Schlüssel zum erfolgreichen Führen von Teams.
Fazit:
Eine Fehlervermeidungskultur durch zu hohe Ansprüche führt im Fußball häufig zu negativen Fehlerkonsequenzen. Der Trainer erwartet weniger Fehler und der Erfolgsdruck steigt. Da Fehler negativ besetzt sind, entsteht ein Prozess der Beschuldigungen. Außerdem werden Fehler unter den Teppich gekehrt, anderen zugesprochen oder nicht kommuniziert. Neben der Fehlervermeidung muss also bewusst eine Fehlermanagementkultur im Sport etabliert werden, um Entwicklung zu fördern. Des Weiteren ist festzuhalten, dass nicht nur die Fehlerkultur und das differenzielle Lernen wichtig sind sondern auch die Führungsqualitäten des Trainers. Viele grundlegende Eigenschaften, die wir von unserem Bundestrainer mitnehmen können sind: Innere Ruhe, Mut, stetige Entwicklung, Empathiefähigkeit, Teamgeist und Kommunikationsbereitschaft.
Literaturverzeichnis
Hegen, P. , Schöllhorn, W. (2012): Lernen an Unterschieden und nicht durch Wiederholung – Über ‚Umwege’ schneller zur besseren Technik: Differenzielles Lernen im Fußball; Fussballtraining, (2012) 03; S. 30-37
Wolfgang A. (Hrsg.): Fehlerwelten. Vom Fehlermachen und Lernen aus Fehlern. Leske und Budrich, Opladen 1999, ISBN 3-8100-2343-4.
Internet:
http://www.die-sportpsychologen.de/2017/05/23/dr-rene-paasch-torschusstraining-im-fussball/.
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