„Riesen-Eklat“, „Skandal“ oder: „Was die Fussball-Schweiz an diesem Abend gesehen hat, wird um die Welt gehen: Ein Klub-Präsident verprügelt einen TV-Experten und den ehemaligen Trainer der Schweizer Nationalmannschaft.“ Tatsächlich wird die physisch-aggressive Attacke des Sion-Clubpräsidenten Christian Constantin ein breites und internationales Echo erfahren. Insbesondere aus sportethischer Sicht ist zu hoffen, dass diesem widerwärtigen Verhalten vehement und entschlossen begegnet wird. Trotz allgemeiner Entrüstung und grundsätzlichem Konsens bezüglich der Verwerflichkeit der gezeigten physischen Aggression muss sich das System „Spitzensport“ auch fragen: Was lernen wir aus diesem Vorfall und wie kann die Sportpsychologie dabei behilflich sein?
Zum Thema: Umgang mit Narzissmus im Profi-Sport
Per Definition versucht die Sportpsychologie, menschliches Verhalten im Rahmen sportlicher Aktivitäten zu beschreiben, zu erklären, vorherzusagen und zu beeinflussen – und damit das gewonnene Wissen praktisch anzuwenden (Alfermann & Stoll, 2017) Die „innere Logik“ der beschriebenen Eskalation scheint auch aus alltagspsychologischer Sicht klar: Da der seit langem pointiert und zuweilen heftig kritisierende TV-Experte Rolf Fringer – auf der anderen Seite das tief gekränkte Ego eines leidenschaftlichen Fussballclub-Präsidenten Christian Constantin. Das Pulverfass vollends zur Detonation brachte das öffentlich gemachte Statement Fringers im Interview des TV-Sender Teleclub:
«Man muss wirklich sagen, er (Constantin) ist ein Narzisst, schaut nur für sich, hat null Empathie und Gefühle für andere Leute. Deshalb verursacht er das Chaos immer selber. Ich bin schon lange im Fussball. Man hat immer gesagt, er sei ein Farbtupfer in der Liga. Das ist gut für die Boulevardzeitung, dann läuft etwas. Aber mittlerweile muss ich sagen, dass das Ganze fast lächerlich wird. Es ist Jahr für Jahr der gleiche Stuss.»
Quelle: Kick-Off – Die Fussball-Vorschau – RSL Runde 8
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Offensichtlich wusste Fringer genau, wovon er sprach, als er Christian Constantin als „Narzissten“ beschrieb. In der klinische Psychologie ist von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung dann die Rede, wenn Egozentrik, krankhafte Empfindlichkeit und mangelndes Einfühlungsvermögen die hervorstechenden und unübersehbaren Merkmale eines Menschen sind.
Die narzisstische Persönlichkeit – ein psychodynamisches Pulverfass!
Ein Narzisst braucht unentwegt seine Zufuhr von Bewunderung. Er beschäftigt sich übermässig mit Themen wie Geld, Macht und Luxus und hält sich überwiegend in der Gesellschaft von Personen auf, die seiner würdig sind und seinem Status gerecht werden. Narzisstische Persönlichkeiten bezeichnen sich selbst für besonders bedeutungsvoll, zeigen ein sehr hohes Bedürfnis nach übermässiger Bestätigung und unkritischer Bewunderung und glauben, Vorrechte gegenüber anderen zu geniessen. Im Umgang mit anderen Menschen wirken sie meist arrogant, treten besserwisserisch auf, verhalten sich in zwischenmenschlichen Beziehungen ohne Empathie – häufig sogar ausgesprochen ausbeuterisch, indem sie den Nutzen anderer vor allem zum Erreichen eigener Ziele einsetzen.
Ein Hauptsymptom einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung zeigt sich in einer erhöhten Verletztlichkeit. Der Narzisst spürt rachsüchtige Wut als Reaktion auf Kränkungen und persönliche Verletzungen. Er hat das Gefühl, stets im Recht zu sein und hat dabei niemals ein schlechtes Gewissen. Kurzum: Wird der Narzisst von seiner narzisstischen Zufuhr abgeschnitten, reagiert er gereizt, nervös, ungeduldig, launisch, wütend und feindselig.
Schutz vor der zerstörerischen Kraft von Narzissten!
Die narzisstische Persönlichkeitsstörung hat viele Gesichter und Ausdrucksformen. Es gibt leichte Formen des Narzissmus, die im Alltag kaum bemerkt werden. Davon unterschieden werden momentane und vorübergehende narzisstische Reaktionen bis hin zu hochgradigen destruktiven Charakterveränderungen. Die Ursachen dieser Persönlichkeitsstörung sind in einer genetischen Veranlagung, aber auch in der Kindheit zu suchen. Hochgradige Ausprägungen dieser Störung gelten als schwierig therapierbar.
Der Umgang mit Narzissten ist im Sport – wie auch in anderen Lebensbereichen – sehr anspruchsvoll. Eine Hauptaufgabe der Angewandten Sportpsychologie kann darin bestehen, potentielle Opfer (häufig auch junge AthletInnen, vgl. Straub, 2017) vor der zerstörerischen Kraft von Narzissten zu schützen. Hierzu kann eine Psychoedukation zu Themen wie Früherkennnung, Umgang und Selbstschutz zweckdienlich sein. In der diagnostischen Abklärung der klinischen Psychologie kommt häufig ein spezifisches Inventar (DSM-IV) zur Anwendung, welches – auch für einen Laien nachvollziehbar – auf den vier „E“-Wesenszügen basiert: Egomanie, eine wahnsinnige Empfindlichkeit, ein Empathie-Mangel sowie die Entwertung anderer.
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Gefährliche Ironie
Von einer sportpsychologischen Unterstützung im Umgang mit Narzissten könnten auch Medienschaffende profitieren. Fühlt sich ein Narzisst nicht ernst genommen, so bringt ihn das auf die Palme. Ein in der medialen Öffentlichkeit der Lächerlichkeit preisgegebener Egoman wird schäumen vor Wut. Er wertet dies als heftigen Angriff auf seine geniale Person und wird dementsprechend massivste Hass- und Rachegefühle entwickeln. Wie am Beispiel von Rolf Fringers Ausssage überdeutlich wird, sollten Journalisten besser auf Ironie und Spott in ihren Analysen verzichten.
Eine direkte psychotherapeutische und/oder psychiatrische Intervention scheint nur in Fällen angezeigt, wo der Betroffene selbst den Wunsch dazu äußert und zur Selbsterkenntnis findet, an einem krankhaften Verhalten zu leiden. Viel häufiger wird sich der Narzisst aber auf sein grandioses Selbstbild stützen und Fehler oder Ursachen bei anderen suchen wollen.
Ich kann nicht sagen, dass ich es bereue!
Christian Constantin zeigt auch am Tag nach seinem Ausraster keine Reue. Den tätlichen Angriff auf den TV-Experten bezeichnet er in einer mündlichen Stellungnahme weiterhin als legitim. Er habe Fringers Erinnerung auffrischen wollen und eben auf Walliser Art gehandelt. Es sei halt passiert. Seine Devise lautete: „Wenn man attackiert wird, muss man sich wehren. Ich habe ihn gepackt und in den Arsch getreten. Es fühlt sich gut an. Ich regelte es, wie es Kinder tun. Ich kann nicht sagen, dass ich es bereue.“ Er glaubt sich weiterhin im Recht, äussert sich auch weiterhin völlig uneinsichtig.
Constantin ist ein Wiederholungstäter. Schon 2004 wurde er handgreiflich und attackierte einen Schiedsrichter mit einem Fusstritt in den Unterleib. Das Amtsgericht Luzern sprach ihn 2007 der einfachen Körperverletzung schuldig und verhängte eine bedingte Geldstrafe. Physische Gewalt im Alltag ist gesellschaftlich noch stärker geächtet als damals. Das wird der Clubpräsident des FC Sion zu spüren bekommen.
Quellen:
Alfermann, D. & Stoll, O. (2017). Sportpsychologie in 12 Lektionen, 5. überarbeitete Auflage. Aachen: Meyer & Meyer.
Straub, G. (2017). Avoid being coach. Spekulationen über elterlichen Narzissmus im Nachwuchsleistungssport. Leistungssport 4/17, S.24-29.
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