Vom 21. bis 24. September 2017 finden im französischen Ort Saint-Pierre-lès-Elbeuf die Europameisterschaften im Pétanque statt. Das deutsche Senioren-Team um Marco Lonken, Jannik Schaake, Moritz Rosik und Marco Schumacher (Teammitglied Raphael Gharany war verhindert) träumt im Vorfeld von einer Medaille. Andreas Meyer von „Die Sportpsychologen“ traf die Auswahl bei einem Vorbereitungswettkampf in Düsseldorf und überzeugte sich davon, welchen großen Stellenwert die Sportpsychologie in dieser Randsportart hat.
Für die-sportpsychologen.de berichten:
Marco Schumacher, Marco Lonken, Jannik Schaake und Moritz Rosik (Interview: Andreas Meyer, zur Profilseite von Andreas)
Könnt ihr mir verraten, wie lange ihr im Pétanque tätig seid, wie ihr dazu gekommen seid und in welchem Verein ihr spielt?
Marco L: Ich spiele jetzt seit drei Jahren für Düsseldorf sur place und habe vorher bei meinem Vater im Verein in Solingen gespielt. Insgesamt spiele ich jetzt seit zehn Jahren Pétanque. Zum Boule gekommen bin ich über meinen Vater. Ich habe in Solingen auf dem Platz gestanden und wurde einfach von jemandem angesprochen, ob ich nicht ein Turnier in NRW spielen möchte. Und so hat es angefangen.
Jannik: Zum Boule spielen kam ich eher durch Zufall im Urlaub auf einem Campingplatz. Dort wurde eine Boule AG angeboten und dort habe ich dann mitgemacht. Mein Onkel spielt auch schon seit Ewigkeiten Boule und ich habe dann dort im Verein angefangen. Das war dann in Waldhofen in der Nähe von Mannheim, dort habe ich zwei Jahre gespielt. Anschließend bin ich nach Sandhofen gegangen, dort habe ich dann zwei Jahre in der Bundesliga gespielt und weitere sieben Jahre in der Landesliga Baden-Württemberg. Nun bin ich seit drei Jahren in Freiburg. Mein Heimatverein und dort wo ich auf dem Platz stehe und trainiere ist aber weiterhin in Sandhofen.
Marco: Ich spiele mittlerweile seit 15 Jahren Boule. Bin an die Sportart über meinen Vater rangekommen, das war eine ganz witzige Situation. Der war immer wieder Samstagnachmittags mal nicht zu Hause und ich habe meine Mutter gefragt, was er macht. Sie sagte mir dann, dass er Boule spielen ist und dann bin ich irgendwann einfach mal mitgekommen, habe Spaß daran gefunden und bin dabei geblieben. Mein erstes Turnier habe ich allerdings erst drei Jahre später bestritten, denn ich wusste anfangs nicht einmal, dass so etwas angeboten wird. Unter anderem habe ich bereits für Hannover und Bonn gespielt. Seit zwei Jahren spiele ich nun hier in Düsseldorf.
Moritz: Also, ich spiele seit neun Jahren Boule und bin durch meinen Opa dazu gekommen. Neben unserem Fussballplatz in Lintorf war auch ein Bouleplatz und dann habe ich dort manchmal einfach mitgespielt. Dann hatte ich Glück, dass die Nationaltrainerin in Duisburg gewohnt hat und in Lintorf selber trainiert hat. Sie hat mich an die Hand genommen und angefangen mich zu trainieren und nach einem Jahr durfte ich dann in der Jugendnationalmannschaft spielen. Groß geworden bin ich in Lintorf, spiele aber jetzt seit fünf Jahren für Düsseldorf sur place.
Nun wollen wir uns etwas spezifischer mit eurer Sportart auseinandersetzen. Was sind eurer Meinung nach Faktoren, die man benötigt, wenn man erfolgreich Pétanque spielen möchte?
Jannik: Also, ich würde sagen, es ist auf jeden Fall auch Kopfsache. Ich kenne viele Boulespieler, die im Training gut spielen aber im Turnier an ihre Grenzen stoßen. Nur wenige bringen es auch in engen Situationen auf den Platz, was sie im Training abrufen können. Ansonsten ist es wichtig, dass die Technik da ist.
Moritz: Es ist auch Training, ganz viel Training und viele Turniere spielen, um einen Rhythmus reinzubekommen. Desto mehr Spiele man auf hohem Niveau beschreitet, desto leichter fällt es einem dann auch auf großen Turnieren mit Zuschauen usw. seine Leistung abzurufen. Viele haben Probleme, sobald der Druck ein bisschen steigt, deshalb finde ich spielt das mentale eine große Rolle.
Ich habe rausgehört, dass die mentale Komponente für euch, neben der Technik eine sehr wichtige Rolle spielt. Welche mentalen Aspekte findet ihr denn besonders wichtig?
Marco: Ich finde es ganz wichtig, dass man negative Erlebnisse so schnell wie möglich wieder aus dem Kopf bekommt. Dass man sich nicht, nach einer schlechten Aktion für den Rest des Spiels runterziehen lässt, sondern das schnell wieder aus dem Kopf raus bekommt, um für die nächste Aufgabe fit zu sein.
Moritz: Es ist auch wichtig, dass wir in einen Tunnel kommen und die störenden Einflüsse von rechts und links nicht mehr so wahrnehmen. Es ist gar nicht so einfach, auch wenn man es unbedingt möchte. Eigentlich wäre es gut, wenn man eine Strategie hat, damit einem dieser Schritt leichter fällt. Man versucht sich eine Strategie zurechtzulegen, indem man reflektiert, wie war das, als du das letzte mal im Tunnel warst? Wie genau bist du damals dahin gekommen?
Könnt ihr euch an Beispielsituationen erinnern, in denen ihr solche Aspekte, die ihr einer mentalen Komponente zuschreiben würdet, im Spiel angewendet habt?
Marco L: Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wenn man im Team spielt, dass derjenige, der an der Reihe ist, von seinen Mitspielern Unterstützung erhält.
Moritz: Bei mir persönlich ist es so, dass wenn ich merke, dass etwas nicht gut läuft, dass ich versuche, immer die gleichen Abläufe ablaufen zu lassen. Vor der Weltmeisterschaft in Gent habe ich mich auch mal mit Daniel Dias zusammengesetzt, denn ich weiß, ich habe ein Problem, wenn rechts und links von mir sehr viel los ist. Dann kann ich mich nicht gut konzentrieren. Wir haben dann aufgeschrieben, welche Faktoren mich am meisten beeinflussen und irgendwie hat das geholfen. Aber so explizit mental gearbeitet habe ich eigentlich sonst noch nicht.
Jannik: Ich habe mich zweimal mit der Sportpsychologin vom SV Waldhof Mannheim getroffen, die mir ein paar Tricks verraten hat. Es gibt eigentlich kaum eine Sportart, in der du mehr mit dir selbst redest als im Boule und unheimlich viel nachdenkst, das liegt auch daran, dass du in dieser Sportart so viele Pausen zwischen der eigentlichen sportlichen Handlung hast. Gerade in engen Situationen oder wenn es schlecht läuft wird dieser Zeitraum hinsichtlich Selbstgespräche und Gedankengänge extrem spannend.
Habt ihr Tipps, welche Strategien bei euch wirken, damit ihr euch besser fokussieren und konzentrieren könnt?
Jannik: Bei mir läuft es immer so, dass wenn mal irgendwas nicht geht, dass ich mir dann die Zeit nehme und bewusst aus dem Kreis heraustrete und noch mal vorlaufe, dann ruhig zurückkomme und anschließend meine Kugel spiele.
Wie geht es euch hinsichtlich der Nervosität?
Marco: Ich finde es schwierig, wenn man nervös ist, aus diesem Zustand wieder herauszukommen. Häufig ist es so, dass man in einer Art Teufelskreis festsitzt, dann wieder eine Kugel festhält und dadurch noch nervöser wird.
Wie schafft ihr es denn, solche Negativserien oder Teufelskreise zu durchbrechen? Was sind eure Strategien hierfür?
Marco L: Ich erinnere mich dann immer an die schönen Momente zurück, wo Dinge gut geklappt haben und erinnere mich daran, dass es mir Spaß macht. Dann geh ich in den Kreis und mach das genauso.
Marco: Oftmals ist es so, dass dann auch ein Positionswechsel nicht verkehrt ist. Wenn man beispielsweise als Tireur gerade nur „locht“ und man sich fühlt sich als hätte man einen Knoten im Arm, dann tut es meist gut, einfach mal zu drehen und mal vorzulegen. Häufig reicht das schon, wenn man das mal ein bis zwei Aufnahmen macht und sich dort wieder Erfolgserlebnisse holt. Danach kann man ja dann wieder zurück auf die Tireur Position wechseln.
Im Pétanque gibt es verschiedene Spielsysteme. Man kann zum Beispiel einzeln im Tête a Tête starten, oder auch gemeinsam im Doublette oder Triplette. Was davon spielt ihr am liebsten und worin unterscheiden sich diese Spielweisen außer an der Personenzahl?
Jannik: Im Triplette kannst du immer mal einen der schlecht spielt ein bisschen „verstecken“. Auf sehr hohem Niveau geht das dann allerdings nicht mehr. Wenn im Doublette einer schlecht spielt, wird es schon sehr schwer, ein Spiel gegen einen guten Gegner dennoch offen zu gestalten. Und im Tête bist dann wirklich von deiner Leistung abhängig, da kann dir von außen erstmal keiner helfen.
Marco: Das Angebot an Tête Turnieren ist hier in Deutschland auch sehr begrenzt, sodass man meistens als Doublette oder Triplette startet.
Wenn ihr im Doublette oder Triplette startet, wie gestaltet ihr da eure Kommunikation? Wer trifft die Entscheidungen? Gibt es einen Kapitän, der das letzte Wort hat?
Marco: Meiner Ansicht nach ist es am besten, wenn so wenig wie möglich geredet wird, denn dann ist eigentlich immer die Situation klar. Wenn man über jede Kugel anfängt zu diskutieren, dann stimmt im Team irgendwas nicht. Es gibt im Spiel eigentlich nur wenige Situationen, in denen es nicht direkt klar ist, wie man weiter vorgeht. Ich als Coach werde im Schnitt pro Spiel vielleicht einmal gefragt, wenn überhaupt.
Und die Rolle des Teamcaptain, die wechselt auch häufig während eines Turniers oder sogar innerhalb eines Spiels einmal. Wenn jetzt beispielsweise Moritz einen schlechten Tag hat und Jannik und Marco spielen sehr gut, dann wird sich Moritz auch automatisch etwas mehr zurückhalten. Das ergibt sich meistens auch so im Spiel, dass der, der gerade am stärksten ist, auch die Führung übernimmt.
Jannik: Richtig! Das ergibt sich und ist nicht unbedingt vorher festgelegt.
Marco L: Es gibt aber auch andere Rollen, zum Beispiel ist es klar, dass derjenige bei knappen Entscheidungen misst, der keine Kugeln mehr hat, damit derjenige mit Kugeln in seinem Tunnel bleiben kann.
Marco, du bist ja Coach der Mannschaft. Ich habe es so rausgehört, dass du eher eine passive Rolle einnimmst und nicht so oft von außen eingreifst. In welchen Situationen kommt es denn vor, dass dich die Spieler um deinen Rat fragen?
Marco: Es sind, wenn dann irgendwelche taktischen Geschichten. Am ehesten passiert so etwas im Triplette, da stehen sich am ehesten mal zwei Meinungen gegenüber und ich werde zu Rate gezogen. Von außen eingreifen tue ich nur, wenn ich merke, dass taktisch etwas völlig falsch läuft. Beispielsweise wenn ich von außen das Gefühl habe, dass die Spieler eingeschüchtert sind und viel zu defensiv spielen. Ansonsten halte ich mich sehr zurück, denn ich war auch selbst mal Spieler und habe es schrecklich gefunden, wenn man sich von außen immer wieder ungefragt einmischt. Das will ich also vermeiden.
Moritz: Aber es gibt auch weitere Rollen des Coaches, die er einnimmt, beispielsweise zwischen den Spielen. Das ist ganz wichtig, da haben wir einen Ansprechpartner, da können wir hingehen, der sieht das Geschehen von außen. Außerdem hat das bei uns auch schon eher freundschaftlichen Charakter, das erleichtert vieles und wir vertrauen auch einander, das ist ein riesen Vorteil bei uns in der Mannschaft. Man kann auch mal Spaß machen miteinander, das hilft.
Marco L: Marco kümmert sich auch um uns, wenn wir Bedürfnisse haben. Er merkt es zum Beispiel auch, wenn er uns mal aufbauen muss.
Wie seht ihr die Sportpsychologie im Pétanque in Deutschland und was denkt ihr, machen die großen Nationen wie Frankreich oder Belgien?
Marco: Ich könnte mir schon vorstellen, dass da Frankreich mehr macht als hier bei uns. Die versuchen alles rauszuholen, was geht.
Jannik: Hier in Deutschland würde ich sagen, ist es eher noch gar nicht integriert.
Moritz: Also ich bin mir sicher, dass die Franzosen auch mentales Training machen. Die haben immer auch Physiotherapeuten und einen Arzt dabei. Die kommen ja immer mit einer ganzen Truppe, auch mit Leuten, die die Spiele filmen und mitschreiben. Also die werden sicherlich auch mentales Training machen, die sind auch immer so abgebrüht. Das nicht nur hin und wieder, sondern sie bewegen sich einfach immer konstant auf hohem Niveau.
Denkt ihr Deutschland hat in dieser Hinsicht Nachholbedarf? Seht ihr in dem Training mentaler Fähigkeiten eine Möglichkeit den Sport voranzutreiben?
Jannik: Ja, das denke ich schon. Ich kenne auch Spieler, die genau das momentan sehr gut gebrauchen könnten. Da gibt es super gute Spieler, die das was sie können, einfach nicht mehr auf den Platz bringen und da einfach im Kopf nicht stark genug sind. Bei mir persönlich war das auch so, dass ich Probleme in dieser Hinsicht hatte und ich war froh, dass ich jemand hatte, der mir da geholfen hat. Es wäre ein großer Vorteil, wenn man dort einen hat, der Hilfe anbietet.
Marco: Das denke ich auch. Denn gerade bei Pétanque auf hohem Niveau hängt 70-80% vom Kopf ab. Von daher wäre es eine gute Möglichkeit, die Spieler auf hohem Niveau stabiler zu machen.
Wo liegen in eurer Mannschaft die Stärken?
Moritz: Wir verstehen uns auch sehr gut privat, das ist schon mal ganz wichtig. Wir haben auch keine großen Differenzen, die sich auf unser Spiel auswirken können. Außerdem schätzen wir uns als Spieler gegenseitig und wissen, was der andere kann. Zudem haben wir einen super Coach dabei, mit dem man auch Spaß haben kann. Und wir wissen auch, dass wenn wir unser Potenzial abrufen, dass wir jeden schlagen können, auch die Großen. Wir müssen uns da nicht verstecken.
Habt ihr für die Europameisterschaft ein gemeinsames Ziel?
Jannik: Natürlich gehen wir mit der Einstellung ran, dass wir jedes Spiel gewinnen wollen. Wenn dann nachher eine Medaille dabei herauskommt, dann sind wir mit Sicherheit sehr zufrieden.
Moritz: Das sehe ich auch so, wieder eine Medaille zu gewinnen wäre schon super.
Marco: Ich denke, da sind wir uns als Team einig!
Ich danke euch, dass ihr euch die Zeit genommen habt und euch auf dieses Interview eingelassen habt. Ich wünsche euch viel Erfolg bei der Europameisterschaft!
Mehr Infos zum Deutschen Verband und zur Europameisterschaft 2017:
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