Lena Tessmer: Die Ressource Eltern

Zu viel Druck, zu viel Disziplin, zu wenig Freizeit, zu wenig Kindheit, zu viel Vereinnahmung, zu wenig Selbstbestimmung. Der Nachwuchsleistungssport in Deutschland ist umstritten. Die Rolle der Eltern auch. Von Doppelbelastung ist die Rede und von Eltern, die ihre nicht gelebten Träume auf die Kinder projizieren. Die Eltern von leistungssportlich engagierten Kindern kommen in den medialen Berichterstattungen meist schlecht weg. Ist die Realität tatsächlich so einseitig? Wie ist bei diesem Thema die Rolle der Sportpsychologie zu verorten und was können die Experten unterstützend beitragen?

Zum Thema: Was bedeutet es für Eltern, ein Kind in den Leistungssport zu begleiten?

Es ist ein schmaler Grat zwischen Fordern und Fördern, auf dem Eltern sich bewegen. Zahlreiche wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass es zwischen Unterstützungsleistung der Eltern und dem Erfolg der sportlichen Karriere des Kindes einen Zusammenhang gibt. Bezüglich vorhandener sozialer Ressourcen im Leben der jungen Sportler steht die elterliche Unterstützung sogar auf Platz 1. Während sie also viel richtig machen können, scheint es medial besonders wirksam zu sein, zu beleuchten, was sie alles falsch machen. Aber es gibt sie, die Durchschnittseltern, die sich liebevoll kümmern, die sich hinterfragen, die das leistungssportliche Engagements ihres Kindes reflektieren und unterstützen und die gelegentlich überfordert sind?

Oder schauen wir uns beispielhaft das Thema Überforderung an. Letztere kann von sportbezogenen Emotions- und Motivationsfragen herrühren. Oft stellen sich Eltern in diesem Zusammenhang Fragen, wie: Ist die sportliche Lustlosigkeit auf pubertierendes Verhalten oder tatsächlich verlorener Lust am Sport zu deuten? Ist die niedrige Frustrationstoleranz und folgende Aggression des Kindes noch „normal“? Wie kann die Enttäuschung über eine sportliche Niederlage familiär aufgefangen werden?

Elterncoaching und Sportpsychologie

Wie kann diesen Fragen nun begegnet werden? Die gesamte Erfahrungswelt des Kindes zu verstehen kann äußerst hilfreich sein, um die emotionale Bandbreite nachvollziehen zu können. Eltern begleiten ihre Kinder zwar viel zum Training und zu Wettkämpfen, aber dort machen sie sich lediglich ihr eigenes Bild von Situationen. Die Innensicht des Kindes zu beleuchten, kann dem jungen Athleten zu einer erhöhten Reflexionsfähigkeit verhelfen und den Eltern tiefere Einblicke in die Lebenswelt ihres Kindes gewähren. Aber auch die Lebenswelt der Eltern, die organisatorischen und alltäglichen Herausforderungen zu thematisieren, kann zu einem erhöhten Verständnis beider Parteien führen.

Fast alle Eltern meinen es „immer nur gut“ mit ihren Kindern. Dieses Wohlwollen kommt bei den Kindern aber möglicherweise nicht an. Die Sportpsychologie bietet Methoden, Kinder und Eltern bei Herausforderungen zu begleiten, die das leistungssportliche Engagement des Kindes mit sich bringen. Wenn also die elterliche Unterstützung die am meisten wirksame Ressource für leistungssportliches Engagement im Kindes- und Jugendalter ist, dann lohnt es sich, in die Eltern-Kind-Beziehung zu investieren. Das Ergebnis ist dann nicht zwangsläufig eine erfolgreiche sportliche Karriere des Kindes, sondern in einigen Fällen vielleicht auch eine gemeinsame Entscheidung gegen den Leistungssport, die aber von allen Parteien verstanden und getragen wird.

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Literaturverzeichnis

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– Brettschneider, W.-D. & Heim, R. (2001). Heranwachsende im Hochleistungssport. Eine (Zwischen-) Bilanz empirischer Befunde. Sportpädagogik (4), 34–38.

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– Weber, U. (2003). Familie und Leistungssport (Reihe Sportsoziologie). Schorndorf: Hofmann.

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Lena Tessmer
Lena Tessmerhttp://www.die-sportpsychologen.de/lena-tessmer/
Sportarten: Schwimmen, Triathlon, Leichtathletik, Langstreckenlauf, Reiten