Der kritische Blick auf erfolgreiche Karriereverläufe im Spitzensport zeigt überdeutlich: Die Weichenstellungen für einen späteren Erfolg erfolgen frühzeitig. Ein entscheidender Grund für Roger Federers grandiose Karriere findet sich auch in der Art und Weise, wie er als Kind und Jugendlicher gefördert wurde. Seine heute ebenso überragende wie erfolgreiche Spielkunst wurzelt primär in seiner psychischen Brillanz, die zu einem schönen Teil hart erarbeitet ist. Am Beispiel des Vorzeigeathleten lassen sich konkrete Massnahmen und Hilfestellungen für die Entwicklung des Erfolgsfaktors „mentale Stärke“ ableiten.
Für die-sportpsychologen.ch berichtet Dr. Hanspeter Gubelmann:
Es mögen viele Wege nach Rom führen – auch im Spitzensport! Jeder Karriereverlauf basiert auf individuellen Voraussetzungen und unterschiedlich definierten Rahmenbedingungen. Andererseits verlaufen erfolgreiche Karrieren im Spitzensport nicht zufällig. An diesem Punkt, nämlich einer wissenschaftlich präzisen Betrachtung von sportlichen Laufbahnen von ehemaligen Schweizer Nachwuchs-Elite-Athleten unter dem Aspekt des Erfolgs, setzt die für den CH-Spitzensport einzigartige Studie des Berners Robertino Engel an. In seiner Längsschnittstudie versuchte der Sportpsychologe zu ergründen, inwiefern der sportliche Erfolg durch ausgewählte institutionelle, sportwissenschaftliche und individuelle Parameter vorhergesagt werden kann. Die Stichprobe (N=222) umfasste alle deutschsprachigen Nachwuchs-Elite-Athleten von 1999, darunter später so erfolgreiche Athleten wie Fabian Cancellara, Simon Ammann, Roger Federer. Sie alle wurden 2011 im Rahmen einer zweiten Erhebung zum Karriereverlauf erneut befragt. Die Resultate zeichnen insgesamt ein positives Bild. Trotz verschiedener Hürden im Nachwuchsalter schafften die meisten befragten Athleten den Sprung in die Elite-Stufe. Knapp ein Drittel von ihnen konnte dabei grosse Erfolge (Medaillengewinn) an bedeutenden internationalen Wettkämpfen erringen. Quintessenz der Studie: Es zeigte sich, dass Defizite im mentalen Bereich (z.B. Mangel an Selbstvertrauen, leistungshemmende Gedanken und Gefühle im Wettkampf, Nervenflattern im Wettkampf etc.) im Nachwuchsalter prädiktiven Wert haben. „Dies ist aus sportpsychologischer Perspektive ein äusserst interessanter Befund. Er spricht dafür, dass mental schwächere Athleten, deren Defizite im mentalen Bereich sich bereits im Nachwuchsalter abzeichnen, später in der Mastery-Phase weniger Erfolg an bedeutenden Wettkämpfen haben und auch früher mit dem Leistungssport aufhören.“ (Engel 2014, S. 158)
Ein Schlüssel zum Erfolg: Emotionale Stabilität!
Selbst ein Ausnahmekönner wie Roger Federer scheint sich seine mentalen Fertigkeiten in seinen frühen Jahren zielgerichtet erarbeitet zu haben. Als Tennis-Junior erlebte er wilde Zeiten. Er schmiss den Schläger, drosch Bälle in den Himmel oder hackte aus Ärger über sein Spiel schon mal einen Triangel in die Plane eines Sponsors, was ihm zur Strafe einige Stunden Fronarbeit mit Putzen eintrug. In diese Zeit fällt auch eine Phase der Zusammenarbeit mit einem bekannten Sportpsychologen. Welchen Stellenwert Federer der Mentalen Stärke auch im weiteren Verlauf seiner Karriere beimisst, gab er 2016 folgendermassen zu Protokoll: „Es geht nicht nur um die wichtigen Momente auf dem Platz, sondern darum, wie viel du täglich investierst. ,Bist du bereit deine Heimat für zwei, drei Monate zu verlassen, hart zu trainieren, mit den Medien umzugehen – und das alles über deine gesamte Karriere?“
Genau dieser Frage, nämlich ob Zusammenhänge zwischen Sportlerpersönlichkeit, mentalen Fähigkeiten und Umgang mit Hindernissen und Stolpersteinen im Karriereverlauf bestehen, ging ich 2011 im Rahmen einer umfangreichen Studie nach. Die Faktenlage ist eindeutig: Die Persönlichkeitsmerkmale «Gewissenhaftigkeit» und «Emotionale Stabilität» korrelieren positiv. Sportler, die unter Stress emotional ausgeglichen reagieren, zielstrebig, willensstark, pflichtbewusst und ordentlich sind, gehören vermehrt zur Gruppe der «Handlungsorientierten» – und packen an, wenn es darum geht, eine Absicht in die Tat umzusetzen. Diese psychische Robustheit hilft ihnen massgeblich, sowohl im Umgang mit alltäglichkeiten Widrigkeiten (daily hassles) wie auch beim Überwinden von Hürden und Stolpersteinen im Karriereverlauf. Oder anders ausgedrückt: Wer häufig überempfindlich, verletzlich und unsicher auf Schwierigkeiten im Alltag des Spitzensportes reagiert, wird früher Scheitern und die Karriere beenden.
Welcher konkrete Nutzen ergibt sich aus diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen? Was lehrt uns das Beispiel „Roger Federer“? Abschliessend werden drei inhaltliche Schwerpunkte im Themenfeld „Psychologische Beratung und mentales Training im Nachwuchsbereich“ angesprochen. Es handelt sich dabei auch um Inhalte, die im Rahmen von Workshops anlässlich der asp-Tagung vom 25.-27. Mai in Bern präsentiert werden.
Swiss Tennis: Player Development Plan
Der Tennisverband scheint „seine“ Lehren schlüssig gezogen zu haben. Projektleiter und Sportpsychologe Jürg Bühler mit dem „Swiss Tennis Player Development“ ein Ausbildungsprogramm entwickelt, welches inhaltlich gleichermassen aus aktuellen Erkenntnissen der Sportwissenschaft und „best practise“ Erfahrungen aus dem Leistungssport gespiesen wird. Es überrascht deshalb kaum, dass der psychologischen Entwicklung als Teil der ganzen Spielerentwicklung vorrangige Bedeutung beigemessen wird. Das Ausbildungskonzept orientiert sich u.a. am bekannten Karriereverlaufsmodell von Wylleman und Lavallee (2004).
Quelle: Swiss Tennis, Player Development – Grundlagen Psyche
Mentales Training im Kindesalter
Wenn Kinder beginnen Sport zu treiben, stehen meist die Freude an der Sache, das gemeinsame Sporterlebnis und vielfältige Bewegungserfahrungen im Vordergrund. Dabei lernen sie auf spielerische Art, Herausforderungen anzunehmen und sich für das Team und die eigene Leistung mit grossem Engagement einzusetzen. Im Jugendalter und insbesondere in Sportarten mit frühzeitiger Spezialisierung verändert sich das sportliche Engagement zusehends in Richtung Leistungssport. An diesen vor allem auch entwicklungspsychologisch relevanten Rahmenbedingungen muss sich der sinnvolle Einsatz mentaler Trainingstools für Kinder und Jugendliche im Alter von acht bis 14 Jahren orientieren.
Elterncoaching
Nicht nur im Tennis, sondern in allen Sportarten ergibt sich im Kindes- und Jugendalter die spannende Ausgangslage: ohne Eltern geht es nicht! – aber wie? Eine konstruktive Eltern-Athleten-Interaktion moderiert nachweislich die Leistungsvariablen gerade bei jungen Athleten und Athletinnen. Ein sportpsychologisch orientiertes Elterncoaching hilft, die Schlüsselrolle der Eltern besser einzuordnen. Oft sind zusätzliche Informationen zu entwicklungspsychologischen Besonderheiten von Kindern und Jugendlichen im Spitzensport elementar. Dieses Knowhow soll Eltern darin unterstützen, ihre Kinder in den verschiedenen Übergängen einer Nachwuchskarriere kompetent zu begleiten.
Quellen:
Engel, R. (2014). Laufbahnen von ehemaligen Schweizer Nachwuchs-Elite-Athleten unter dem Aspekt des Erfolgs. Unveröff. Dissertation. Uni Bern.
Gubelmann, H. (2011). Analyse zentraler Aspekte der Umfeldgestaltung im Leistungssport. Eine Bedürfnisabklärung im Schweizer Spitzensport (2. Teil). Unveröff. Forschungsbericht. ETH Zürich.
Wylleman, P. & Lavallee, D. (2004). A developmental perspective on transitions faced by athletes. In M. Weiss (Ed.), Developmental sport and exercise psychology: A lifespan perspective (pp. 507-527). Morgantown, WV: Fitness Information Technology.
https://www.nzz.ch/article9DPJF-1.208823
https://www.swisstennis.ch/national/leistungssport/player-development
http://www.asp2017.ch/praxisprogramm.html
http://bazonline.ch/sport/tennis/Als-Federer-sich-schaemte-und-Rosset-zitterte/story/20083180?track
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