Vom 28. bis 30. April finden in Bottrop die deutschen Meisterschaften im Einrad Freestyle statt. Bei den Wettkämpfen präsentieren die Einradfahrer Küren mit verschiedenen Tricks in Kostümen zu Musik. Es gibt dabei Einzel-, Paar- und Gruppenküren, die zwischen zwei und sechs Minuten lang sind. Eine Jury bewertet sowohl die Technik als auch die Präsentation. Während bei den Einzelküren ein Fahrer alleine eine Kür präsentiert, zeigen in einer Paarkür zwei Fahrer gemeinsam Fahrfiguren und Tricks. Bei den Gruppenküren starten mindestens drei Fahrer gemeinsam.
Nun habe ich mich als ehemaliger Einradfahrer gefragt, welche Tipps und Anregungen ich den Sportlern mitgeben könnte. Dabei ist zu beachten, dass diese Maßnahmen wie auch das praktische Training der Übung bedürfen und die folgenden Ideen und Vorschläge nicht erst am Wettkampftag ergriffen werden sollen.
Zum Thema: Sportpsychologische Techniken für Einradsportler
Jeder Sportler hat seine individuelle Zone des optimalen Erregungszustandes. Sowohl Über- als auch Untererregung können den Abruf der optimalen Leistung verhindern. Eine mögliche Ursache für Übererregung kann die Nervosität vor dem Start sein, die ihr mit einer Entspannungsmethode gut in den Griff bekommen könnt. Nehmt euch also die Zeit, eine für euch hilfreiche Entspannungsmethode zu erlernen. Von Vorteil sind Atementspannungsübungen. Diese sind relativ einfach zu erlernen und können, wenn sie einmal erlernt sind, so schnell wirken, dass sie auch aufkeimender Nervosität innerhalb des Wettkampfes wirkungsvoll entgegen steuern.
Im Vorfeld des Wettkampfes lässt sich auch ein Erste-Hilfe-Koffer mit wirksamen Maßnahmen gegen Nervosität, Ängste und unvorhersehbare Situationen erstellen. Dazu könnt ihr euch in eurer Trainingsgruppe zusammensetzen und überlegen, für welche Situationen ihr Hilfe gebrauchen könntet. Gemeinsam oder in Kleingruppen tragt ihr dann Ideen zusammen, wie ihr mit diesen Situationen umgehen könntet und legt euch anschließend passende Strategien zurecht.
Nutzt eure Vorstellungskraft
Eberspächer (2012) definiert mentales Training als planmäßig wiederholtes, intensives Sich-Vorstellen eines Bewegungsablaufs ohne gleichzeitigen praktischen Vollzug. Da unser Gehirn keinen Unterschied zwischen tatsächlicher Ausführung einer Bewegung (oder eben einer Kür) und der Vorstellung eben dieser macht, lässt sich eine Kür trainieren, ohne tatsächlich auf dem Einrad zu sitzen. Stellt euch vor, wie ihr sie durchfahrt, wenn ihr im Wohnzimmer sitzt oder eben auf der Bank, wenn die Trainingsfläche belegt ist. Die Sinne sollten dabei möglichst nah an der Bewegung sein. Hilfreich ist es, sich das Gefühl der Füße auf Pedal oder Reifen vorzustellen während man seine Kürmusik über Kopfhörer hört. Ihr könnt auch die Reifengeräusche „hören“ oder euch auch den Applaus als Reaktion auf schöne Figuren vorstellen. Diese Trainingsform kann in Bewegung erfolgen (indem ihr eure Kür „ablauft“) oder auch im Sitzen. Stellt euch die Bewegung möglichst ausführlich und genau vor. Und nutzt positive Bilder, also fahrt die Kür abstiegsfrei durch! Findet ein positives Ende und stellt euch auch gern vor, wie ihr euer Wunschergebnis erreicht.
Ob im mentalen Training oder beim tatsächlichen Training empfiehlt die Sportpsychologie in der Vorbereitung das Kostüm eurer Kür zu tragen. Die Nervosität am Wettkampftag ist durch viele unbekannte Faktoren gesteigert. Dabei sorgt Vertrautes für Sicherheit. Warum also nicht das Kostüm zu etwas Vertrautem machen?
Macht euch mit der Wettkampfstätte vertraut
Ich wiederhole mich, aber Neues schafft Unsicherheit und kann Ängste erzeugen. Geht, wann möglich, am Tag vor dem Wettkampf durch die Halle, schaut euch die Tribüne aus Sicht des Fahrers an und stellt euch vor, wie die Halle mit Zuschauern gefüllt ist. Hört eure Kürmusik und stellt euch vor, wie ihr eure Kür durchlauft. Testet den Hallenboden. Sorgt dafür, dass die Halle euch gehört!
Habt eine Einfahrroutine
Am Wettkampftag selbst steht nur wenig Zeit auf der Wettkampffläche zur Verfügung. Um diese Zeit sinnvoll zu nutzen, sollte eine Routine zum Einfahren erarbeitet sein, die ihr auch im Training durchlauft. Mein Tipp ist es, vorher schon die Nebenhalle zum Aufwärmen zu nutzen. Danach könnt ihr dann die Zeit in der Wettkampfhalle nutzen, um euch zielgerichtet vorzubereiten. Geht dabei vom leichten zum komplexen, beginnt mit einfachen Tricks und bekommt ein Gefühl für die Halle. Wichtig ist es, nicht mit einem misslungenem Trick zu enden. Eine Routine ist besonders wichtig für die Fahrer, die ohne ein festgelegtes Ende dazu neigen, diesen oder jenen Trick noch ein „allerletztes Mal“ zu probieren und nur mit einem guten Gefühl von der Fläche zu gehen. Häufig stellt sich gerade dann ein gutes Gefühl nicht ein, wenn man es zwingend erwartet. Sucht euch zum Ende einen Trick aus, den ihr sicher steht.
Gerade vor den Paar- und Gruppenküren ist es wichtig, eine Routine zu haben. Es lassen sich noch ein paar entscheidende Figuren trainieren und das Gefühl füreinander „aktualisieren“. Hat man keine Routine bereit, kann je nach Kommunikationsstruktur wertvolle Zeit verloren gehen.
Routinen, die ihr im Training nutzt, haben auch noch einen zusätzlichen positiven Effekt. Denn durch eine gewohnte Routine bekommt der Fahrer das Gefühl von Kontrolle, da er diese Situation schon etliche Male durchlaufen hat.
Nutzt Rituale
Jeder kennt die Fahrer, die vor dem Aufstieg ihre Pedale parallel zum Boden ausrichten, obwohl dies rein mechanisch gar nicht nötig ist. Andere streifen ihre Schuhe vor dem Wettkampf am Handtuch ab oder klopfen auf ihren Reifen. Damit sind wir wieder beim Thema Sicherheit. Richtig angewandt sorgen Rituale für das Gefühl von Kontrolle. Das Kommende fühlt sich an wie eine Situation, die schon etliche Male im Training durchlaufen wurde.
Rituale helfen die Technik zu stabilisieren. Im Gehirn entstehen Verknüpfungen, die das Ritual mit der folgenden Aktion verbinden. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf das Selbstvertrauen. Rituale können beruhigend oder aktivierend wirken. Auch für Gruppen lohnt es sich Rituale zu entwickeln, denn sie können den Teamzusammenhalt und damit die Leistung stärken.
http://www.die-sportpsychologen.de/2017/04/03/markus-gretz-rituale-im-basketball/
Denkt aber bitte daran, dass ihr eure Rituale im Training über Monate und Jahre festigt, damit sie nicht mit der Wettkampfsituation verknüpft sind und dann eher verunsichernd wirken können.
Überlegt euch, ob ihr euch die Küren eurer Wettkampfklasse anschaut
Was die Küren vor euch mit euch machen, kann sehr unterschiedlich sein. Sind eure Ziele sehr auf euer Ergebnis oder einen direkten Vergleich ausgerichtet, kann zusätzliche Nervosität die Folge sein. Überlegt euch im Vorfeld wie ihr die Zeit zwischen dem Warmfahren und eurem Start nutzt und legt euch dann mit Erhalt der Startreihenfolge ein konkretes Programm zurecht.
Besprecht den Ablauf mit eurem Trainer. Dieser kennt euch und hat vielleicht auch noch den ein oder anderen Tipp parat. Auch hier ist es hilfreich, auf Entspannungs- und Aktivierungsmethoden zurückgreifen zu können.
Fertigt eine Packliste an
Weniges ist ärgerlicher, als am Wettkampftag in die Tasche zu greifen und dann festzustellen, dass Socken, Schuhe oder auch die Flasche Wasser fehlen. Habt ihr einen Zwischensnack, auf den ihr ungern verzichtet? Erstellt euch eine Liste, was alles in eure Wettkampftasche gehört. Wenn ihr eure Tasche packt, hakt ihr diese ab und könnt sicher sein, dass ihr alles dabei habt, was ihr benötigt.
Aber was ist eigentlich das Wichtigste?
Spaß haben
Denkt bitte daran, dass mentales Training genauso trainiert werden muss wie das Training auf dem Einrad. So wie ihr für Tricks trainiert, will auch euer Kopf trainiert werden. Sportpsychologische Maßnahmen versprechen Erfolg, sind aber keine Wundermittel, die ad hoc funktionieren.
Ich wünsche allen Aktiven viel Spaß und Erfolg! Und vielleicht hat der ein oder andere sportpsychologisch interessierte Leser ja Lust, sich die Wettkämpfe in der Halle anzuschauen. Es lohnt sich!
Referenzen
Cotterill, S. (2010). Pre-performance routines in sport: Current understanding and future directions. International review of sport and exercise psychology, 3(2), 132-153.
Eberspächer, H. (2012). Mentales Training. Das Handbuch für Trainer und Sportler. München: Copress Verlag.
Jones, M. (2003). Controlling Emotions in Sport. The Sport Psychologist, 17, 471 – 486.
Views: 1320