Kürzlich an der Ski WM in St. Moritz: Die Schweizer Sportfamilie erwartet gespannt auf die Superkombination der Frauen. Mit der Teamleaderin Lara Gut und den Slalomspezialistinnen Wendy Holdener und Michelle Gisin erhofft sich das einheimische Publikum, um Medaillen mitzukämpfen. Die Ausgangslage nach der Abfahrt ist vielversprechend, die Chancen der drei CH-Frauen sind intakt. Beim Einfahren zum Slalom verletzt sich Lara Gut aber derart schwer, dass sie mit dem Heli zur genauen Untersuchung ins Spital geflogen werden muss. Äusserlich unbeeindruckt davon ziehen Wendy und Michelle ihr Programm durch und können einen vielumjubelten Doppelsieg feiern. Wieder einmal zeigt es sich wie nah sich positive und negative Emotionen im Sport sein können.
Zum Thema: Fokussierung in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung
Nicht überraschend tauchen auf Seiten der Zuschauer und Journalisten dabei schnell Fragen auf, wie es für Michelle und Wendy möglich war, sich so auf ihre Leistung zu fokussieren.
Aus sportpsychologischer Sicht gibt es dazu durchaus einige Ansatzpunkte wie sich Trainer und Athleten vorbereiten und in der realen Situation idealerweise verhalten können.
Im Folgenden wird das Augenmerk auf die Athletenseite gelegt – welche Möglichkeiten haben sie, um den Fokus bei sich und ihrem bevorstehenden Rennen zu behalten?
Idealerweise haben sich die Athletinnen in ihrem Sportlerleben bereits einen gut erprobten Plan für die konkrete Wettkampfvorbereitung erarbeitet. Dieser kann ganz individuell gestaltet sein, enthält aber aufgabenspezifisch gewisse übereinstimmende Elemente wie Einfahren, Besichtigen, Aufwärmen, Visualisieren und einiges mehr. Das Programm der Superkombination zwischen Abfahrt und Slalom ist sehr gedrängt und das Einhalten des geplanten Ablaufs hilft, den Fokus auf dem anstehenden Rennen zu behalten. Der Aufmerksamkeitszirkel nach Eberspächer bietet dazu einen interessanten Erklärungsansatz wie das erfolgreich möglich sein kann.
Der Aufmerksamkeitszirkel
Dabei unterscheidet Eberspächer sechs Zirkel – wobei der Fokus vom ersten bis zum sechsten immer grösser bzw. weiter wird:
1 – „ICH und meine Aufgabe“
2 – „direkte Störungen“
3 – „IST-SOLL Vergleich“
4 – „gewinnen-verlieren“
5 – „Konsequenzen von gewinnen-verlieren“
6 – „die Frage nach dem Sinn“
In der konkreten Wettkampfvorbereitung befasst sich der Sportler mit Gedanken und Handlungen in den ersten zwei maximal drei Zirkeln. Stellt er fest, dass sich andere Gedanken einschleichen, versucht er diese kurz einzuordnen, zu prüfen, ob sie relevant für seine aktuelle Situation sind und begibt sich wieder in den gewohnten Ablauf.
Um im Rennmodus zu bleiben, kann sich der Läufer also angewöhnen, nur relevante Informationen zu beachten. Fragen oder Informationen betreffend der Verletzung von Lara waren für Michelle und Wendy vor dem Slalom sicherlich nicht so relevant, dass sie sich damit wirklich auseinandergesetzt haben.
„Angst“ vor Verletzungen ist Realität
Dies bedeutet nicht, dass sich ein Skiprofi nicht mit dem Thema Verletzungen auseinandersetzen soll. Im Gegenteil, das Verletzungsrisiko ist im alpinen Skisport allgegenwärtig und die „Angst“ vor Verletzungen Realität. Genau deshalb ist es aber auch möglich und sinnvoll, sich mit diesem Thema zu beschäftigen – aber eben nicht an einem Renntag. Für Skisportler, die sich verantwortungsvoll und professionell mit ihrem Job auseinandersetzen, ist das immer wieder ein Thema. An der Schweizerischen Sportmittelschule in Engelberg, wo ja auch Wendy und Michelle ausgebildet wurden, ist es Realität, dass (in den Trainingsgruppen) so gut wie nie alle voll mittrainieren können. Beim meiner mentalen Arbeit mit den einzelnen Trainingsgruppen fehlen immer einige auf Grund von Verletzungen und ein paar kommen von einer Verletzung zurück und trainieren deshalb noch ein Spezialprogramm. Diese Erfahrungen führen auch dazu, dass sie positive Beispiele erleben wie sie selbst oder ihre Mannschaftskollegen nach Verletzungen erfolgreich oder sogar gestärkt zurückkommen können.
Nach dem unglücklichen Aus für Lara, ist es Wendy und Michelle auf jeden Fall gelungen, den Fokus auf das Wesentliche zu richten und haben uns damit einen wunderschönen WM-Tag mit unvergesslichen Emotionen geschenkt.
Literatur
Eberspächer, H., (2007). Mentales Training. Handbuch für Sportler und Trainer. 7. Auflage. München: Copress Verlag in der Stiebner Verlag GmbH
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