Jahreswechselzeit – Zeit für die „guten Vorsätze“ also! Dies trifft für Spitzensportler vielleicht in geringerem Masse zu, da sie ihre Saisonziele und Wettkampfplanungen für 2017 schon längstens ausgearbeitet haben, die ersten Trainingsmassnahmen bereits in Angriff genommen wurden. Manch’ Hobbysportler dürfte hingegen vor der mitunter spannenden Frage stehen: Soll es im nächsten Jahr wie gewohnt weitergehen oder ist es Zeit für eine Veränderung? Alle, auch wir Sportpsychologen, könnten uns fragen: Wäre 2017 nicht ideal, um mal etwas «passend Unpassendes» in Angriff zu nehmen?
Wie motiviertes Handeln aus wissenschaftlicher Sicht einsetzt, habe ich an gleicher Stelle vor einem Jahr zu erläutern versucht. Motivationsforscher Gollwitzer (1999) legt uns nahe, einen „simple plan“ zu entwickeln, der unseren getroffenen Verhaltensvorsatz in enger Verbindung mit vorausgeplanten Handlungsstrategien definiert.
http://die-sportpsychologen.ch/2015/12/22/dr-hanspeter-gubelmann-scheitern-sie-2016-erfolgreicher/
Mit der Idee, etwas «passend Unpassendes» als Vorsatz für 2017 zu propagieren, schlage ich nun eine andere, vergleichsweise unkonventionelle Vorgehensweise vor. Diese möchte ich anschliessend am Beispiel eines Eigenversuchs darstellen und praxisnah erläutern.
Der Einstieg: Cycling Greater Yellowstone
Am Anfang einer Veränderung steht im Sport häufig eine Zäsur. In meinem Fall bestand diese in einer schwerwiegenden Knieverletzung, die ich mir vor zwei Jahren zugezogen hatte. Wie jeder sportlich ambitionierte Mensch erlebte ich diese Situation als einschneidend und emotional belastend. Mein Vorteil als Sportpsychologe bestand aber darin, dass ich wusste, welchen Nutzen mir die mentale Rehabilitation einer Sportverletzung bereiten könnte (vgl. Marcolli 2002). Entsprechend wollte ich mir ein neues sportliches Ziel setzen und dieses mit einem massgeschneiderten Plan (in Anlehnung an Gollwitzer) in Angriff nehmen. Passend zu meinem bisherigen sportlichen Tun war, Leistungsziele zu priorisieren. Deshalb zielte mein allererster Plan darauf ab, ein ziemlich anspruchsvolles Mountainbike-Eintagesrennen, das Pierre’s Hole 100miles Bike Race, in den Rocky Mountains zu bestreiten, notabene an der Seite eines amerikanischen Mountainbike-Champions. Unpassend für mich damals war, wie ich diesen Plan zugunsten eines ganzen anderen Events umstiess.
Meine Devise lautete neu: Cycling Greater Yellowstone! Diese geführte, mehrtägige Tour um und durch den Yellowstone Nationalpark führt den Pedaleur über rund 800km, wobei es 10’000 Höhenmeter zu überwinden galt. Bei diesem Anlass ist das Ankommen das Ziel, eine Zeitmessung entfällt! Entsprechend „baute“ ich meinen Trainingsplan – auch methodisch – völlig um, entwickelte mit ETH-Sport-Studierenden ein Trainingsseminar „Flow“ und genoss im August 2015 einen einzigartigen Sportanlass der Superlative.
Die Rückblende auf Cycle Greater Yellowstone lehrte mich zumindest drei Dinge: Es lohnt durchaus, selbst in etwas fortgeschrittenem Alter Gewohnheiten zu verändern! Dabei führt das Erleben eines Gegensatzes zu einem Kontrast, der die Prägnanz des Eindrucks ganz erheblich steigert. Und schliesslich für das Selbstverständnis eines Sportpsychologen bedeutsam: Es war für mich lehrreich, eigene mentale Strategien und Trainingstechniken einmal mehr im Selbstversuch zu üben und anzuwenden!
Unpassend und doch passend: Der Bierathlon!
2016 machte ich mich auf, dieses tolle Erlebnis aus dem Vorjahr abermals ins Visier zu nehmen, ehe mich ein erneuter gesundheitlicher Rückschlag ereilte. Dieses Mal durchkreuzte eine Lungenoperation meine (Trainings-)Pläne, gefolgt von einer motivational „durchzogenen“ Reha-Zeit. Es fiel mir in den Wochen nach dem erfolgreich verlaufenen Eingriff schwer, wieder richtig Tritt zu fassen. Ich trainierte zwar ordentlich aber wenig motiviert – bis eine Arbeitskollegin mich mit dem Virus einer „Schnappsidee“ infizierte: „Komm, Hanspeter, lass uns den Bierathlon in Zürich laufen!“ Passend zu meiner Art sagte ich spontan zu, noch in völliger Unkenntnis der besonderen Rahmenbedingungen dieser Veranstaltung. Diese legen alkoholhaltiges Bier als Sportgetränk in vorgeschriebener Menge fest. Ein Umstand, der in Sportkreisen eher als „unpassend“ gelten und für Kopfschütteln sorgen dürfte. Der Zürcher Bierathlon führt 2er-Teams über eine Laufstrecke von 7km Länge, wobei ein Kasten Bier mitgetragen werden und das Bier am Ende des Laufes getrunken sein muss.
Über Sinn oder Unsinn einer Teilnahme an einer solchen Veranstaltung lässt sich offenkundig streiten. Unstrittig hingegen erschien mir die Passung zu den drei oben beschriebenen, motivierenden Aspekten. Ein solcher Lauf bedeutete für mich „Neuland“. Eine Teilnahme am Bierathlon stand zudem in einem deutlichen Kontrast zu sämtlichen bisherigen Sporterlebnissen. Und auch die Anwendung mentaler Strategien und Fähigkeiten versprach interessante Erfahrungen!
Eigentlich nur eine Schnapsidee
Für die körperliche Vorbereitung blieben uns drei Monate Zeit, die ich mit moderatem und vielseitigem Fitness- und Lauftraining nutzte. Unser vorrangiges Ziel war, den Lauf zu beenden, ohne uns dabei an einer bestimmten Sollzeit zu orientieren. In Anlehnung an die bekannte „Drehbuch-Technik“ (vgl. Alfermann & Stoll, 2016) planten wir unseren Einsatz in Etappen, mit entsprechenden Massnahmen (z.B. „Körpercheck“ nach dem ersten Kilometer) und vorgesehenen Trinkpausen. Unser Plan sah vor, zu Beginn relativ viel zu trinken, den Konsum anschliessend auf einem moderaten Pegel zu halten und das restliche Bier kurz vor Erreichen der Ziellinie auszutrinken. Wichtig schien uns auch das Festhalten des unmittelbaren Erlebens, indem wir uns eine Form der „Experience-Sampling-Method“ zu Nutze machen wollten. Zu Beginn jeder der insgesamt sechs Runden sprachen wir unsere Eindrücke und Erlebnisse auf ein mitgeführtes Smartphone. Diese audiovisuellen Rückmeldungen setzten wir im Anschluss an den Lauf für ein sehr interessantes Debriefing ein. Diese authentische Rückschau auf einen letztlich gemeinsam erfolgreich absolvierten Bierathlon verstärkte unsere positiven Erfahrungen nochmals deutlich!
Fazit: Motiviertes Handeln im Sport kann ursächlich aus ganz unterschiedlichen Situationen entstehen. Eine Zäsur, die einen Neuanfang oder Neuausrichtung zur Folge hat, bietet dazu einen interessanten Ausgangspunkt. Wer den Jahreswechsel – auch im Sinne der Vorsatzbildung – als einen solchen Ausgangspunkt wählt, könnte sich aktuell der spannenden Frage zuwenden: Was wäre für mich im Jahre 2017 das «passend Unpassende»?
Quellen:
Alfermann, D. & Stoll, O. (2016) Sportpsychologie: Ein Lehrbuch in 12 Lektionen (4.Aufl.), Aachen u.a.: Meyer & Meyer.
Gollwitzer, P. M. (1999) Implementation intentions: Strong effects of simple plans. American Psychologist, 54 , 493-503.
Marcolli, C. (2001). Die psychologische Rehabilitation von Verletzungen. GFS-Schriften, 24, ETH Zürich.
Larsen, R. & Csikzentmihalyi, M. (1983). The Experience Sampling Method. In: H. T. Reis (Ed.), New Directions for Methodology of Social and Behavioral Sciences (vol. 15, 41–56). San Francisco: Jossey-Bass.
http://die-sportpsychologen.ch/2015/12/22/dr-hanspeter-gubelmann-scheitern-sie-2016-erfolgreicher/
http://www.bierathlon.ch/cms/index.php
http://www.grandtarghee.com/event/2016-pierres-hole-50-100-mtb-race/
https://www.cyclegreateryellowstone.com
Bildlegende:
Cycle Greater Yellowstone ist ein Sporterlebnisse der Extraklasse!
Videoclip Bierathlon
https://www.youtube.com/watch?v=ROE39ANFgpE
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