Was machen Sportpsychologen eigentlich, wenn Sie in – und mit – Teams arbeiten. Einiges dürfte im Beitrag von René Pasch sowie im Insiderbericht von Peter Schneider schon deutlich geworden sein. Wichtig zu wissen: Es existieren verschiedene Philosophien, wie sportpsychologische Arbeit in (Sport-)gruppen umgesetzt werden kann. Skizzieren möchte ich in diesem Blog-Beitrag drei verschiedene Varianten. Alle drei Varianten habe ich in der Vergangenheit in der Arbeit mit Eishockey- und Handballmannschaften schon erleben und durchführen können.
Zum Thema: Individuell-sportpsychologische Arbeit in Mannschaften
Variante 1: „Der Team-Sportpsychologe“
Das ist eigentlich mein „Favorit“. Der Team-Sportpsychologe ist vollständig in den Unterstützer-Stab integriert. So wie der Mannschaftsarzt sich um Verletzungen und Krankheiten kümmert und der Sportphysiotherapeut sich mit der Umsetzung physikalischer- und manueller Therapie sowie Massagen und Rehabilitationsmaßnahmen (z.B. nach Verletzungen) kümmert, hat der Team-Sportpsychologe sein Feld. Er ist verantwortlich für die Aus- und Weiterentwicklung spezifischer mentaler Werkzeuge, wie z.B. die Fähigkeit sich zu entspannen oder zielgerichtet zu aktivieren, die Fähigkeit, spezifische Situationen zu visualisieren und daraus Lösungen zu entwickeln oder aber auch in der Entwicklung funktionaler Selbstgespräche. Zusätzlich ist er verantwortlich in der Beobachtung gegebenenfalls Beeinflussung gruppendynamischer Prozesse sowie für die gesamte sportpsychologische Diagnostik vor-, während und nach der Saison. Eine solche Funktion setzt natürlich voraus, dass der Sportpsychologe vollumfänglich ein Team integriert ist, und es klare Rollenabsprachen gibt. Neben der Trainings- und Wettkampfbeobachtung und in der Erfüllung der o.g. Aufgaben ist so etwas nur im Rahmen einer „Vollbeschäftigung“ zu erreichen. Eine solche sehr intensive und vollumfängliche Einbindung hat neben den auf der Hand liegenden Vorteile (Nachhaltigkeit in der Entwicklung von psychologischen Fähigkeiten und Fertigkeiten, gute Leistungsdiagnostik- und –prognostik, detaillierte Innensicht des „Systems“ Mannschaft) aber eben auch den Nachteil, dass der Sportpsychologe somit „Teil des Systems“ ist und damit eine – gerade für systemisch zu lösenden Aufgaben – eventuell notwendige „objektive“ Außensicht verliert.
Ein schönes Beispiel liefert Peter Schneider in seinem Insiderbericht:
Variante 2: „Der Feuerwehr-Sportpsychologe“
Auch wenn diese Variante nicht unbedingt zu meinem Lieblingsansatz gehört, so kann sie dennoch auch – zumindest kurzfristig – funktionieren und sie hat den Charme, dass man so in die Lage versetzt wird, die o.g. manchmal notwendige Außensicht zu bewahren. Eine solche Variante kommt dann zum Einsatz, wenn es mehrheitlich weniger um „Team-Entwicklung“ im engeren Sinne geht, sondern um das Lösen von individuellen Problemen oder Entwicklungsaufgaben einzelner Spieler. So kann z.B. ein Spieler Autogenes Training erlernen, weil er sich gerade insgesamt zu hoch belastet fühlt, und somit bei der Durchführung dieses Verfahrens, wenigstens einmal am Tag im „Hier und Jetzt“ sein kann und nicht grübeln muss, was als nächstes zu erledigen ist. Oder ein anderes Beispiel: Eine einzelne Spielerin ist sich über ihre eigenen persönlichen Ziele nicht sicher, bzw. weiß auch nicht wie diese mit möglicherweise vorliegenden Team-Zielen zu vereinbaren sind. Ein anderer Athlet möchte sich gerne individuell im Bereich der Ärgerbewältigung nach Foulspielen weiter entwickeln. Oder aber eine Mannschaft hat sich aufgrund anhaltender Misserfolge bei durchaus guten, generellen Voraussetzungen „total zerstritten“ und der Trainer sieht keine Möglichkeit mehr, das „System“ neu „einzunorden“. Voraussetzung für diese Variante ist jedoch immer das Bewusstsein, dass eine Nachhaltigkeit eher schwierig zu erreichen ist und der Erfolg einer solchen, individuellen Maßnahme auf den Team-Erfolg nicht planbar und messbar ist.
Wie fließend der Übergang von einer Variante zur anderen sein kann, bewies kürzlich der offenbar sehr erfolgreiche “Feuerwehreinsatz” von meinem sehr geschätzten Kollegen Prof. Andreas Marlovits, der zum Ende der vergangenen Saison mithalf, den SV Werder Bremen in der Bundesliga zu halten und nun fester engagiert ist. Ich empfehle einen Text zum Thema von Dr. René Paasch:
Variante 3: Der Coach-Coach
„Coach-the-Coach“ heißt diese Interventions-Variante eigentlich. Hintergrund dieses Ansatzes sind eher „skeptische“ Trainer, die mit dem Begriff „Psychologe“ eher Unsicherheit verbinden. Trainerinnen und Trainer sehen sich ja sehr oft selbst als die besten Psychologen, was in der Tat auch nachvollziehbar ist, denn sie verbringen ja die meiste Zeit mit den Athleten, sind ihnen fast jeden Tag „nahe“ und haben somit natürlich auch ein Gesamtbild einer Mannschaft. Dieses „Gefüge“ wollen Trainer manchmal eben nicht mit dem Einsatz eines Sportpsychologen „verunsichern“, da er oder sie unter Umständen mit für den Trainer „neuen“ oder „unbekannten“ Verfahren Kompetenzverlust in der Mannschaft befürchtet. Beim „Coach-the-Coach“-Ansatz kommt der Trainer mit seinen Anliegen bezogen auf die Mannschaftsentwicklung zum Sportpsychologen und in diesem „1:1 geschützten Raum“ werden diese Anliegen diskutiert und gemeinsam Lösungen entwickelt (z.B. für das Erlernen und Festigen neuer taktischer Spielzüge können spezifische Visualisierungsstrategien bzw. taktisches Mentales Training entwickelt werden). Umgesetzt werden diese Lösungen aber dann durch den Trainer im täglichen Training oder gegebenenfalls auch im Spiel. Auch bei dieser Variante bleibt die manchmal notwendige, objektive Außensicht des Sportpsychologen auf das Team gewahrt, was ein eindeutiger Vorteil ist.
Mein Schweizer Kollege Dr. Hanspeter Gubelmann hat für die-sportpsychologen.ch kürzlich einen Text verfasst:
http://die-sportpsychologen.ch/2016/06/26/dr-hanspeter-gubelmann-trainer-unter-hochdruck/
Fazit
Wie zu sehen ist, haben alle drei Varianten sportpsychologischen Arbeitens ihre Vor- und Nachteile, die es jeweils abzuschätzen gilt. Dies ist oftmals neben dem rein organisatorischen Aufwand durchaus auch eine Frage des finanziellen Aufwandes, den Teams bereit sind, zu investieren. Variante 1 ist und bleibt für mich der Favorit, denn den einzigen Nachteil, nämlich den der möglicherweise verlorengehenden „Außensicht“ auf das System Mannschaft kann man mit, auch von der Mannschaft akzeptierten, kollegialer Intervision entgegensteuern.
Dieser Text ist Teil des Schwerpunkts “Rio 2016 und was nun?” – alle weiteren Texte finden Sie hier:
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