Dr. René Paasch: Chancenlos im DFB-Pokal?

Erinnern Sie sich an die erste Pokalrunde des Vorjahres? Damals beförderte der Regionalligist FC Carl Zeiss Jena den Bundesligisten Hamburger SV aus dem Wettbewerb. Die Thüringer haben in der Saison 2016/2017 nun das noch größere Los gezogen: Den FC Bayern München. Viel schöner lässt sich die für den Pokal typische David-gegen-Goliath-Konstellation nicht konstruieren. Zumal der Viertligist die Sache ernst nimmt und tatsächlich nicht vollkommen chancenlos ist. Bedeutung kommt hierbei dem Pokalerfolg aus dem Vorjahr zu.  

Zum Thema: Die Rolle der Selbstwirksamkeit in sportlich herausfordernden Situationen

Halten wir kurz fest: Große Chancen hat der FC Carl Zeiss Jena gegen den FC Bayern München nicht, in die zweite Pokalrunde einzuziehen. Dies liegt auf der Hand. Allerdings gibt es nach dem Trainerwechsel in München sowie dem späten Hinzustoßen zahlreicher EM-Teilnehmer keinen besseren Zeitpunkt, den Bayern ein Bein zu stellen. Wichtigste Aufgabe für den David ist aber ohnehin, den Fokus auf die eigenen Stärken zu richten. Hier spielen die vier und allesamt zu null gewonnen Regionalliga-Spiele des FC Carl Zeiss Jena sowie der Pokaltriumph gegen den Hamburger SV aus dem Vorjahr eine Rolle. Gegen die Norddeutschen war Jena über 120 Minuten die bessere Mannschaft und gewann in der Verlängerung vollkommen verdient. Hier liegt die Basis für ein selbstbewusstes Auftreten auch gegen den FC Bayern München. In der Fokus rückt dabei der Fachbegriff “Selbstwirksamkeit”.

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Selbstwirksamkeit

Die Selbstwirksamkeit ist für die sportliche Leistungsfähigkeit auf Wettkampfniveau gut nachgewiesen worden (Feltz & Chase, 1998; Moritz et al., 2000; Short et al., 2005;). Dies gilt gleichermaßen auch für Mannschaftssportarten „Collective Efficacy“ (Bandura, 1986). Unter gemeinsamer Selbstwirksamkeit wird die mannschaftliche Überzeugung eines Teams verstanden, eine anstehende Aufgabe aufgrund eigener Fähigkeiten und Erfahrungen gemeinsam bewältigen zu können. Sie ist im Sport die zentrale Größe, die dazu beiträgt, dass Trainer und Athleten ihre Leistung zum geforderten Zeitpunkt abrufen können. Das Konzept der „Selbstwirksamkeit“ stammt aus der sozial-kognitiven Lerntheorie von Albert Bandura (1977, 1982, 1986). Sie bedeutet, dass jemand die Überzeugung besitzt, dass seine eigenen Fähigkeiten ausreichen, um eine Handlung zielgerichtet und erfolgreich durchführen zu können. Weitere Publikation zum Thema Selbstwirksamkeit (Bandura, 1977) folgten dann in den verschiedensten Bereichen, zum Beispiel:

  • Behandlung von Phobien (Bandura, 1977, 1983)
  • Behandlung von Depressionen (Davis & Yates, 1982)
  • soziale Fertigkeiten (Moe & Zeiss, 1982)
  • Raucherentwöhnung (Garcia et al., 1990)
  • Schmerzkontrolle (Manning & Wright, 1983)
  • Gesundheit (O´Leary, 1985)
  • Schule und Studium (Schunk, 1985, 1989, Zimmerman, 2000; Pajares, 1996, 2002)
  • Sport (Barling & Abel, 1983; Lee, 1982; Eberspächer, 2007, 2008; Eberspächer & Immenroth, 1998; Hermann, 2006; Short et. al., 2005).

Aus den zahlreichen Studien lässt sich festhalten, dass das Konzept der Selbstwirksamkeit der beste Indikator für die kontinuierliche Leistung ist. Erst eine über Jahre hinweg aufgebaute Selbstwirksamkeit lassen den Trainer und Sportler Souveränität ausstrahlen. Aber auch kurzfristiger funktioniert dieses Konstrukt: Hier reden wir von einer situativen Selbstwirksamkeit, die zu bestimmten Anlässen oder Umständen – wie dem anstehenden DFB-Pokalspiel – zum Tragen kommt.

Einfacher aber effektiver Test

Wie gut es um die Selbstwirksamkeit im Team vor einem bestimmten Event bestellt ist, lässt sich sogar ziemlich verlässlich messen. Für meine Dissertation hatte ich einen Fragebogen von Schwarzer und Jerusalem modifiziert, der im Trainer-Athleten-Gespräch angewendet werden kann. Die Umsetzung dauert jeweils nur wenige Minuten. Sie brauchen dazu nur den Fragenkatalog und einen Notizzettel – oder auch den Taschenrechner ihres Mobiltelefons. Sie lesen die Aussprüche vor und notieren jeweils den Wert (siehe unten), der sich mit der Antwortoption verbindet. (Anmerkung aus wissenschaftlicher Sicht: Der Fragebogen ist nur teilvalidiert.)

Fragebogen: Selbstwirksamkeit in Fußballmannschaften modifiziert nach Schwarzer & Jerusalem (1999).

  1. Da wir dieselben sportlichen Absichten verfolgen, können wir Fußballer auch mit “schwierigen” Gegnern (im Beispiel: FC Bayern München) klarkommen.
  2. Ich glaube an das starke Potential in unserer Mannschaft, mit dem wir auch unter widrigen Umständen und starken Gegner gewinnen können.
  3. Ich bin davon überzeugt, dass wir als Mannschaft gemeinsam für fußballerische Qualität sorgen können, auch wenn die Ressourcen im Laufe eines Spiels geringer werden sollten.
  4. Ich bin sicher, dass wir als Mannschaft weitere Fortschritte erzielen können, denn wir ziehen gemeinsam an einem Strang und lassen uns nicht von den äußeren Gegebenheiten aus dem Konzept bringen.
  5. Unser Team kann sich kreative Lösungen ausdenken, um die Qualität auf und neben dem Platz effektiv zu verändern, auch wenn die äußeren Bedingungen dafür nicht günstig sind.
  6. Wir werden ganz gewiss sportlich wertvolle Arbeit leisten können, weil wir eine kompetente Mannschaft sind und an schwierigen Aufgaben wachsen können.
  7. Auch aus Fehlern und Rückschlägen können als Mannschaft viel lernen, solange wir auf unsere gemeinsame Handlungskompetenz vertrauen.
  8. Trotz der Erfolgszwänge können wir die Entwicklung unserer Mannschaft weiterhin verbessern, weil wir ein gut eingespieltes und leistungsfähiges Team sind.
  9. Ich habe Vertrauen, dass wir im Wettbewerb (im Beispiel: DFB-Pokal) es gemeinsam schaffen können, sportliche und taktische Vorgaben in die Tat umzusetzen, auch wenn Schwierigkeiten auftreten.
  10. Es gelingt uns, auch “schwierige” Gegner  (im Beispiel: FC Bayern München) von unserem sportlichen Können zu überzeugen, weil wir als einheitliche Mannschaft auftreten.

(1) stimmt nicht, (2) stimmt kaum, (3) stimmt eher, (4) stimmt genau.

Bitte jeweils nur eine Antwortmöglichkeit nutzen und anschließend addieren Sie Ihre Werte zu diesen 10 Items:

a)      untere 25 %     10-26

Überzeugung ist sehr niedrig, es besteht dringender Handlungsbedarf, um langfristig Veränderungen bei dem befragten Spieler zu erzielen

b)      mittlere 50%    24-33

Da geht mehr. Schließlich sollen Ihre Spieler selbst unter widrigen Bedigungen Bestleistungen bringen können, egal gegen welchen Gegner, in welchem Stadion oder bei welchem Wetter.

c)      obere 25%    34-40

Hier geht es um die Details. Schauen Sie genau, was Spieler mit solchen überzeugenden Werten ausmacht und wie die Mannschaft davon profitieren kann.

Zum Fragebogen: Es handelt sich um eine eindimensionale Skala von 10 Items. Die Items, die alle gleichsinnig gepolt sind, werden vierstufig beantwortet : (1) stimmt nicht, (2) stimmt kaum, (3) stimmt eher, (4) stimmt genau (Beispielitem: „Da wir dieselben sportlichen Absichten verfolgen, können wir Fußballer auch mit “schwierigen” Gegner wie dem FC Bayer München klarkommen“). Jedes Item bringt eine internal-stabile Attribution der Erfolgserwartung „Selbstwirksamkeit“ zum Ausdruck. Der Testwert ergibt sich durch das Aufsummieren aller zehn Antworten, so dass ein Score zwischen 10 und 40 resultieren muss.

Bitte geben Sie mir Rückmeldung über Ihre Erfahrungen oder eventuelle Fragen zu dem Fragebogen an. Vielen Dank: E-Mail: info@renepaasch.de

Praktische Tipps für den Trainingsalltag

Folgende Tipps können Sie als Trainer oder Spieler einfach anwenden, um das Thema Selbstwirksamkeit in den Trainingsalltag zu integrieren:

  •         Erinnern Sie sich an frühere Situationen, in denen Sie sich selbstwirksam gefühlt haben
  •         Beenden Sie Ihr Trainingstag mit einer positiven Selbstwirksamkeitsanalyse!
  •         Machen Sie sich klar, dass solche Situationen wirklich positiv waren!
  •         Reden Sie mit Ihren Teammitgliedern und Trainerstab über Selbstwirksamkeitserfahrungen (geteilte Freude ist doppelte Freude!)
  •         Versuchen Sie gemeinsame positive Ereignisse möglichst mit allen Sinnen nach zu erleben!
  •         Würdigen Sie gemeinsam, dass diese Situationen wichtig und bedeutsam waren!
  •         Wählen Sie täglich ein bis zwei mittelschwere Ziele, so dass Sie sich abends über deren Erreichen freuen können!

Zusammenfassung

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass die individuelle und kollektive Selbstwirksamkeit trainierbar ist. Für unser Beispiel heißt das, dass der FC Carl Zeiss Jena – setzen wir einmal ein gesteigerten Selbstvertrauen voraus, wofür sicher auch unser Sportpsychologen-Kollegen Peter Schneider (seit Saisonbeginn Sportpsychologe beim FCC) – dem FC Bayern München ein Bein stellen könnte. Die gemeinsame Überzeugung gründet dabei auf dem Zusammenhalt innerhalb einer Mannschaft und eines langfristig angelegten Teamzusammenführung. Im Alltag lässt sich gezielt an der Team- und Sportler-Kompetenzüberzeugung arbeiten – das Prognosetraining stellt dabei eine der Möglichkeiten dar. In der Entwicklung und Festigung individueller und kollektiver Kompetenzen können Sportpsychologen in Verbindung mit dem Trainer, dem Funktionsteam und den Verantwortlichen effektiv unterstützen.

Ich lade Sie ein, noch tiefer in das spannende Thema Selbstwirksamkeit einzutauchen und verweise auf meinen Leitartikel:

Dr. René Paasch: Selbstwirksamkeit im Fußball

 

Literatur

Bandura, A. (1977). Self-efficacy: Toward a Unifying Theory of Behavioral Change. Psychological Review, 84 (7), 191-215.

Bandura, A. (1980). Gauging the Relationship Between Self-Efficacy and Action. Cognitive

Therapie and Research, 4(2), 263-268.

Bandura, A. (1997). Self-efficacy: The Exercise of Control. New York: Freeman.

Bargh, John A.; Chen, Mark; Burrows, Lara (1996): Automaticity of social behavior: Direct effects of trait construct and steriotype acitvation on action. In: Journal of Personality and Social Psychology, 71, S. 230-244.

Feltz D. L. & Chase M. A. (1998). The measurement of self-efficacy and confidence in Sport. In: J. L. Duda (Ed.): Advances in Sport and Exercise Psychology Measurement. (65-80) Morgantown, WV: Fitness Information Technology.

Hermann, H.-D., Mayer, J. (2014): Make them go! War wir vom Coaching für Spitzensportler lernen können. Murmann Verlag; Auflage: 2

Moritz D. E., Feltz D. L., Fahrbach K. R., Mack D. E. (2000). The relation of self-efficacy measures to sport performance: A meta-analytic review. Research Quarterly for Exercise and Sport 71, 280-294.

Short, S. E., Tenute, A. & Feltz, D. L. (2005). Imagery use in sport: Mediational effects for efficacy. Journal of Sport Sciences, 23(9), 951-960.

Internet:

http://userpage.fu-berlin.de/~gesund/skalen/Kollektive_Selbstwirksamkeit/kollektive_selbstwirksamkeit.htm

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Prof. Dr. René Paasch
Prof. Dr. René Paaschhttp://www.die-sportpsychologen.de/rene-paasch/

Sportarten: Fußball, Segeln, Schwimmen, Handball, Volleyball, Hockey, Eishockey, Tennis

Gelsenkirchen, Deutschland

+49 (0)177 465 84 19

E-Mail-Anfrage an r.paasch@die-sportpsychologen.de