Bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro werden uns 10.500 AthletInnen aus 204 Nationen für mehr als zwei Wochen in den Bann ziehen. Besonders im Blickpunkt stehen dabei unsere 106 Schweizer AthletInnen, die in 17 Sportarten um Medaillen kämpfen. Für viele erfüllt sich in Brasilien ein persönlicher und sportlicher Traum. Um diesen tatsächlich zu verwirklichen, arbeiten SportlerInnen schon Jahre vorher darauf hin. Nicht wenige lassen sich dieser Tage mit den Worten zitieren: „Olympische Spiele sind anders“. Doch was steckt aus sportpsychologischer Sicht hinter dieser Aussage?
Zum Thema: Was macht Olympische Spiele für AthletInnen so besonders?
Die meisten AthletInnen treffen früh in Rio ein, um sich dort an alles Unbekannte zu gewöhnen: an die Grösse des Events, an die anderen Sportarten und an die VertreterInnen der anderen Länder. Viele ausserordentliche Eindrücke prasseln täglich auf die AtheltInnen ein und alle tun gut daran, ein sinnvolles Pausen- sowie Freizeitmanagement umzusetzen. Denn eine der grossen Herausforderungen neben den eigentlichen Wettkämpfen ist es, sich genügend Rückzugsmöglichkeiten zu schaffen, um am Ende eine erfolgversprechende Erholungsbilanz aufzuweisen.
Eine der grossen Besonderheiten ist, dass das Leben im olympischen Dorf auch an wettkampffreien Tagen dazu führt, dass die SportlerInnen ständig mit grossen Emotionen und Trubel konfrontiert sind. Dies beginnt mit der Eröffnungsfeier und wird fortgesetzt mit der Live-Berichterstattung über die Siege und Niederlagen der KonkurrentInnen, der anderen Schweizer AthletInnen oder der KollegInnen anderer Länder. Die permanente Wettkampffokussierung und die grosse Nähe zu den anderen, ein ungewohnt umfangreiches mediales Interesse, die Zuschauermenge und das Wissen um die Wichtigkeit des persönlichen Erfolges: all dies kann einen enormen Druck erzeugen und hat schon bei manchem Sportler ein Blackout verursacht, auch chocking under pressure genannt und dadurch ein Karrierehighlight zu einer bitteren Geschichte gewandelt.
Rechtzeitig den mentalen Koffer packen
Hier kommt die Sportpsychologie ins Spiel, die helfen kann, solche Worst-Case-Szenarien einzudämmen. Dabei ist es aber für die AthletInnen wichtig, sich schon lange im Vorfeld mit den mentalen Aspekten grundsätzlich, und denen eines solch gewaltigen Sportanlasses im Speziellen, auseinander zu setzen. Optimalerweise reisen die AthletInnen also schon mit ihrem mentalen Koffer an und die darin “verstauten” Strategien sind bereits soweit internalisiert, dass sie auch unter diesen besonderen Umständen funktionieren und optimale Wirkung erzielen. Diese sind im Idealfall an verschiedenen Wettkämpfen in den Jahren und Monaten vor den eigentlichen Spielen mehrfach erprobt und optimiert worden.
Denn in Rio wird es ernst: Aus der Sicht eines SpitzensportlerInnen bringen solche Grossanlässe weitreichende Konsequenzen mit sich, nicht zuletzt auch für künftige Sponsoring- oder Vertragsmöglichkeiten. Sportliche Grossanlässe können somit durchaus als critical incidents – als kritische Ereignisse in einer Sportkarriere – gesehen werden. Die jahrelange Hinführung auf diesen Moment, und zwar in möglichst allen erfolgsbeteiligten Bereichen, ist oft für viele SportlerInnen der Auslöser, um sportpsychologische Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Durch die Wichtigkeit des bevorstehenden Anlasses steigen die AthletInnen hoch motiviert in einen solchen Beratungsprozess ein und bringen eine grosse Veränderungsbereitschaft mit. Wir Sportpsychologinnen und Sportpsychologen arbeiten hingegen nicht nach dem Motto: Je wichtiger ein Wettkampf, desto besser die Interventionen. Die Grösse des Anlasses hat keinerlei Einfluss auf die Qualität der anzuwendenden mentalen Techniken. Vielmehr schaffen Grossanlässe durch ihre Wichtigkeit neue Situationen und Themen, denen sich die SportlerInnen mittels mentaler Auseinandersetzung stellen und wofür situativ angepasste Strategien, Tools und Techniken erarbeitet worden sind.
Ein Blick in die Praxis mit Sophie Giger und Sascia Kraus
Wie eine sportpsychologische Intervention in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele ausschaut, kann ich an einem Beispiel darlegen. Hierzu empfehle ich den Insiderbericht zu meiner aktuellen Zusammenarbeit mit dem Synchronschwimm-Duett Sophie Giger und Sascia Kraus.
http://die-sportpsychologen.ch/2016/08/03/sophie-giger-und-sascia-kraus-der-weg-nach-rio/
Disclaimer
Die-Sportpsychologen nutzt Begrifflichkeiten in Bezug auf die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro ausschließlich im Sinne der Kommunikation, also im Rahmen von Stellungnahmen, Kritiken oder beschreibenden Verweisen zu Geschehnissen.
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