“Elfmeterschießen lasse ich nicht üben”, erklärte Didier Deschamps, der Trainer der französischen Nationalmannschaft, schon vor dem Viertelfinale gegen Island: “Und es gibt auch im Vorfeld keinen Plan dafür.” Gehen die Franzosen also planlos in die Donnerstagnacht von Marseille? Dort wartet im EM-Halbfinale die deutsche Mannschaft, die erst in der Runde zuvor Italien vom Punkt schlagen konnte. Zugegeben: Der 7:6-Erfolg im Elfmeterschießen war glücklich – auffällig waren vor allem die vergebenen Schüsse der Weltmeister Thomas Müller, Mesut Özil und Bastian Schweinsteiger – dennoch konnte am Ende ein Erfolgsgeheimnis gefeiert werden. Zudem können wir sicher sein, dass im deutschen Betreuerstab, zu dem mit Hans-Dieter Hermann bekanntlicherweise ein Sportpsychologe zählt, das Themengebiet Elfmeterschießen nicht totgeschwiegen wird. Zurecht.
Zum Thema: Wie die Wahrscheinlichkeit erhöht werden kann, per Elfmeter zu treffen
Eines vornweg: Ein gut geschossener Elfmeter ist praktisch unhaltbar. Was aber sind die möglichen Gründe dafür, dass routinierte Spieler vom Punkt versagen und plötzlich eine technisch ausgesprochen einfache Aufgabe nicht mehr erfolgreich bewältigen können, sondern stattdessen den Ball in den Himmel jagen (Bastian Schweinsteiger gegen Italien) oder dem Torwart halbhoch und damit mehr als haltbar servieren (Mesut Özil im Gruppenspiel gegen Nordirland)?
- Bei extremem (Erwartungs-) Druck können Versagensängste aufkommen. Die damit einhergehende erhöhte Anspannung führt zu einer gestörten Feinmotorik. Bewegungen werden nicht mehr optimal ausgeführt.
- Die Nervosität verstärkt die Wahrscheinlichkeit, dass negative Gedanken, wie „Hoffentlich verschieße ich nicht“, „Nicht auf den Torwart zielen“, aufkommen, welche im Sinne sich-selbst-erfüllender Prophezeiungen ironischerweise genau zu den Fehlern führen, die eigentlich vermieden werden sollen.
- Insgesamt wird die intuitive, automatisierte Handlungsausführung unter Stress/Versagensangst durch bewusste Denk-/Handlungsprozesse gestört. Das ist ein Killer für sportliche Leistung. Die für eine optimale Handlungsausführung relevanten Systeme im Gehirn kämpfen gemeinsam mit dem Stresserleben um mentale Ressourcen und behindern sich gegenseitig. Das System zur Überwachung möglicher Fehler („Nicht auf den Torwart oder an den Pfosten schießen“) läuft jedoch weiterhin auf Hochtouren, gewinnt dadurch an Bedeutung und lenkt die Aufmerksamkeit und Handlungsenergie in die Richtung, die eigentlich vermieden werden soll.
„Da kam dann das Elfmeterschießen. Wir hatten alle die Hosen voll“ (Paul Breitner, zwischen 1971-1982 deutscher Nationalspieler)
Was tun, um die Wahrscheinlichkeit auf Erfolg zu erhöhen?
Studien zeigen, dass der (Miss-)Erfolg beim Elfmeterschießen weniger oder gar nicht durch die Erfahrung oder fußballerischen Fähigkeiten, sondern vor allem durch psychologische Faktoren des Schützen bestimmt ist. Entsprechend gilt es die Psyche in den Vordergrund zu rücken. Folgende Strategien können helfen:
- Auswahl der richtigen Spieler: nicht die besten, sondern die psychologisch am geeignetsten sollten schießen (Sportler mit geringer Wettkampf-Angst und geringen Werten im Persönlichkeitsmerkmal Neurotizismus)
- Training unter Druck/Ernstbedingungen: beim Elfmetertraining muss z.B. die ganze Mannschaft Strafrunden absolvieren, wenn der Elfer verschossen wird.
- Erlernen und Automatisierung von Techniken zur schnellen Stress-/Angstreduktion, z.B. durch entsprechende Atemtechniken
- Durch Selbsthypnosetechniken lernen, unter Ernstbedingungen optimale mental-physiologische Zustände zu aktivieren und innere wie äußere Störreize auszublenden
- Positive Zielfokussierung: Konzentration auf das, was ich will, nicht auf das, was ich nicht will
- statt Fluchtverhalten zeigen (mit dem Rücken zum Tor Anlauf nehmen und bei Ballfreigabe besonders schnell ausführen) selbstbewusst auftreten: rückwärts Anlauf nehmen, nach der Ballfreigabe durch den Schiri kurz durchatmen und 1-3 Sekunden Zeit lassen
Und wenn der Ball im Tor versenkt wurde, sollte – wie auch sonst im Leben – dieser Erfolg gefeiert werden. Das führt zu einer sogenannten Gefühlsansteckung: die eigene Mannschaft tankt Selbstvertrauen und Optimismus. Der Gegner wird eingeschüchtert und der Druck auf diesen erhöht. Das wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit auf eigene Torerfolge und gegnerische Misserfolge.
Referenzen
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