Dr. Hanspeter Gubelmann: Wer soll es sein – Mentaltrainer oder Sportpsychologe?

In diesem Sommer folgen die sportlichen Grossveranstaltungen Schlag auf Schlag: Fussball-Europameisterschaft, Leichtathletik-EM und Olympische Spiele in Rio, dazwischen liegen weitere Top-Ereignisse wie Wimbledon im Tennis oder der Radsportklassiker „Le Tour de France“. Dabei fällt auf, dass insbesondere in der Berichterstattung der Medien die Bedeutung der Psychologie und der mentalen Fähigkeiten und Fertigkeiten vermehrt ins Zentrum der Diskussion gerückt werden. Mein deutscher Kollege Dr. René Paasch hat sich in seinem jüngsten Blog der durchaus brisanten Frage genähert, an wen sich der interessierte Sportler im Bedarfsfall eher wenden soll – an einen Mentaltrainer oder an den Sportpsychologen? Zur Einstimmung in die Thematik lohnt die Lektüre seines Textes:

Dr. René Paasch: Mentaltrainer oder Sportpsychologe?

Ein Fazit aus den Überlegungen des deutschen Kollegen ist schnell gezogen: Die Einordnung der Dienstleistungen von Mentaltrainern wird aufgrund uneinheitlicher Qualifikationsstandards und fehlender ethischer Arbeitsgrundsätze zum Selbstversändnis in Beratung und Betreuung zum Problem. Noch prägnanter formuliert es Martin Miller in seinem Kommentar zum Beitrag: „Mentaltrainer sind in der Regel Scharlatane, die irgend eine pseudowissenschaftliche Sparte anbieten und nicht über die genügenden psychologischen Kenntnisse verfügen, um auf diesem Gebiet professionell zu beraten.“ Gilt diese Einschätzung tatsächlich auch für die Schweiz?

Für die-sportpsychologen.ch berichtet Dr. Hanspeter Gubelmann:

Mit 25 Jahren Praxiserfahrung im Spitzensport und bald 20 Jahren Vorstandsarbeit in der SASP (Swiss Association of Sport Psychology) möchte ich versuchen, ein etwas differenzierteres Bild zu zeichnen. Dabei gilt es einleitend folgende, gravierende Unterschiede zwischen der Schweiz und Deutschland festzuhalten.

  • Entwicklung des Berufsfeldes der angewandten Sportpsychologie: In der Schweiz war die Angewandte Sportpsychologie durch ihre institutionelle Nähe zur Trainerbildung und Sportlehrerausbildung schon sehr früh in der Praxis des Leistungssports verankert. Demgegenüber entwickelte sich dieser Fachbereich in Deutschland primär über sportwissenschaftliche Forschung an diversen universitären Lehrstühlen.
  • Titelschutz: Die SASP ist seit ihrer Gründung 1969 Gliedverband der Föderation Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP). Die ordentliche Mitgliedschaft erhält nur, wer einen universitären Master-Abschluss in Psychologie vorweisen kann. Damit ist – im Unterschied zu Deutschland – der Titelschutz gegeben. Mentaltrainer, die sich in der Schweiz als Sportpsychologe ausgeben, machen sich strafbar.
  • Einbezug der Mentaltrainer: Im Unterschied zu Deutschland liegt es im Bestreben der SASP, gut ausgebildete und entsprechend qualifizierte Mentaltrainer in die Sektion „Mentaltrainer“ der SASP aufzunehmen. Dies geschieht über genau definierte Voraussetzungen und setzt das erfolgreiche Bestehen eines Assessments voraus. Sämtliche Angaben finden sich auf der SASP-Homepage: www.sportpsychologie.ch

Die SASP als nationaler Fachverband ist sich seiner Verantwortung hinsichtlich der Entwicklung des Berufsfeldes sowie der Förderung und Einhaltung hoher Qualitätsstandards sehr wohl bewusst. Dabei orientiert sie sich in hohem Masse an der Berufsordnung ihres Mutterverbands FSP, die vier bindende, berufsethische Prinzipien vorgibt: Achtung der Würde und Rechte der Person (Klient), fachliche Kompetenz, Verantwortung und Integrität. Die SASP-Statuten legen fest, dass sich alle Mitglieder in Ausübung ihrer Tätigkeit an diesen Prinzipien orientieren müssen.

Welche Kompetenzen für welchen Tätigkeitsbereich?

René Paasch orientiert sich in seiner Argumentation insbesondere an den unterschiedlichen Qualifikationsstandards für Mentaltrainer und Sportpsychologen. Noch bedeutsamer erscheint aber die Frage, inwiefern sich die entsprechenden Dienstleister für die unterschiedlichen Aufgabenbereiche der Angewandten Sportpsychologie qualifizieren (vgl. Gubelmann, 2004).

Abb 1_Aufgabenfelder

Im Zentrum des Psychologischen Trainings (vgl. Abb. 1) steht die Verbesserung grundlegender psychischer Fertigkeiten. In Anlehnung an Seiler und Stock (1994) lassen sich zwei Zielbereiche unterscheiden: die Optimierung der Handlungskompetenz, wobei die angewandten Methoden primär bei der psychischen Regulation der sportlichen Handlung (z.B. psychomotorisches Training in Form eines Bewegungsvorstellungstrainings) ansetzen, sowie die Optimierung der Selbstregulationskompetenz, die auf eine Verbesserung der grundlegenden Selbstregulationsprozesse abzielt (z.B. Psychoregulationstraining in Form eines Aktivationstrainings). Gemeinsamer Ansatzpunkt der in «klassischen» psychologischen Trainings angewandten Verfahren liegt in der Regulation bestimmter (Teil-)Funktionen oder spezifischer Prozesse. Das psychologische Training ist insbesondere dort angesagt, wo es gezielt, geplant und
systematisch entwickelt und in den Trainingsprozess der Athleten oder Athletinnen integriert wird. Diese unmittelbare Nähe zum Trainings- und Wettkampfprozess impliziert, dass der effektivste Mentaltrainer möglicherweise der eigentliche Trainer des Athleten oder der Athletin selbst ist, falls er durch einen entsprechend ausgebildeten Mentaltrainer oder eine Psychologin angeleitet wird. Eine Intervention im Bereich der Betreuung und Beratung kann ebenfalls eine Leistungsoptimierung bezwecken. Mindestens so häufig liegt das Ziel aber in einer konkreten Veränderung im sportlichen und/oder privaten Umfeld des Athleten oder der Athletin. Im Hinblick auf eine Leistungssteigerung sind es oft gestufte oder gestaffelte, komplexere Verhaltensprogramme (vgl. Sonnenschein, 1990), die über das weiter oben beschriebene psychologische Training hinausgehen und dementsprechend breite sportpsychologische Kompetenz der Betreuungsperson voraussetzen.

Klinische und insbesondere psychotherapeutische Massnahmen sind dann angezeigt, wenn psychische Störungen die Athletin oder den Athleten nicht nur in ihrer sportlichen Leistungsfähigkeit einschränken, sondern das psychische Wohlergehen der Person grundsätzlich gefährden. Schwerwiegende Traumatisierungen können Folge eines Sportunfalls sein (z.B. Unfallneurose), in Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen stehen (z.B. Angstneurose), in Koinzidenz mit einem somatischen Krankheitsbild (z.B. Essstörung, anorexia athletica) auftreten oder durch Katastrophen (z.B. Terroranschläge) hervorgerufen werden. Obwohl psychotherapeutische Interventionen im Vergleich zum täglichen Handlungsbedarf in der psychologischen Beratung und Betreuung seltener sind, handelt es sich hierbei um eine wichtige Dienstleistung der angewandten Sportpsychologie, die im Ernstfall den Einsatz eines entsprechend geschulten Experten auch aus dem Bereich der Notfallpsychologie (vgl. Van Ralte, 2003) bedarf.

Die Qual der Wahl? Worauf es zu achten gilt!

Auf die Frage eines Athleten, nach welchen Kriterien er sich auf die Suche nach einem passenden Betreuungsangebot im Hinblick auf einen zukünftigen Grossanlass machen sollte, könnte folgende Checkliste sinnstiftend sein.

Ausbildungsstandards und -niveau „Sportpsychologe“: Ordentliche Mitglieder der SASP sind ausgebildete Psychologinnen und Psychologen mit einem Master in Psychologie. Jene aktuell 23 Psychologen, die den Fachtitel „Fachpsychologie für Sportpsychologie“ mitbringen, haben eine dreijährige postgraduale Weiterbildung in angewandter Sportpsychologie absolviert und bringen Berufserfahrung mit. Sie gelten als Experten ihres Fachs und werden entsprechend in der Datenbank geführt. Ihre Koordinaten finden sich auch im Psychologinnen-Verzeichnis (siehe Quellenangabe) unter Fachtitel „Sportpsychologie FSP“.

Einige Fachtitelträger sind bereits Profilinhaber bei die-sportpsychologen.ch:

http://die-sportpsychologen.ch/die-sportpsychologen-2/

Mentaltrainer

Qualifikation „Mentaltrainer“: Die Berufsbezeichnung „Mentaltrainer“ ist im Gegensatz zu Psychologe und Sportpsychologe rechtlich nicht geschützt. Entsprechend zahlreich sind im Internet Anbieter mit zweifelhaftem Hintergrund anzutreffen – auch in der Schweiz. Mentaltrainer, die der SASP angehören, haben ein umfangreiches Aufnahmeverfahren erfolgreich absolviert und bringen eine zertifizierte Mentaltrainer-Ausbildung mit, wie sie z.B. von der ZHAW angeboten wird (siehe Link)

Qualifikation „Sport“: In welchem Masse sich ein Mentaltrainer oder ein Sportpsychologe für den Sport qualifizieren, muss im Einzelfall unbedingt nachgefragt werden. Grundsätzlich gilt: jeder im Spitzensport engagierte Betreuer muss das System „Spitzensport“ kennen und verstehen!

Die Gütekriterien

Erstgespräch: Zu den Gütekriterien eines Betreuungsangebots, welche im Rahmen eines Erstgesprächs erörtert werden müssen, gehören:

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Transparenz – es muss Klarheit herrschen, wo und wie der Anbieter seine Kompetenzen erlangt hat, wie sein Vorgehen aussieht und wo die Grenzen seiner Expertise liegen.

Verantwortung – Anbieter respektieren die Berufsordnung der FSP, insbesondere die Schweigepflicht, Datenschutz und Wahrung der Intimsphäre; Viele seriöse Anbieter geben diese Angaben auch in Form einer schriftlichen Information ab (siehe Beispiel Informationsblatt)

Fortbildung – Anbieter bilden sich kontinuierlich weiter und arbeiten in Intervisions- und Supervisionsgruppen.

Vernetzung – Sportpsychologen sind vernetzt und können Athleten im Bedarfsfall an spezialisierte Kollegen weitervermitteln.

Abschliessende Tipps und Hinweise

Bedenkfrist: Es braucht Zeit, um eine wirklich gute Wahl zu treffen! Angebote, die einen schnellen Erfolg versprechen, als mühelos umsetzbar beschrieben werden oder einen Erfolg gar garantieren wollen, sind sehr suspekt. Es empfiehlt sich, eine allenfalls vorhandene Homepage des Anbieters anhand der obigen Kriterien zu beurteilen. Im Zweifelsfall lohnt die Rücksprache und eine Kontaktaufnahme mit der dem Berufsverband SASP.

Bauchgefühl: Hohe Fachkompetenz, die Mitgliedschaft im Fachverband und ein imponierendes Auftreten des Sportpsychologen im Erstgespräch reichen für eine stimmige Wahl aber noch nicht, falls ein entscheidender Indikator nicht ansprechen sollte – das Bauchgefühl! Dieses liefert dem Athleten den grundsätzlichen Hinweis dafür, ob die „soft factors“ wie z.B. empathisches Empfinden derart ausgeprägt sind, damit eine vertrauens- und achtsamkeitsbasierte Zusammenarbeit entstehen kann.

 

Quellen:

Gubelmann, H.-P. (2004). Ein Fall für den Sportpsychologen? Über Themen, Aufgaben und Integration der psychologischen Intervention im Schweizer Spitzensport. Schweizerische Zeitschrift für Sportmedizin und Sporttraumatologie 52 (2), S.49-53.

Seiler R. & Stock A. (1994). Handbuch Psychotraining im Sport: Methoden
im Überblick. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Sonnenschein, I. (1990): Das Kölner Psychoregulationstraining (3. Aufl.).
Köln: bps-Verlag.

Van Ralte J.L. (2003). Provision of Sport Psychology Services at an
International Competition: The XVI Maccabiah Games. The Sport Psychologist,
17, 461–470.

Quellen:

Weiterbildungskurse für Mentales Training und Sportpsychologie in der Schweiz

https://www.psychologie.ch/politik-recht/berufsethik/berufsordnung-der-fsp/

https://www.psychologie.ch/bildung/weiterbildung/fachtitel/fachpsychologefachpsychologin-fuer-sportpsychologie-fsp-diverse-anbieter/

http://www.ispw.unibe.ch/unibe/portal/fak_humanwis/philhum_institute/inst_sport/content/e40167/e40168/e131133/FlyerDASSportpsychologie_ger.pdf

https://weiterbildung.zhaw.ch/de/iap-institut-fuer-angewandte-psychologie/programm/cas-psychologisches-mentales-training-im-sport.html

http://www.sportpsychologie.ch/deutsch/sasp-1/

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Dr. Hanspeter Gubelmann
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