Versetzen wir uns doch einmal in die Rolle von Haris Seferovic. Kaum hatte der zuletzt glücklos agierende Stürmer der Schweizer Nationalmannschaft im zweiten Gruppenspiel der Fussball-Europameisterschaft gegen Rumänien die erste Grosschance vergeben, wurden die Gesänge für Breel Embolo noch lauter als sie ohnehin schon waren. Hätten wir uns in seiner Lage nicht zumindest etwas allein gefühlt? Förderlich für das Selbstbewusstsein des Bundesliga-Spielers von Eintracht Frankfurt waren die Liebesbekundungen für seinen direkten Konkurrenten in der Nati – ganz offensichtlich – nicht.
Zum Thema: Können sich Fanchöre auf dIe Leistung von Spielern auswirken?
Die empirischen Befunde, inwiefern die Zuschauer die Leistung beeinflussen, sind sehr inkonsistent. Auch über die Erklärungsansätze für gefundene Effekte herrscht Uneinigkeit. Somit ist es wenig verwunderlich, dass es eine Vielzahl von Erklärungsversuchen gibt. In diesem Zusammenhang empfehle ich den Blog-Beitrag von Dr. René Paasch für die-sportpsychologen.de: Der wichtige zwölfte Mann. Kürzen wir an dieser Stelle aber ab und konzentrieren uns auf zwei Strömungen: So steht die Annahme, dass die Unterstützung der Zuschauer eher zu einer Aktivierung der Sportler führt, der konträren Position gegenüber, dass das Publikum die Aufmerksamkeit beeinflusse. Was bedeutet dies konkret für unser Beispiel? So können die Gesänge für Embolo motivierend und zusätzliche Kräfte mobilisierend wirken (aktivierend). Im Gegenzug macht sich, der ohnehin schon unglücklich agierende Seferovic, zusätzliche Gedanken über eine mögliche Auswechslung und kann sich somit nicht mehr gänzlich auf seine Aufgaben konzentrieren (aufmerksamkeitsstörend).
Minute 7, wie angekündigt #OhEmbolo #ROUSUI #EURO2016 #ParcDesPrinces #SchwizerNati pic.twitter.com/ASY9MKjxxN
— SRF 3 (@srf3) 15. Juni 2016
Unterstützung wirkt positiv
Die Unterstützung der Zuschauer wird von den Athleten mehrheitlich positiv aufgenommen. Ein Publikum kann jedoch auch belastend wirken. Durch die Erwartungen der Zuschauer an die Mannschaft oder auch an einzelne Spieler, wird ein Druck aufgebaut. Law et al. (2003) sind der Frage nachgegangen, ob die Zuschauer das Versagen unter Druck (choking under pressure, siehe auch Leitartikel von Christian Reinhardt für die-sportpsychologen.de) begünstigen. Dabei haben sie herausgefunden, dass eine explizite Repräsentation der Fähigkeit anfälliger für Störvariablen ist. Je mehr sich also ein Spieler über einen Torschuss Gedanken macht, desto eher kann er durch das Publikum gestört werden und im Ergebnis tritt eine Leistungsminderung ein. Eine Möglichkeit dem zu entgegnen wäre, die Torsituationen ohne grosses Abwägen der verschiedenen Alternativen (instinktiv) zu spielen.
In welchem Masse letztendlich die Zuschauer die Leistung beeinflussen können hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Zum einen spielt die Aufgabenschwierigkeit eine zentrale Rolle. Bei leichten Aufgaben, welche wenig kognitive Ressourcen benötigen, ist die Gefahr der Beeinflussung kleiner. Zum anderen sind auch individuelle Komponenten (z.B. das Selbstvertrauen, die Konzentration, Lernprozesse, etc.) von Bedeutung.
Fazit
Obwohl der Effekt der Zuschauer auf das Spiel kritisch zu betrachten ist, sollte dennoch die Mannschaft durch die Fans unterstützt werden. Dabei ist zu hoffen, dass mit Hilfe der Nati-Anhänger das Selbstvertrauen Seferovic’s zurückkommt und die Mannschaft den Platz gegen Frankreich als Sieger verlässt.
Literatur
Alfermann, D. & Strauss, B. (2001). Soziale Prozesse im Sport. In H. Gabler, J. Nitsche & R. Singer (Hrsg.), Einführung in die Sportpsychologie (2., veränderte Auflage, S. 73-108). Schorndorf: Hofmann.
Law, J., Masters, R., Bray, S.R., Eves, F. & Bardswell, I. (2003). Motor Performance as a Function of Audience Affability and Metaknowledge. Journal of Sport & Exercise Psychology, 25, 484-500.
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