Deutschland ist dank einer starken Vorstellung gegen Nordirland als Gruppensieger ins Achtelfinale eingezogen. Im Mittelpunkt stand beim 1:0-Erfolg Thomas Müller, der eine Vielzahl von hochkarätigen Torchancen ausließ und es versäumte, sich für eine insgesamt gute Leistung zu belohnen. Dr. René Paasch nimmt diesen Ball auf und erklärt an greifbaren Beispielen wie innere Gespräche Thomas Müller, seinen Offensivkollegen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft und dem Rest der Fußballwelt Unterstützung bieten könnten.
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Die Bedeutung des inneren Dialogs. Wie Selbstgespräche die Trefferquote verbessern können!
Tolles Spiel, unnötiges Ergebnis. Denn die DFB-Elf hätte schon zur Pause mit drei oder vier Toren führen müssen. Joachim Löw äußerte sich im Fernsehgespräch in der ARD außerordentlich unzufrieden mit den Abschlussqualitäten und der Konzentration seiner Offensivspieler im Abschluss. Einer der Angesprochenen war Thomas Müller, von dem wiederum auch selbstkritische Töne zu vernehmen waren: “Da war bei mir auch Unvermögen dabei. Ich hätte mit Gareth Bale an der Spitze der Torjägerliste gleichziehen müssen“.
Nehmen wir uns einige der verpassten Torchancen Müllers vor, die möglicherweise auch von handlungsbegleitenden negativen Gedanken und inneren Gesprächen getragen worden sind: Özil hebelte mit einem wunderbaren Pass in die Tiefe die nordirische Abwehrkette aus. Müller hatte freie Bahn in Richtung Michael McGovern, doch der Keeper warf sich in den Schuss und parierte glänzend. War Müller in diesem Moment eher Handlungs- oder Lageorientiert? Fußballer mit einer hohen Handlungsorientierung sind in der Lage, alle mentalen Prozesse auf den Handlungsvollzug auszurichten. Demgegenüber machen sich unerfahrene oder auch unsichere Akteure während des Handlungsvollzuges über zukünftige, gegenwärtige und vergangene Dinge Gedanken. In letzterem Fall wird auch von einer Lageorientierung gesprochen (Kuhl, 1983).
Sekunden später landete die Kugel über Sami Khedira bei Götze, der aber ebenso wie Müller nur McGovern anschoss. Aber die Art und Weise, wie die Deutschen mit viel Tempo und Dynamik gegen den extrem tief gestaffelten Gegner anliefen, machte Mut – und eröffnete immer wieder Chancen. In der 23. Minute leitete erneut Kimmich einen gefährlichen Angriff ein, Gomez legte den Ball mit der Brust perfekt in den Lauf von Müller – doch der schoss knapp am linken Pfosten vorbei. Hatte Müller ein handlungsbegleitendes positives Selbstgespräch?
Es lässt sich nur vage vermuten, doch äußerlich wahrnehmbare Zeichen von Müller sprechen Bände. Nach einer knappen halben Stunde waren dann aber auch endlich Aluminium und Torhüter der Nordiren ausmanövriert. Der grandios aufspielende Kimmich bediente Özil, dann spielte Gomez Doppelpass mit Müller – und vollstreckte zur überfälligen deutschen Führung. Fast 70 Prozent Ballbesitz hatten das DFB-Team zu diesem Zeitpunkt, knapp 90 Prozent der Zuspiele kamen an, es war die fünfte Großchance: Verdienter kann man nicht führen. Die Deutschen drückten und so langsam wurde es ärgerlich, wie leichtfertig sie ihre Möglichkeiten verschenkten. So setzte Gomez nach Khediras abgewehrtem Flachschuss seinen Kopfball am leeren Tor vorbei (60.), und auch Müller setzte kurz darauf seinen nächsten Versuch zu hoch an.
So unzufrieden wie Joachim Löw nach der Partie auch war, so konstruktiv wird der Bundestrainer und sein Trainerteam mit den gezeigten Schwächen umgehen. Womöglich kommt auch Sportpsychologe Hans-Dieter Hermann zum Einsatz. Denn Techniken der Selbstgesprächsregulation können Müller und jeden anderen Fußballer ebenso unterstützen, die Treffsicherheit zu erhöhen. Hier habe ich konkrete Beispiele benannt, wie jeder Spielsportler mit inneren Gespräche arbeiten kann:
Gedankenstopps
Die Technik des “Gedankenstopps” wird relativ häufig zur Reduktion handlungsbegleitender negativer Gedanken vor und während des Wettkampfes oder Trainings eingesetzt. Hier lernen Fußballer/innen, das Aufkommen von negativen Gedanken durch die Konzentration auf positive Gedanken zu unterbinden und somit die negativen, störenden Kognitionen zu stoppen (= Gedankenstopp). Wesentlich für die Effektivität dieser Technik ist es, dass diese “Ersatzgedanken” positiv besetzt sind. Somit lernen Fußballer/innen, sich nicht auf die negativen Gedanken (Ich komme nicht ins Spiel oder ich bin unfähig) zu konzentrieren, sondern diese bewusst abschalten zu können und durch positive Kognitionen zu ersetzen.
Rationalisierungstechniken
Bei Rationalisierungstechniken wird versucht, den Effekt des negativen Gedankens zu minimieren, indem man diesen in einen anderen Zusammenhang bringt, der nicht so beängstigend ist. Durch diese Technik lernen die Fußballer/innen, Situationen, die psychisch belastend eingestuft werden, als relativ leicht einzuschätzen, indem sie auf ähnliche Situationen aus der Vergangenheit zurückgreifen (z. B.: “Im letzten Spiel habe ich die auch reingemacht”). Zudem sollen hier die Kicker lernen, die Situation von außen zu betrachten (“Es kann nichts passieren, selbst wenn ich den Freistoß nicht verwandle”).
Selbstgesprächsinstruktionen
Selbstgesprächsinstruktionen bezeichnen Selbstgespräche, die positive Selbstbestätigungen beinhalten (z. B. “Ich bin gut”), bzw. konkrete Handlungsanweisungen (z. B.: “Innenbereich zum Tor zumachen”). Beruhigungstechniken wie beispielsweise “ganz ruhig, wie im Training und Wettkampf” tragen dazu bei, den Gefühlszustand zu regulieren.
Die sprachliche Überzeugung sollte aus zweierlei Perspektiven gesehen werden. Zum einen die externen Einflüsse, im Fußball vorrangig vom Trainer, den Mitspielern oder den Zuschauern kommen, zum anderen die interne Quelle, also das innere Selbstgespräch. Besonders dann, wenn Leistung zum definierten Zeitpunkt gefordert ist, sollten innere Gespräche handlungsfördernd sein und nicht hemmend wirken. Diese Form des Trainings ist aus meiner Erfahrung die am häufigsten genutzte Strategie im Fußball. Diese regulatorische Form der positiven Beeinflussung ist mächtig und vielen Fußballern gar nicht bewusst, welchen Einfluss ein schlechtes inneres Gespräch haben (siehe auch Prof. Dr. Oliver Stoll: Gute Selbstgespräche) kann.
Literatur:
Baumann, S. (2011). Psyche in Form: Sportpsychologie auf einen Blick. Aachen: Meyer & Meyer Sport.
Eberspächer, H. (2004). Mentales Training: Ein Handbuch für Trainer und Sportler.
München: Copress.
Beckmann, J. (1987). Höchstleistung als Folge missglückter Selbstregulation. In J.P. Janssen, W. Schlicht & H. Strang (Eds.), Handlungskontrolle und soziale Prozesse im Sport (S. 52-63). Köln: bps.
Kuhl, J. (1983). Motivation, Konflikt und Handlungskontrolle. Berlin: Springer.
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[…] Dr. René Paasch: Analyse NIR vs. GER […]