Nicht nur die Spieler sondern auch ihre Trainer stehen an den UEFA-Fussball-Europameisterschaften unter Druck. Eingefangen von stets auf sie gerichtete Fernsehkameras sieht man etwa „Gentleman“ Roy Hogdson im Torjubel seiner Mannschaft oder den griessgrämig dreinblickenden Leonid Slutski, der nach der 0:3-Niederlage gegen Wales sein Amt als Nationaltrainer Russlands zur Verfügung stellt. Die von Aussen sehr gut zu beobachtende emotionale Achterbahnfahrt des Trainers an der Seitenlinie lässt auf eine hohe psychophysische Beanspruchung schliessen. Wie hoch ist dieser (Erfolgs-)Druck und welche Notwendigkeiten lassen sich im Umgang mit Stress aus Sicht des Trainers ableiten?
Zum Thema: Fussballtrainer unter Stress
Ob Profisfussballer oder Konzertpianistin, ob Fussballtrainer oder Topmanagerin: Hoher Leistungsdruck, Extrembelastungen und Stress kennen alle „hoch ambitionierten Menschen“. Alle müssen damit klar kommen, vieles davon ist gelernt und basiert auf einem aktiven und zielorientierten Umgang mit Stress. Wenn hohe und höchste Belastungen nicht durch ausreichende Erholung kompensiert werden, kommt es früher oder später zur Erschöpfung. Immer mehr Trainer scheinen von diesem Phänomen betroffen zu sein. Für internationale Schlagzeilen sorgten die Fälle der Bundesliga-Trainer Ralf Rangnick, Ottmar Hitzfeld und jüngst Sascha Lewandowski (gestorben: 8. Juni 2016, laut übereinstimmenden Medienberichten wird von einem Suizid ausgegangen). Sie beschrieben ihre Burnout-Erfahrungen mit dem Abbau geistiger Leistungsfähigkeit, chronischer Müdigkeit, leichter Reizbarkeit, Ängsten, körperlichen Beschwerden und erhöhter Suchtgefahr. Dieses „Ausgebrannt-Sein“ äussert sich sehr häufig auch in einer despressiven, freud- und lustlosen Gefühlswelt. Neben der Depression ist vermutlich die Gefahr, Stress mit Alkohol, Medikamenten oder Drogen zu bekämpfen, das offensichtlichste Merkmal von Burnouts unter Trainern. Branko Zebec, einst sensibler, schweigsamer und mitunter eigenwilliger Bundesliga-Erfolgstrainer, scheiterte an seiner Sucht, die offensichtlich wurde, als er 1982 als Coach von Borussia Dortmund volltrunken rückwärts von der Trainerbank fiel und damit den Anfang vom Ende der Karriere einleitete. Zebec starb 1988 im Alter von nur 59 Jahren. Den aktuellsten sportwissenschaftlichen Überblick zur Burnout-Thematik bei Trainern bieten Schaffran, Altfeld & Kellmann (2016).
Wenn die Leistungsfähigkeit des Trainers nachlässt
Geraten Fussballtrainer unter übermässigen Leistungsdruck, sinkt auch ihre Leistungsfähigkeit. Dies kann sich darin zeigen, dass sie sich weniger empathisch gegenüber Team und Spieler verhalten, die Kommunikation vernachlässigen und vermehrt Probleme bekunden, die Strukturen innerhalb eines Teams aufrecht zu erhalten. Sehr oft verstärken Unzufriedenheit und fehlende Erholung die Problematik.
Präzisere Informationen zur Belastungssituation von Fussballtrainern liefert die Studie von Altfeld und Kellmann (2014). Ihr Vergleich von ehrenamtlichen und hauptberuflichen Fussballtrainern in Deutschland weist nach, dass Profitrainer insbesondere im Bereich der Sozialen Beanspruchung signifikant höher belastet sind als nebenberufliche und ehrenamtliche Trainer. Zudem erzielen sie signifikant niedrigere Werte im Bereich der Sozialen Erholung. Für alle untersuchten Trainer ergeben sich insgesamt erhöhte Beanspruchungswerte auf der Subskala Konflikte/Leistungsdruck. Häufig genannt werden vor allem Konflikte mit Athleten, im sozialen Umfeld und mit dem Vereins- beziehungsweise Verbandsvorstand.
Spickzettel 2.0 geht heute über #Hose und #Nase. Ergebnis: #Schweinsteiger 2:0 #Jogi #GERUKR #DieMannschaft pic.twitter.com/qcH6CBUjyR
— Sascha Baumann (@BaumannSascha) 13. Juni 2016
„Jogi Löw steht unter Dauererregung“
Aktuellstes Beispiel in der Diskussion zum Thema „Fussballtrainer unter öffentlichem Hochleistungsdruck“ bietet Bundestrainer Joachim Löw. Psychotherapeut Felix Hof deutet seine Handbewegungen im Intimbereich als Übersprungsverhalten, welches auf eine Dauererregung und erhöhte Anspannung schliessen lassen, die nicht hinreichend kanalisiert werden können. Dieses Defizit ortet der Psychologe als Anzeichen dafür, dass Löw schon länger unter Stress stehe, keine Möglichkeit hat, in ein Gleichgewicht zu kommen und mahnt zur Vorsicht: „Ein Trainer hat Vorbildfunktion und müsste mit Stress und Spannung umgehen können. Man sollte die Akte kritisch im Auge behalten”. Aus Sicht einer anwendungsorientierten Sportpsychologie ergeben sich mindestens vier Zielrichtungen sinnvollen Intervenierens:
1) Psychoedukation: Grundsätzliches Anliegen in der Trainerausbildung muss sein, Trainer im Hinblick auf ihre Tätigkeit „kompetent, fit und leistungsfähig“ zu machen. Dazu gehört auch der (selbst-)kritische Umgang mit Stress und ein Angebot mit Hilfestellungen zum individuellen Stressmanagement.
2) Erholungsmanagement: Gefordert ist eine Balance zwischen Beanspruchung und Erholung. Diese basiert auf der Erkenntnis, dass Erholung individualspezifisch ist, eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Thema erfordert und in eine passende Erholungsstrategie münden muss.
3) Emotionskontrolle: Wer Frust immer wieder mit Ärger und „Ausflippen“ abreagiert, schadet sich und seiner Mannschaft. Wer mit seinen Gefühlen achtsam umgeht (vgl. Gardner & Moore, 2004), einen emotionalen Schutzschild entwickelt (vgl. Loehr, 1996) oder andere Formen der Psychoregulation erlernt (vgl. Seiler & Stock, 1994), wird seine Selbstregulationskompetenz massgeblich steigern!
4) Sportpsychologische Betreuung: Die Einbindung sportpsychologischer Expertise auch im Sinne prophylaktischer Massnahmen scheint vielerorts angezeigt. Entsprechend qualifizierte Sportpsychologen müssen im Rahmen von „coach-the-coach“-Interventionen vermehrt Unterstützungsmassnahmen anbieten können!
Quellen:
Altfeld, S. & Kellmann, M. (2014). Analyse der Beanspruchungs- und Erholungsbilanz deutscher Trainer. Zeitschrift für Sportpsychologie, 21, S.137-148.
Gardner, F. L., & Moore, Z. E. (2004). A mindfulness-acceptance-commitment-based approach to athletic performance enhancement: Theoretical considerations. Behavior Therapy, 35(4), 707-723.
Loehr, J. (1996). Die neue mentale Stärke. München u.a.: BLV.
Seiler, R. & Stock, A. (1994). Handbuch Psychotraining im Sport. Reinbek: Rowolt.
Schaffran, P., Altfeld, S. & Kellmann, M. (2016). Burnout in Sport Coaches. A review of correlates, measurement and Intervention. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin. Online: http://www.zeitschrift-sportmedizin.de/en/articles-online/archiv-2016/heft-5/burnout-in-sport-coaches-a-review-of-correlates-measurement-and-intervention/
http://www.20min.ch/schweiz/news/story/-Seine-Genitalien-zu-riechen–erleichtert-Loew–15489162
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