Seit dem spektakulären 6:2 des SV Werder Bremen gegen den direkten Abstiegsmitkonkurrenten VfB Stuttgart am 32. Spieltag ist Sportpsychologe Prof. Andreas Marlovits in aller Munde. Nicht wenige Journalisten führten die Leistung der abstiegsbedrohten Bremer auf die Intervention des in der Szene gut bekannt und geschätzten Kollegen zurück. Ist das ein gutes Zeichen?
Zum Thema: Wird die Sportpsychologie salonfähig?
Noch vor wenigen Jahren wurde die Sportpsychologie gerade im Fußballgeschäft noch ganz anders bewertet. Ein Zitat von Rudi Völler, der von 2000 bis 2004 als Bundestrainer aktiv war, wirkt heute wie aus der Zeit gefallen. Auf die Frage, ob Nationalspieler wegen des hohen Leistungsdrucks psychologischen Rat in Anspruch nehmen sollten, antwortete er: „Glauben Sie es, das ist Kokolores“.
Und erinnern Sie sich vielleicht noch an Jürgen Höller? Der ließ 1999, im Auftrag von Chefcoach Christoph Daum die Profis von Bayer Leverkusen barfuß über Glasscherben laufen. Die Botschaft – das Unvorstellbare möglich machen – setzte die Mannschaft dann auf tragische Weise auch um. Im letzten Saisonmatch gelang dem Leverkusener Team schier Unvorstellbares: Bayer 04 verlor in Unterhaching und damit den sicher geglaubten Meistertitel im Jahr 2000.
Motivationsgurus, Starkredner und Psycho-Trickser
Motivationsgurus, Starkredner und Psycho-Trickser sind seither nicht vom Markt verschwunden. Immer wieder werden Fußball-Vereine mit wahnwitzigen Angeboten konfrontiert. Im Netz finden sich einige Perlen, verweisen möchte ich exemplarisch auf eine Initiativbewerbung von Mentaltrainer John Troost, dessen Expertise auch von Tageszeitungen schon ins Spiel gebracht worden ist:
Nun ist in der Fußball-Bundesliga wieder Abstiegskampf. Eine Saisonphase, in der mehr denn je Leistung über Ergebnisse nachgewiesen werden muss. Und so überraschte es mich nicht, in den vergangenen Tagen auch von der Sportpsychologie zu lesen und zu hören. Gern wurde in der Vergangenheit dann aber die „rote Couch“ ins Feld geführt, um damit Abstiegsgespenster zu verjagen. Nach dem fulminanten 6:2-Erfolg von Bremen gegen Stuttgart war nun vom „Psycho-Trainer“ (Bild) zu lesen, der Teil des Bremer Rettungsplans sein solle. Mehr noch: Im Fachmagazin Kicker wurde die Leistungsexplosion des SV Werder am drittletzten Bundesliga-Spieltag dann mit dem „Geist von Verden“ erklärt, wofür wiederum der Sportpsychologe verantwortlich war. Kurzum: Der mediale Widerhall der Intervention war riesig und blieb in seiner Fachlichkeit (leider wieder einmal) mehr als platt, aber endlich ging die Berichterstattung auf einen „echten“ Sportpsychologen zurück. Hier entsteht also gerade die Chance, dass die Bedeutung unserer Arbeit für eine breitere Masse verständlich wird.
Feuerwehrfunktion und Unkenntnis
Allerdings zeigt der Fall Marlovits auch, dass zum einen hochprofessionelle Bundesligisten wie der SV Werder Bremen mit vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) zertifizierten Nachwuchsleistungszentren, in denen Sportpsychologen mittlerweile elementar dazugehören, immer noch auf Feuerwehr-Effekte hoffen (siehe Prof. Dr. Oliver Stoll: Brasiliens Feuerwehr). Zum anderen zeigt sich, dass im Sportjournalismus weiterhin wenig Fachwissen gegenüber der Sportpsychologie vorhanden ist: In kaum einem der Texte und Berichte habe ich die Nachfrage gehört, weshalb der SV Werder Bremen denn nicht kontinuierlich mit seiner Profi-Mannschaft arbeitet? Stattdessen wird vom Verein stolz verbreitet, dass Marlovits nun auch die beiden finalen Saisonspiele bleiben darf.
Ich hoffe sehr, dass das Engagement von Marlovits unser Berufsumfeld ein weiteres Stück positiv verändert. Denn immer wenn bei Preußen Münster, einem Fußball-Drittligisten in meiner nächsten Nähe, der Trainer wechselt, gebe ich dort meine Bewerbungsunterlagen ab. Die Reaktionen darauf lassen aber erahnen, dass die Verantwortlichen immer noch befürchten, dass ich insgeheim mit den Spielern für Scherben laufen will. Liebe Kollegen, wir haben auch weiterhin noch viel zu tun!
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