Was Führungsspieler von Ex-Curlerin Luzia Ebnöther lernen können

Für die-sportpsychologen.ch berichtet:

Luzia Ebnöther

Zwei Zentimeter fehlten Luiza Ebnöther 2002, um in alle Ewigkeit den Titel Olympiasiegerin zu tragen. Ihre Silbermedaille von den Olympischen Spielen in Salt Lake City, über die sie nach dem Wettkampf noch brutal enttäuscht war, ist mittlerweile längst eine ihrer liebsten Erinnerungen an eine aussergewöhnliche Sportkarriere. Von sechs der sieben Grossanlässen, an denen sie teilnahm, kam sie mit einer Medaille zurück. Neben dem 2.Platz bei Olympia erkämpfte sich die gebürtige Züricherin jeweils eine Silber- und drei weitere Bronzemedallien bei Welt- und Europameisterschaften. Sie zählt bis heute zu den erfolgreichsten Curlerinnen der Schweiz und begleitete ihren Sport mehrere Jahre als Co-Kommentatorin beim Schweizer Fernsehen.

In die Führungsrolle reingewachsen

“Beeindruckt hat mich Luiza Ebnöther allen voran durch ihre Gabe, mit ihrem Team zu wachsen und sich stets verändernden Bedingungen anzupassen,” sagt Cristina Baldasarre. Die Fachpsychologin für Sportpsychologie (zum Profil bei die-sportpsychologen.ch) begleitete die Curlerin insgesamt fünf Jahre und setzte im Zuge der Zusammenarbeit auf Einzelberatungen, Teaminterventionen auf und neben dem Eis und Coach the Coach-Massnahmen. Ebnöther war für sie dabei immer eine herausragende Führungsperson.  

Reflektierend greift Cristina Baldasarre besondere Beispiele heraus, von denen andere Sportler mit Führungsverantwortung lernen können.  

Situatives Führen

Schon als junge Sportlerin, die mit 13 Jahren mit dem Curling begann, übernahm Luzia Ebnöther die Rolle des Skip. Sie entwickelte ihre Rolle fortlaufend, sie musste lernen sich durchzusetzen und situationsangepasst zu handeln. In der Literatur spricht man von Kontingenztheorien, auch Situatives Führen genannt (Rosenstiel). Das bedeutet, dass Führungserfolg durchaus von der Persönlichkeit der führenden Person abhängt, genauso aber auch von den situativen Bedingungen. So ergibt sich eine Mischrechnung: Für Erfolg sind neben dem Führungsstil auch die Beziehungsstärke, die Schwierigkeit der Aufgabe und die Positionsmacht der Vorgesetzten mit einzurechnen. Situativ wird das ganze dann, wenn je nach Ausprägung der genannten Faktoren ein anderes Führungsverhalten erforderlich wird.

Baldasarre: “Luiza Ebnöther nahm in bestimmten Situationen immer wieder die Vogelperspektive ein, um inhaltliche und Umfeld bedingte Knackpunkte zu identifizieren. Sie suchte die Unterstützung bei anderen Personen, wodurch ihre Ideen und Einschätzungen bestätigt oder durch zusätzliche Inputs wertvolle Hinweise und andere Sichtweisen geliefert wurden.” Die Einbeziehung ihrer Mitspielerinnen, auf die sie während der Partien immer wieder setzte, hatte dabei Kalkül: Nicht nur, weil sie verhindern wollte, in komplexen Situationen den Wald vor Bäumen nicht mehr zu sehen, sondern vielmehr wollte sie erreichen, dass die Spielerinnen eine gemeinsame Entscheidung treffen, da die anschliessende Umsetzung mit mehr Selbstvertrauen vollzogen wird.

Teamgeist entwickeln

Curling wird allen voran von den Medien als Mannschaftssport nicht ernst genommen. In der Regel wird in der öffentlichen Betrachtung nur der Skip erwähnt. Baldasarre weiß aber, dass ihre Sportlerin sehr viel Zeit und Akribie dafür verwendete, das Team um sie herum zu bauen: “Luzia Ebnöther legte viel Wert auf die Persönlichkeitseigenschaften, welche die Spielerinnen mit sich brachten: Eine ausgesprochene Kämpfernatur war dabei, ebenso eine mit Überblick, ein ruhender Pol und eine (etwas) Chaotische. Diese Mischung war auch der Schlüssel für den Erfolg ihres Teams. So konnte jede von ihnen ihre starken Eigenschaften einsetzen und im richtigen Moment ergänzten sie sich bestens.”

Die Entwicklung dieses Teamspirits unterstützte sie durch die Schaffung einer äusseren Grenze: Dies gelang durch einfache Mittel wie einer einheitliche Kleidung, dem gemeinsamen Ankommen und Garderobenbezug in der Curlinghalle oder durch ihre individualisierte Spielvorbereitung mit Ritualen, Teamsprüchen und ausgewählter Musik. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl wirkte natürlich auch nach aussen und für Gegner war klar, dass ihnen ein mental bereites Team entgegentreten würde.

Teaminterne Kommunikation

Auch die teaminterne Kommunikation auf und neben dem Eis war stets eine Herausforderung und wichtige Komponente. Schnell ist in der Emotion etwas gesagt, was man lieber nicht gesagt hätte (dies schliesst auch die  Körpersprache mit ein). Hier halfen immer wieder Teamgespräche, bei denen sehr offen darüber geredet wurde, was den einen am anderen stört oder was der eine am anderen schätzt.

Baldasarre: “Dadurch wusste jedes Teammitglied im Detail, was welche Teamkollegin in schwierigen Situationen braucht bzw. nicht braucht. Offen zu kommunizieren war das A und O, um ein gutes Teamverständnis zu entwickeln. Wie viel Zeit dies in Anspruch nahm, war sekundär.”

Visualisierungen und Zielsetzungen

Im Bereich der mentalen Techniken standen das Visualisieren und die Zielsetzung im Zentrum, erinnert sich Baldasarre. Bei der Visualisierung ging es um die Vorstellung gelungener, erfolgreicher Steine, was Luiza Ebnöther und ihr Team auch während des individuellen oder gemeinschaftlichen Trainings sowie in der direkten Wettkampfvorbereitung einsetzten. Ein spezieller Part war dabei das Visualisieren von technisch sowie koordinativ anspruchsvollen Steinen aber auch das sich Hineindenken in strategische Fragen mit der Erarbeitung eines Plan B. Die x-fachen Wiederholungen im Einzeltraining, zu Hause in Ruhe, während der Trainings und Wettkampfes haben ihr Selbstvertrauen weiter gefestigt.

Die Definition von kurz-, mittel- und langfristigen Zielen erwies sich für Luzia Ebnöther und ihr Team als eine sehr gewinnbringende Technik. Dabei lag der Fokus nicht alleinig auf den Ergebniszielen. Vielmehr wurde im Bereich der Prozessziele gearbeitet, die ja quasi den Weg zum Erfolg aufzeigen: Die Qualität der Ausführung wurde mehr und mehr zum Thema. Also beispielsweise die Frage danach, wie bestimmte Steine gespielt werden sollten oder Strategien in bestimmten Situation ganz konkret umgesetzt werden sollen. Beispiele für Prozessziele sind die richtige Körperhaltung bei der Steinabgabe oder das Zusammenspiel von Wischern mit dem Skip. Handlungsziele haben den großen Vorteil, nur von den Fertigkeiten des betreffenden Sportlers abzuhängen. Sie leiten den Fokus auf den jetzigen Moment und die hier und jetzt geforderte Aufgabe, was der Konzentration und Aufmerksamkeit auf das Wesentliche dient.

Fazit

Luzia Ebnöther hat im Schweizer Curling definitiv Spuren hinterlassen. Inwieweit aktuelle Erfolge wie der neuerliche Weltmeistertitel der Damen auch noch ein Stück mir ihr zu tun haben, können am besten die siegreichen Spielerinnen beantworten. In jedem Fall würde ich allen jungen Sportlern raten, sich an Vorbildern zu orientieren. Vorbilder wie Luzia Ebnöther.

Literatur

  1. v. Rosenstiel: Grundlagen der Führung. In: L. v. Rosenstiel u. a.: Führung von Mitarbeitern. 4. Auflage. Stuttgart 1999.

Zum Thema:

http://die-sportpsychologen.ch/2016/04/11/cristina-baldasarre-entspannung-als-aufgabe/

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de

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