Thorsten Loch: Wer zu früh jubelt…

Barcelona 1999 (ManU vs. FCB), EURO 2004 (Frankreich vs. GBR) und Dortmund 2013 (BVB vs. ManCity). Welchen gemeinsamen Nenner haben all diese Spiele? In jedem dieser Partien wägt sich ein Team bereits als Sieger und steht am Ende dennoch mit leeren Händen da. Sicherlich sind diese Begegnungen nur ein Auszug aus der Sportwelt, zeigen jedoch auf, dass ein zu früher Jubel fatale Folgen nach sich ziehen kann. Ganz gleich in welcher Sportart, die Folgen und die damit begleitende negative Lockerheit sind allgegenwärtig und schlagen erbarmungslos zu. Insbesondere in so genannten KO-Spielen bei internationalen Wettbewerben ist dieses Phänomen häufiger zu beobachten, obwohl die Beteiligten, egal ob Sportler und/oder Funktionäre, vor dem entscheidenden Spiel/Wettkampf fleißig die gängigen Floskeln in die Kameras der Medienvertreter predigen. Seit dem Rückspiel im UEFA Europa League-Viertelfinale wurde die Liste mit Partie FC Liverpool vs. Borussia Dortmund erweitert. Der BVB verspielte in England auf dramatischer Weise ein sicher geglaubtes Weiterkommen.

Zum Thema: Weshalb individuelle Bewältigungsstrategien Erfolg wahrscheinlicher machen und was wir von Borussia Dortmunds Ausscheiden in Liverpool lernen können?

Es lief bereits die dritte Minute der Nachspielzeit, als der Dortmunder Kapitän Mats Hummels den Ball, auf eine für ihn sehr untypische Manier ins Seitenaus schoss. Längst galt es nur noch das 3:3, welches gleichbedeutend mit dem Weiterkommen für den BVB war, über die Runden zu bekommen. Sicherlich hatte Liverpool Moral bewiesen und einen fantastischen Sturmlauf hingelegt, aber die Art und Weise wie Dortmund einen 0:2 und später einen 1:3 Vorsprung noch aus der Hand gab, ist aus sportpsychologischer Sicht äußerst interessant. Was ging in den Köpfen der Dortmunder möglicherweise vor? Einen Erklärungsversuch liefert Hummels: “Wir haben gedacht, das Ding ist durch. Nach dem 3:1 haben wir aufgehört, Fußball zu spielen und Schiss bekommen. Wir haben das Ding hergeschenkt.”

Kognitionen

Unter dem Begriff Kognitionen werden Prozesse verstanden, welche mit dem Wahrnehmen von Informationen, dem Planen und Entwerfen von Aktionen, dem „sich entscheiden“ und der Problemlösung zusammenhängen (Alfermann/Stoll, 2005). Aus dieser Definition wird deutlich, dass kognitive Prozesse in fast allen Teilbereichen des Sports eine zentrale Rolle einnehmen. Wahrnehmungsinhalte werden verarbeitet und zeitgleich subjektiv bewertet. Daran schließt sich entweder ein rationales Problemverarbeiten an oder es entstehen Emotionen, wie z.B. Angst. Ein Modell welches die Entstehung von Angst zu erklären versucht ist das „Psychologische Stressmodel von Lazarus“ (vgl. Abb. 1.). Dieses Modell beschreibt die Entstehung von Stress als Resultat von verschiedenen personeninternen Bewertungsprozessen (vgl. Schwarzer, 1981). Das heißt zunächst, dass ein und das gleiche Ereignis von verschiedenen Menschen ganz unterschiedlich wahrgenommen wird. Ob eine wahrgenommene Situation als Bedrohung oder Herausforderung interpretiert wird, hängt dabei mit der individuellen Einschätzung der zur Verfügung stehenden Ressourcen zusammen. Fühlt sich ein Mensch einer Situation gewappnet, wird er sich weit weniger gestresst oder beansprucht erleben, als ein Mensch, der völlig unvorbereitet in einer vergleichbaren Situation handeln muss. Eine Situation wird von einer Person wahrgenommen, und dann entscheiden zwei Beanspruchungsprozesse, die prinzipiell gleichzeitig ablaufen, ob diese Situation eine Stressreaktion auslöst. Zunächst wird in einer ersten Bewertung die Frage geklärt, ob die Situation eine Bedrohung darstellt. Dies hängt natürlich entscheidend von der zweiten Bewertung ab, bei der nach Ressourcen zur Bewältigung der wahrgenommen Situation gefragt wird. Erst wenn für eine Situation keine entsprechenden Ressourcen zur Bewältigung gesehen werden, wird sich als bedrohlich eingeschätzt. Für das Stresserleben sind daher nicht die objektiven Parameter der Umwelt entscheidend, sondern allein die Tatsache, dass die Person selbst die Situation als unkontrollierbar wahrnimmt.

„Wir haben auf verschiedenen Positionen gedacht, dass wir verschiedene Systeme spielen.“

Mats Hummels über seine Besprechung gut 20 Minuten vor Schluss

Übertragen auf das Viertelfinalrückspiel in Liverpool lässt sich mit dem neuen Wissen der Verlauf des Stressgeschehens folgendermaßen erklären. Nach der beruhigenden Führung von jeweils zwei Toren, wurde die Situation als nicht mehr bedrohlich eingeschätzt bzw. das Weiterkommen wurde nicht in Frage gestellt. Die Anspannung bei den Dortmunder Spieler fiel merklich ab und die negative Lockerheit machte sich breit, welche sich ebenfalls in der Körpersprache widerspiegelte. Mit dem plötzlichen Anschlusstreffer zum 2:3 kippte diese. Angetrieben von den fanatischen Fans an der Anfield Road und Jürgen Klopp bäumt sich das geschlagen geglaubte Liverpooler Team nochmals auf. Von diesem Zeitpunkt an änderte sich die Situation für den BVB vollends. Die zuvor als nicht bedrohlich bewertete Situation wurde eben zu einer solchen. Ein Gefühl von Angst machte sich unter den Spielern breit. Die Spieler haben nicht innerhalb weniger Minuten der Fußballspielen verlernt, nur die Überzeugung, die nötigen Ressourcen zu besitzen, um in dieser Situation bestehen zu können, ging verloren. Ohne geeigneter subjektiver Bewältigungsstrategie kam ein Gefühl der Hilflosigkeit hinzu, welches gepaart mit der Angst – wie gesehen – verheerende Auswirkungen auf das Spiel hat.

Fazit:

Angst ist ein Gefühlszustand, der als unangenehm erlebt wird. Die Angstemotion tritt normalerweise als Ergebnis von kognitiven Prozessen auf. Eine Situation wird als bedrohlich eingeschätzt, woraufhin sich Erregung ausbreitet die vom Individuum in Übereinstimmung mit dem Bedeutungsgehalt der Situation als ängstliche Erregung interpretiert wird. Der Sportler und Trainer steht dieser Situation jedoch nicht hilflos gegenüber. Die angewandte Sportpsychologie verfügt über entsprechende Interventionen in einer solchen Situation bestehen zu können. Ein Sportpsychologe kann dabei unterstützend helfen, geeignete individuelle Bewältigungsstrategien zu entwickeln, damit ein möglicherweise sicher geglaubter Sieg auch tatsächlich ins Ziel gebracht wird.

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Literatur:

Alfermann, D./Stoll, O. (2005). Sportpsychologie. Ein Lehrbuch in 12 Lektionen. Meyer&Meyer Verlag: Aachen.

Schwarzer, R. (1981). Streß, Angst und Hilflosigkeit. Kohlhammer Verlag: Stuttgart.

http://www.kicker.de/news/fussball/uefa/startseite/649663/artikel_hummels_wir-haben-schiss-bekommen.html; Zugriff 18.04. 18:46 Uhr.

 

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Thorsten Loch
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Sportarten: Fußball, Badminton, Leichtathletik, Sportschießen, Karate, Skateboarding

Hennef, Deutschland

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