Ziemlich genau 14 Tage nach seinem Armbruch will Thomas Davis am 7. Februar im Finale der Nordamerikanischen Footballliga für seine Carolina Panthers auflaufen. Dass Davis trotz einer so schwerwiegenden Verletzung überhaupt über einen Einsatz nachdenkt, entlockt so manchem Leser sicher ein ungläubiges Kopfschütteln. Abgesehen von den medizinischen Möglichkeiten und Empfehlungen stellt sich die Frage, in wie weit die Sportpsychologie in einem solchen Fall „behilflich“ sein kann. Um diese Frage zu klären, werde ich den folgenden drei Grundsätzen nachgehen: dem Machbaren, dem Sinnvollen und dem Vertretbaren. Ethische Vorstellungen in der sportpsychologischen Arbeit sind in diesem Fall von grosser Bedeutung, denn es geht schlussendlich nicht nur um Techniken und Interventionen sondern um den Menschen als Ganzes. Auf die Vermittlung dieser Werte und Einstellung wird bereits im Studium viel Wert gelegt. In meiner Ausbildung zum Sportpsychologen waren ethische Fragestellungen ein fester Bestandteil.
Zum Thema: Warum Thomas Davis beim Super Bowl 50 zuschauen sollte
Machbar?
Dieser Punkt ist schnell abgehandelt. Die Sportpsychologie liefert zahlreiche Möglichkeiten für solche Situation (siehe “Pro Thomas Davis”). Ob die zur Verfügung stehende Zeit jedoch dazu reicht, darf angezweifelt werden. Ein systematischer Aufbau, es sei denn Davis hat eine breite Palette an sportpsychologischen Techniken im Repertoire, ist in zwei Wochen kaum möglich. Somit kann berechtigterweise daran gezweifelt werden, dass eine Intervention erfolgreich sein wird.
Ein prominentes Beispiel dafür, was Verletzungen nach sich ziehen können, liefert der Fall Thomas Morgenstern. Nach einem guten Start in die Saison 2013/14 stürzte er 2013 in Titisee-Neustadt und zog sich einen Fingerbruch sowie Prellungen und Ergüsse zu. Es wurde alles getan, damit er an der Vierschanzentournee starten konnte. Er wurde daraufhin in der Gesamtwertung Zweiter. Kurz darauf, im Training zur Skilug-Weltcup am Kulm, stürzte er erneut und zog sich kritische Verletzungen am Kopf und an der Lunge zu. Da die Olympischen Spiele einen Monat später stattfanden, wurde alles daran gesetzt, Morgenstern wieder fit zu bekommen. Doch an den Spielen konnte er weder auf der Normal- noch auf der Grossschanze überzeugen. Daraufhin erfolgte der Saisonabbruch und später der Rücktritt. Als Grund gab er unter anderem die psychische Belastung nach den beiden schweren Stürzen an.
Sinnvoll?
Die zweite Frage bietet bereits etwas mehr Zündstoff, bewegt man sich im Fall Davis doch im (dunkel)grauen Bereich. Über die Sinnhaftigkeit lässt sich bekanntlich immer streiten. Eine Möglichkeit zur Argumentation bietet die Anbindung an die medizinischen Befunde und die daraus resultierenden Massnahmen und Empfehlungen. Nach Auffassung von Dr. Aloiya Earl von der Ohio State University’s Wexner Medical Center ist die Verletzung erheblich und sie ist skeptisch, ob für ihn ein Bestreiten des Super Bowl 50 möglich ist. Obwohl es medizinische Möglichkeiten gibt, Brüche vorübergehend zu fixieren, ist die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Verletzung erheblich. Sollte es möglich sein, die Knochen zu stabilisieren, sieht Earl die grösste Herausforderung darin, mit dem Schmerz und der Unbeweglichkeit umzugehen. Während seiner langen Karriere hat Davis bereits einige Rückschläge miterlebt. Er hat sich nach allen drei Kreuzband-Verletzungen erfolgreich zurückgekämpft. Unbestritten spricht dies für seine Kämpfernatur. Die Ausgangslage in diesem Fall liegt aber ganz anders und ist auch für Davis neu. Nach den Kreuzbandrissen konnte er jeweils einen physischen Aufbau machen und trat genesen zu den weiteren Spielen an. Dieses Mal will er verletzt auflaufen.
Sind also die physischen Voraussetzungen für ein Bestreiten eines Wettkampfes nicht gegeben, sollte man auch die Sinnhaftigkeit aus psychologischer Sicht überdenken. In welche Richtung sollte also eine sportpsychologische Betreuung gehen? Sollten, z.B durch gezielte Aufmerksamkeitslenkung, die Schmerzen und somit auch die Warnsignale abgeschwächt werden?
Vertretbar?
Ein zentraler Punkt (sport-)psychologischer Arbeit ist der würdevolle Umgang mit Athletinnen und Athleten. Wie auch bei den Medizinern gibt es in der Psychologie ethische Richtlinien. Der Fachverband für Psychologie (FSP) sieht solche Richtlinien für ihre Mitglieder vor.
Gemäss Punkt 3 der Berufsordnung sind sich die Mitglieder (in diesem Fall der/die Sportpsychologe/in) „ihrer professionellen Verantwortung gegenüber ihren Klientinnen und Klienten […] bewusst. Sie vermeiden es, Schaden zuzufügen, und sind für ihr Handeln verantwortlich.“.
Auch wenn Davis unumstritten alles unternehmen wird und sich allen Gefahren bewusst ist, kann schlussendlich ein möglicher Schaden nicht ausgeschlossen und die Verantwortung für die Interventionen nicht abgelegt werden. Dadurch wäre eine Reduktion der natürlichen Hemmschwelle schwer zu vertreten.
Eine weitere Frage in der Diskussion der Vertretbarkeit ist, wie weit die Sportpsychologie gehen darf. Während es einen Katalog für verbotene Substanzen zur Leistungssteigerung gibt, sind psychologische Interventionen nicht geregelt. Dennoch sollte man moralische Grenzen ziehen. Gerade Techniken zur Reduktion oder Aufhebung von Grenzen oder Schutzfunktionen (z.B. Angst- oder Schmerzgrenzen) können als „Psychodoping“ bezeichnet werden. Ein gesteigertes Risikoverhalten und eine bewusste Inkaufnahme von erheblichen Schäden, auch an anderen Personen, sind deren Folgen.
Bleibt abzuwarten, ob Linebacker Thomas Davis im Super Bowl 50 tatsächlich auflaufen und spielen wird. Aus Sicht der Ethik sowie der Gesundheit und mit Berücksichtigung der oben erwähnten Diskussionpunkte wäre es ihm abzuraten! Hoffen wir, dass ihn die Ärzte gut beraten und schlussendlich die Vernunft über den Ehrgeiz siegt.
Allgemeiner Hinweis:
Auszug aus dem Leitartikel “Pro und Contra: Super Bowl trotz Armbruch – Darf die Sportpsychologie Athleten wie Thomas Davis helfen?“: Es nicht die Aufgabe der Angewandten Sportpsychologie darüber zu richten, welche Entscheidung der Athlet zu fällen hat. Stattdessen will sie als Dienstleister dem mündigen Athleten und seinem Trainer ein breites Argumentarium für eine selbständige und selbstverantwortliche Lösungsfindung anbieten. Die pointierten Stellungnahmen der beiden Sportpsychologen Hanspeter Gubelmann (“Pro Thomas Davis“) und Philippe Müller (“Contra Thomas Davis“) zielen deshalb nicht darauf ab zu klären, welche der beiden Positionen richtig oder falsch ist. Vielmehr soll aus dem Kontrast der Argumentationen die Idee einer nach den spezifischen Umständen gewichteten «passenden Lösung» sichtbar werden!
Literatur:
http://www.psychologie.ch/politik-recht/berufsethik/berufsordnung-der-fsp/
Morgenstern, T. (2015). Über meinen Schatten. Eine Reise zu mir selbst. Ecowin Verlag.
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