Die Terroranschläge von Paris greifen tief ins öffentliche Leben ein. Ob im Stadion oder in bei öffentlichen Veranstaltungen: Das Gefühl von Angst ist spätestens seit der kurzfristigen Absage des Fußball-Länderspiels in Hannover zwischen Deutschland und den Niederlanden allgegenwärtig. Sportpsychologe Dr. René Paasch über den Terror, ein Europa in Gefahr und Anschläge als neuer Bestandteil des Lebens und wie wir als Sportler, Vereinsvertreter und Zuschauer damit umgehen können.
Zum Thema: Strategien zur individuellen Angstbewältigung
In den letzten Tagen hatten die Spieler der deutschen Fußball-Nationalmannschaft einiges mitgemacht: In Paris mussten sie während der Anschläge in der Nacht sich gemeinsam in der Kabine verbarrikadieren. Am Dienstag wurde dann das Länderspiel in Hannover aufgrund der Gefährdungslage kurzfristig abgesagt. Eigentlich sollte das Spiel ein Zeichen für Verbundenheit und Normalität werden. Nun gibt es viel aufzuarbeiten. Damit das Angstgefühl auf dem Platz nicht bleibt, ist es wichtig, die Spieler bei der Verarbeitung zu unterstützen. Fußballer im Rampenlicht haben genauso wie alle anderen ihre individuellen Ängste. Aber sie leben mit verschiedenen Rollenerwartungen. Ihre Entscheidungen sind durch viele weitere Einflussfaktoren bedingt. Zum Beispiel, ob sie ein Vorbild sein wollen. Oder es geht um vereinspolitische Interessen. Letztlich glaube ich, dass Personen des öffentlichen Lebens die Entscheidung, ob sie sich zurückziehen oder auftreten, gar nicht alleine treffen. Angst ist dabei etwas sehr Subjektives. Zu öffentlichen Ereignissen von anderen Personen begleitet zu werden, mag Ängste verringern (Pilisuk & Parks 1986). Dass aber andere einen Schutz bieten, ist eigentlich nicht rational. Trotzdem kann man sich gegenseitig Mut machen, sich Unterstützung holen. Es ist wichtig, den Sportlern und Zuschauern das Gefühl zu vermitteln, dass man sich kümmert. Der dann gezeigte Aktionismus verringert zwar nicht unbedingt das Risiko. Aber es wäre schlimmer, sich vorwerfen lassen zu müssen, man tue nichts. Gerade Vereins- und Verbandsverantwortliche kommen in Handlungszwang. Wenn man keine Lösung für ein Problem finden kann, neigen manche schnell dazu, das Ganze zu verdrängen, oder zu verharmlosen, um sich damit nicht beschäftigen zu müssen. Das sind Wege, um mit unserem Alltag zu Recht zu kommen.
Beim Erleben von Terroranschlägen lassen sich zwei “Ebenen” unterscheiden: “Ängstlichkeit” bezeichnet die generelle Neigung, in Terrorsiuationen mit entsprechendem Verhalten, z.B. Schwitzen, Sorgen, Konzentrationsstörungen, zu reagieren, während der “Angstzustand” die akute momentane körperliche und psychische Reaktion in einer konkreten Situation darstellt. In diesem Zusammenhang gibt es zwei Strategien zur Bewältigung. Die selbstbezogene und problembezogene Bewältigungsstrategie (Lazarus & Folkman 1984). Erstere beschäftigen sich eher mit der Frage, inwieweit man selbst gefährdet ist, zum Beispiel, wo das Risiko, selbst Anschlagsziel zu sein, geringer ist. Sie richten das Augenmerk darauf, was man selbst machen kann, um sich und seine Angehörigen und Mannschaftskollegen zu schützen. Problembezogene Ansätze versuchen die Ursache hinter den Anschlägen zu verstehen. Die Folge kann sein, dass man seinen Alltag wie gewohnt weiterlebt und anfängt, sich mit dem Thema intensiver auseinanderzusetzen. Alle Bewältigungsvarianten haben das Ziel, einen nicht nur betroffen sein zu lassen, sondern für sich eine brauchbare Handlungskonsequenz abzuleiten. Es gibt keine für alle gleichermaßen vorteilhafte Bewältigungsstrategie. Eine Chance in der aktuellen Krise kann darin liegen, dass Sportler, Vereine und Zuschauer besser verstehen, warum vom Bürgerkrieg Betroffene ihre Heimat verlassen, wenn sie täglich von Bombenterror bedroht sind. Im Gesamtzusammenhang betrachtet, zielen Terroranschläge darauf, die öffentliche Ordnung zu destabilisieren. Durch Terroranschläge wird keine neue Ordnung etabliert, sondern nur das gestört, was sowieso schon existiert. Wenn aber das öffentliche Leben zum Erliegen kommt, wäre das aus Sicht der Attentäter gewünschte Ergebnis erreicht. Doch wie können wir sehr zeitnah mit der Angst umgehen:
Schritte zur individuellen Angstbewältigung
1. Sensibel werden und sich informieren
Der erste Schritt ist schon getan: Wer sich über Angst informiert, ist bereits sensibel und nimmt Angst bewusst war. Die aktive Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation und körperlichen und psychischen Erleben ermöglicht es, Angst bewusst wahrzunehmen.
2. Ursachen analysieren
Zuerst einmal ist es wichtig, die Ursachen der persönlich erlebten Angst zu analysieren. Denkbare angstauslösende Faktoren können sein: Aktuelle Geschehnisse, Öffentliche Auftritte wie bspw. Länderspiele, Bundesligaspiele u.v.m.
3. Problembezogene Bewältigungsstrategien wählen
Wirksam ist die Bewältigung von Angst mit einer problembezogenen Strategie. Dazu müssen die Umstände sachlich bewertet und angemessene Lösungsschritte und Reaktionen geplant und getätigt werden. Änderungen des Denkverhaltens sind dabei sinnvoll. Dies sollte schnell passieren.
Problembezogene Bewältigungsmuster sind:
Änderung der angstauslösenden Gedanken, z. B. Kurzpausen einlegen und bewusst entspannen
viel Reden mit Mannschaftskollegen, Trainer und Sportpsychologen
recht zügig in den Alltag zurückkehren
Ebenso wichtig ist es, die eigenen Ressourcen langfristig zu stärken, um Angstsituationen zu bewältigen. Dazu gehört es:
Soziale Unterstützung und Rückendeckung organisieren. Gutes Vereins- und Mannschaftsklima stellt ein Angstpuffer dar. Auch emotionale Stärkung im Privatleben spielt dabei eine wichtige Rolle. Wo die gegenseitige soziale Hilfe in der Mannschaft funktioniert und auch mal über Angst geredet werden kann, können Angstsituationen besser überstanden werden. “Geteiltes Leid ist halbes Leid” drückt dies deutlich aus. Damit werden negativen Folgen gemindert oder vermieden.
Selbstvertrauen, soziale Handlungskompetenz, Problemlösungsfähigkeit aufbauen. Sie gehören zu den persönlichen Ressourcen, die durch sportpsychologische Unterstützung gefördert werden können. Sie erweitern für jeden den Spielraum und damit die Möglichkeiten zur Veränderung von Angstsituationen. So gestärkt, werden hohe Anforderungen nicht mehr als verunsichernd erlebt, Angst vermindert sich.
Neue Situation für Vereine und Spieler
Auf die Vereine und die Spieler, allen voran in den höchsten Spielklassen, kommt eine neue Situation zu. Es lässt sich nicht einschätzen, wie sich die Angst langfristig auswirkt. DFB-Teampsychologe Hans-Dieter Herrmann sagt in einem Interview auf der DFB-Homepage: “Stress- und Bedrohungssituationen werden individuell sehr unterschiedlich verarbeitet.” Denkbar sei durchaus, dass Sorgen und Ängste bei einigen erst mit etwas Abstand zu Tage treten. Das ist eine riesige Verantwortung für den Fußball und Sicherheitsgremien. Die enge Zusammenarbeit mit einem Sportpsychologen, wie es der Deutsche Fußball-Bund im Fall der Nationalmannschaft mit Hans-Dieter Herrmann vormacht, ist daher wünschenswert. In ihren Vereinen werden die Spieler diesbezüglich sehr unterschiedlich aufgefangen.
Literatur:
Pilisuk, M., and Parks, S. H. (1986) The healing web: Social networks and human survival. Hanover, NH: University Press of New England.
Lazarus, R. S., & Folkman, S. (1984). Stress, appraisal, and coping. New York: Springer.
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