Was ist schlimmer für einen Profisportler, Kreuzbandriss oder Depression? Bei einem Kreuzbandriss dauert die Reha in der Regel sechs bis acht Monate, bis der Sportler wieder einsatzbereit ist. Aufgemerkt: Die Behandlungsdauer bei Depressionen ist im Regelfall ein klein wenig kürzer. Durchschnittlich vergehen sechs Monate, bis der Mensch sein Leben wieder führen kann. Doch die psychische Erkrankung Depression bleibt im Sport ein Tabu. Dies führt manchmal zu tragischen Folgen, weil den betroffenen Leistungssportlern einfach nicht geholfen wird.
Zum Thema: Was sollten Trainer über Depression wissen?
Trotz einiger prominenter und gleichsam tragischer Fälle von depressiv erkrankten Sportlern (Robert Enke, Andreas Biermann) zieht dieses Problem im Sport noch nicht genug Aufmerksamkeit auf sich. Sportler, Trainer sowie Sportfunktionäre haben Angst vor der Depression – es wird nicht offen darüber gesprochen beziehungsweise nur unzureichendes Wissen zur Verfügung gestellt. Noch sind wir weit davon entfernt, trotz guter Maßnahmen wie die Robert-Enke-Stiftung, dass das Leistungssportsystem für diese Problematik wirklich sensibilisiert ist. Aber je mehr darüber gesprochen würde, je mehr Wissen die Trainer und Sportler selbst über die Depression haben, desto größer wäre die Akzeptanz gegenüber dieser Erkrankung und desto schneller könnte betroffenen Sportlern und Trainern geholfen werden. Lasst uns versuchen zu verstehen, was eine Depression ist und welche Konsequenzen eine Depression für einen Sportler hat.
Was ist eine Depression?
Die Depression ist eine der häufigsten psychischen Krankheiten, die so alt wie die Menschheit selbst ist. Psychische Niedergeschlagenheit – so könnte man kurz das ganze Empfinden des Menschen bei dieser Erkrankung beschreiben. Laut Robert-Koch-Institut leiden rund vier Millionen Deutsche aktuell an einer Depression, die einer Behandlungsbegleitung bedarf. Nicht unwichtig: Im Leistungssport treten Depressionen statistisch nicht häufiger auf als in der Normalbevölkerung. Depressiv erkrankte Menschen weisen solche Hauptsymptome wie depressive Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit, Antriebsmangel und erhöhte Ermüdbarkeit auf. Dazu kommen Zusatzsymptome wie verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, geringes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle, pessimistische Zukunftsperspektiven, Suizidgedanken, Schlafstörungen, verminderter Appetit und deutlicher Libidoverlust. Je nach Schweregrad spricht man von einer leichten, mittleren oder schweren Depression, wenn mindestens zwei Haupt- und zwei Zusatzsymptome länger als zwei Wochen dauern.
Warum werden manche Menschen depressiv?
Die Entstehung einer Depression lässt sich anhand des Vulnerabilitäts-Stress-Modells oder Verletzlichkeits-Stress-Modells gut erklären (Zubin & Spring 1977). Demnach hat jeder Mensch seine individuelle Verletzlichkeitsgrenze, die oft als ein großes oder geringes Fassungsvermögen beschrieben wird. Dieses Fass wird ständig mit Wasser befüllt. Das Wasser ist nichts Anderes als beruflicher (Misserfolgsserien, Konflikte mit dem Trainer und dem Team, Übertraining, Verletzungen und Wiederverletzungen, finanzielle Probleme) und privater Stress (Probleme mit Bezugspersonen, zusätzliche Belastungen durch Ausbildung etc.). Das Wasser (Stress) kommt herein und heraus. Der Mensch schöpft den Stress aus dem Fass ab, indem er regelmäßig einen Ausgleich schafft, beispielweise Lieblingshobbies, angenehme Aktivitäten und ein aktives soziales Leben. Dies sind sogenannte Stressbewältigungsstrategien. Es kann aber passieren, dass eine Person zu einem Zeitpunkt oder auch dauerhaft viele berufliche und private negative Erlebnisse hat und damit nicht zurechtkommt. Der Stress kommt herein, aber geht nicht heraus. Das Fassungsvermögen oder mit anderen Worten die individuelle kritische Verletzlichkeitsgrenze wird überschritten. So entsteht eine psychische Erkrankung, in unserem Fall, Depression.
Wie kann ein Trainer eine Depression erkennen?
Eine der Aufgaben der Sportpsychologen ist es, durch unterschiedliche präventive Maßnahmen sowie Einzelarbeit das allgemeine psychische Wohlbefinden der Sportler beziehungsweise der Trainer zu fördern. Dies kann unter anderem depressiven Erkrankungen vorbeugen sowie helfen, diese frühzeitig festzustellen. Dafür soll aber der Sportpsychologe ein fester Teil des Teams sein und ständig mit dem Sportler und dem Trainer Kontakt haben, was leider nicht immer der Fall ist. Hinsichtlich der Behandlung einer Depression darf ein Sportpsychologe dies nur in dem Fall anbieten, wenn er eine anerkannte Psychotherapieausbildung gemacht hat. (siehe Blog-Beitrag: Katharina Petereit: Zum Tod von Andreas Biermann)
Auch wenn keine sportpsychologische Betreuung in Ihrem Verband oder Verein stattfindet, können Sie als Trainer dennoch eine Menge dazu beitragen, um eine Depression oder einen möglichen Zusammenbruch bei einem ihrer Sportler zu erkennen. Durch einen engen regelmäßigen Kontakt im Training sollte Ihnen auffallen, wenn derjenige dauerhaft eine bedrückte, unmotivierte Stimmung aufweist, sich nicht richtig über seine Erfolge freuen kann, körperlich sehr schnell müde wird, beim Training unkonzentriert und uninteressiert ist. Das wäre für Sie ein Warnzeichen und triftiger Grund, denjenigen anzusprechen. Es muss nicht sein, dass der Sportler eine Depression hat. Durch Nachfragen besteht aber die Möglichkeit, den wirklichen Grund für diesen Allgemeinzustand herauszufinden. Zeigen Sie Ihr Verständnis und Ihre Besorgnis, damit der Sportler keine Angst hat, sich zu öffnen. Um Ihren Zweifel zu vertreiben, können Sie Ihren Schützling bitten, fünf Fragen zu beantworten. Der kurze Fünf-Fragen-Test (WHO-5 Well-Being-Questionnaire von Bech, 1998) (http://www.drhartkamp.de/ablauf/downloads.html) fragt das Wohlbefinden in den letzten zwei Wochen ab und kann einen besseren Eindruck geben, ob es überhaupt in die Richtung einer Depression geht. Der Test kann zwar falsche positive Ergebnisse zeigen, hat aber eine sehr hohe Erkennungsrate bei der Depression (> 90 %). Bei einem Wert unter 13 ist es zu empfehlen, den Kontakt mit dem Hausarzt aufzunehmen.
Die Fachleute sollen entscheiden, ob es in der Tat eine depressive Erkrankung ist. Ihre Aufgabe ist es, nicht im Hintergrund zu bleiben und den Sportler nicht auszugrenzen. Das ist der erste Schritt zur gelungenen Behandlung. Denken Sie daran, dass die Depression genauso gut heilbar ist wie körperliche Verletzungen (vgl. Müller, Laux & Deister, 2005). Gerade im Sport gibt es mehrere Beispiele einer erfolgreichen Rückkehr in den Beruf, wie es bei dem Fußballprofi Markus Miller oder dem Fußballtrainer Ralf Rangnick war.
(Erstveröffentlichung: 01.08.2014)
Links:
1.„Der Praxisordner zur psychischen Gesundheit im wettkampforientierten Leistungssport“ bietet den Trainerinnen und Trainern gute Informationen sowie eine konkrete Strategie, wie sie die von Depressionen betroffenen Sportlern unterstützen können:
2. Mehr zum Thema Depression, wichtige Fakten sowie zahlreiche Informationen für Betroffene finden Sie auf dem Portal:
www.deutsche-depressionshilfe.de.
Quellen:
Müller, H.-J., Laux, G. & Deister, A. (2005). Psychiatrie und Psychotherapie (Duale Reihe,3. Aufl.). Stuttgart: Thieme Verlag.
Zubin, J. and Spring, B. (1977) Vulnerability: A New View on Schizophrenia Journal of Abnormal Psychology 86, 103-126
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