Thomas Stickroth: „Im Profi-Fußball ist noch eine Menge Aufklärungsarbeit von Nöten!“

 

Für die-sportpsychologen.de berichtet:

Thomas Stickroth

Thomas Stickroth war 19 Jahre lang Profi-Fußballer. Er absolvierte 169 Bundesliga-Spiele und 222 Zweitliga-Einsätze. Sein größter Erfolg war die Qualifikation für UEFA-Pokal in der Saison 1996/1997 mit dem VfL Bochum. Inzwischen arbeitet er als Mentalcoach. Nach einer Coaching-Ausbildung durchlief er zweieinhalb Jahre eine Heilpraktikerschule für Psychotherapie. Er verfügt über verschiedene Lizenzen wie Life Kinetik, EMDR, NLP und Autogenes Training, aktuell bildet er sich im Themenbereich Neurofeedback (Peak Performance Training) fort.

 

 

Thomas Stickroth, stellen wir uns eine handelsübliche Trainerbank während eines Fußball-Bundesligaspiels vor: Dort sitzen neben den Auswechselspielern für gewöhnlich der Cheftrainer, zwei Co-Trainer, der Manager, der Teamarzt, zwei Physios, der Torwarttrainer und der Fitnesstrainer. Zwischen wem sollte der Sportpsychologe sitzen?

Auf der Tribüne.

Warum genau dort?

Weil alle Interventionen während eines Spiels von Chef beziehungsweise Assistenztrainer vorgenommen werden sollten! Interventionen des Mentalcoaches während eines Spiels könnte von Medien oder auch Spielern als Machtbeschneidung des Trainers interpretiert und wahrgenommen werden. Auch würde jede Aktion des Mentalcoaches von den Medien zusätzlich zerpflückt werden, was Unruhe bringen könnte. Zudem ist der Blick von oben besser, was die Körpersprache der einzelnen Spieler angeht! Insgesamt hat man auf der Tribüne einen deutlich besseren “Überblick”.

Nicht erst seit der Tele5 Sendung “Ultra” (Do., 29.1.2015, Link zur Sendung) ist bekannt, dass das Thema Sportpsychologie im deutschen Profifußball noch nicht überall ernst genommen wird. Meistertrainer Felix Magath grinste zum Beispiel in der Sendung wie ein Schuljunge während der Sexualkunde im Biologie-Unterricht als die Sprache auf Sportpsychologen im Trainer- bzw. Funktionsteam kam? Woher rührt diese Fremdelei bei vielen Arrivierten im Geschäft?

Viele Trainer wissen ganz einfach nicht genügend über dieses Thema! Viele verbinden damit ein Gurugehabe seitens der Psychologen oder sie haben Assoziationen wie „über glühende Kohlen zu laufen”. Manche stellen sich auch vor, dass eine Psychologisierung stattfindet, dass die Spieler auf einer “Couch liegen”, um “mal darüber zu sprechen”, was wiederum nur etwas für “Softies” ist!

Was kann die Sportpsychologie effektiv für einzelne Spieler oder ein gesamtes Team leisten?

Mit sportpsychologischen Methoden verbessern sich die Spieler darin, ihr Potenzial auszuschöpfen! Durch die Optimierung des inneren Dialoges, im Wettkampf stabil zu bleiben, ist ein großes Thema. Genauso, sich effektiv zu erholen, zum Beispiel durch PME. Mit dem klassischen Mentalen Training lassen sich aber auch die Bewegungsabläufe verfeinern. Es gibt Techniken, die Spielern dabei helfen, sich auf unerwünschte Situationen einzustellen, wenn also etwas mal nicht nach Routine abläuft.

Ich persönlich halte nicht so viel von Maßnahmen mit dem ganzen Team, da sich aus meiner Erfahrung heraus dann kaum jemand öffnet.

Wie geht die aktuelle Generation Profifußballer mit dem Thema um, herrscht mittlerweile mehr Offenheit?

Das braucht noch einige Zeit… viel hängt von den jeweiligen Entscheidern ab. Insgesamt ist im Profi-Fußball noch eine Menge Aufklärungsarbeit von Nöten!

Neymar, immerhin schon zu Diensten des FC Barcelona, hatte im vergangenen Sommer erstmalig Kontakt mit einem Sportpsychologen. Undzwar nach dem WM-Achtelfinale als sein Trainer Scolari merkte, dass die Spieler mit dem Druck nicht klarkommen. Solche Feuerwehreinsätze widersprechen grundlegend der Berufsauffassung der Sportpsychologie. Wie lange braucht es, bis die Sportpsychologie wie selbstverständlich zum Profi-Fußball dazugehört?

Viele Spieler sind eher skeptisch. Man muss zunächst das Vertrauen gewinnen und eben Überzeugungsarbeit leisten!

In der TV-Sendung “Ultra” (direkt zum Beitrag) haben Sie betont, dass es wichtig sei, dass der Mentaltrainer aus dem Fußball kommt, um im Kreise des Teams akzeptiert zu werden. Woran scheitern aus Ihrer Sicht frisch universitär ausgebildete Sportpsychologen, wenn sie auf ein Profi-Fußballteam treffen?

Die Spieler müssen merken, dass man “Ahnung” vom Fußball hat! Bei vielen Spielern steckt der Glaubenssatz im Kopf: „Was soll der mir beibringen, der hat doch nie hoch gespielt!”

 

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de