Prof. Dr. Oliver Stoll: Stigma Homosexualität im Fußball

“Schwulencombo”. Dieses Beinamen handelte sich 2010 die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ein. Michael Becker, der einstige Ballack-Berater, geiferte damals in Richtung Bundestrainer Joachim Löw und dessen Nationalspieler. Den Ruf, dass Löw auf Männer stehe und im Kreise der Nationalmannschaft einige  Homosexuelle zu finden  wären, ist sogar schon älter. Unter Sportjournalisten sollen sogar Wetten laufen, wer diese eingangs erwähnten “Combo” angehöre. Aber wo, bitte sehr, ist denn eigentlich das Problem? Diese Frage stellt Prof. Dr. Oliver Stoll in seinem Leitartikel, in dem er sich dem Stigma Homosexulaität widmet. Interessant sind dabei fundamental unterschiedliche Blickwinkel innerhalb der Sportwelt und die Betonung, dass unheterosexuelle Fähigkeiten für den Teamerfolg nicht irrelevant seien. Möglicherweise hatte ja sogar der Weltmeistertitel 2014 in Brasilien den ein oder anderen homosexuellen Vater…

Für die-sportpsychologen.de berichtet Prof. Dr. Oliver Stoll:

Wir haben es bei diesem Problem, was eigentlich gar keines mehr sein sollte, klassischerweise mit einem Stigmatisierungsprozess zu tun. Unter Stigmatisierung wird in der Soziologie ein Prozess verstanden, durch den Individuen bestimmte andere Individuen in eine bestimmte Kategorie von Positionsinhabern einordnen. Dies geschieht durch Zuschreibung von Merkmalen und Eigenschaften, die diskreditierbar sind oder aber durch Diskreditierung bereits vorhandener, sichtbarer Merkmale und Eigenschaften (Goffman, 1963). Einem homosexuellen Fußballer werden also ganz spezifische Eigenschaften und Merkmale zugeordnet, die in einem offensichtlichen Widerspruch zum Leistungssport stehen – wie z.B. „Weiblichkeit“ und die damit in der Gesellschaft weit verbreiteten Grundannahmen zur Rolle und zu den Eigenschaften einer Frau. Hinzu kommt noch eine Bewertung sehr persönlicher und privater Art, nämlich die Annahme, dass diese Spieler z.B. bestimmte sexuelle Praktiken bevorzugen, die in unserer eher „abendländisch“ geprägten Weltsicht nicht mit den Werten und Normen dieser Gesellschaft einhergehen. Wie schon angedeutet, es geht hier nicht um die Realität, sondern lediglich um eine Zuschreibung solcher Merkmale oder Eigenschaften.

Andere Sportarten, andere Welten

Wenn dann also eine Person oder eine Gruppe von Personen von anderen durch gesellschaftlich oder gruppenspezifisch negativ bewertete Merkmale charakterisiert werden, werden sie selbstverständlich dadurch in sozialer Hinsicht diskriminiert. Ein Stigma ist eine unerwünschte Andersheit gegenüber dem, was wir erwartet hätten und es ist also damit auch eine Verallgemeinerung einer spezifischen Handlung oder Eigenheit einer Person auf deren Gesamtcharakter. Dabei bewirkt das Stigma einen Status der Person, der gegenüber ihren übrigen Eigenschaften hervorsticht (Goffman, 1974). Oder anders ausgedrückt: Einem homosexuellen Fußballer werden ganz spezifische negative Merkmale (siehe weiter oben) zugeschrieben. Damit wird er automatisch sozial diskriminiert und viel schlimmer noch: Diese nicht erwartete „Andersartigkeit“ wird auf seinen gesamten Charakter verallgemeinert.  Und genau das ist das Problem. In den allermeisten Fällen ein krasser „Fehlschluss“, der immer dann zuschlägt, wenn man sich genau diesem Problem nicht bewusst ist. Einige Sportler, die sich in der Regel erst nach ihrer Karriere „geoutet“ haben, hätte man dies gar nicht zugetraut. Sie waren in ihrer Fussballerkarriere genauso erfolgreich und in ihrem Handeln genauso leistungssportlich ausgerichtet wie heterosexuell orientierte Sportler. Diese Tatsache alleine sollte schon deutlich machen, dass diese „Verallgemeinerung“ vorher zugeschriebener negativer Merkmale oder Eigenschaften Unsinn ist und dennoch überleben diese Zuschreibungen noch lange. Genau dieser Aspekt ist es jedoch, dass so viele Sportler davon abhält, sich zu „outen“, ihre sexuelle Orientierung offen zu leben, die eben überhaupt nichts über ihre sportlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten aussagt. Interessanterweise finden wir diese Stigmatisierungen in den klassischen „eher maskulin“ geprägten Mannschaftssportarten viel häufiger als in anderen, z.B. eher technisch-ästhetischen oder technisch-akrobatischen Sportarten. Matthew Mitcham, der Turmspringer, der 2008 in Peking die Goldmedaille im Einzelwettbewerb vom 10-Meter-Turm gewann geht schon seit Jahren sehr offen mit seiner sexuellen Orientierung um. Tom Daley, ebenfalls ein äußerst bekannter und erfolgreicher Turmspringer gab sein „Outing“ 2013 bekannt und ist nach wie vor aktiv. Interessanterweise gibt es in der Wasserspringer-Szene keine Stigmatisierung. Beide Sportler werden in der „Szene“ sehr respektiert und die Öffentlichkeit scheint sich ebenfalls nicht daran zu stören.

Bedeutung der positiv-weiblichen Eigenschaftszuschreibungen

Warum ist dies also gerade im Fußball ein Problem? Weil eben diesem Sport eine ganze Reihe von Eigenschaften und Merkmalen zugeschrieben werden, die einen erfolgreichen Spieler eben auch mutmaßlich ausmachen. Körperliche Härte, Durchsetzungsvermögen, Aggressivität, also eben alles Eigenschaften, die man klassischerweise als maskulin, positiv und somit eben nicht im Einklang mit den Werten und Normen, die man einer Fußballmannschaft zuschreibt, stehen. Hierzu wird sich meine Kollegin Elvina Abdulleva noch mit einem eigenen Blog-Beitrag (siehe: Bau ein Dream-Team) beschäftigen. Wie schon gesagt, diese oben genannten Werte werden einem erfolgreichen Fußballer zugeschrieben. Ob sie dies in der Tat auch sind, steht auf einem ganz anderen Blatt Papier. Warum sollten denn solche Eigenschaften wie zum Beispiel die Fähigkeiten sich in andere Einfühlen oder „Eindenken“ zu können, oder aber Soziale- bzw. Kommunikationskompetenz (die man klassischerweise eher Frauen zuschreibt) nicht weniger erfolgreich sein? Wie wir aus der Gruppenkohäsionsforschung wissen, sind es genau diese Fähigkeiten, die ein Team in ganz spezifischen Bereichen (z.B. im Prozess der kollektiven Zielsetzung zu Beginn der Saison) besonders auszeichnen und erfolgreich machen. Und wer würde wohl widersprechen, wenn man diese einerseits positiv-männlichen und andererseits diese positiv-weiblichen Eigenschaftszuschreibungen einen Fußballspieler als ganz besonders wertvoll bezeichnen würde?

Wie könnte man also einer solchen Stigmatisierung, die mit einem Outing eines Fußballspielers zur Homosexualität in dieser unserer Gesellschaft immer einhergeht, entgegentreten? Spontan fällt mir da lediglich „Psychoedukation“ ein. Damit ist ein breites  Aufklären über Stigmatisierungsprozesse im Sport verbunden. Darüber hinaus sehe ich hier die Initiierung von sozialen Lernprozessen. Je mehr erfolgreiche Trainer und Sportler zu ihrer sexuellen Orientierung stehen, sich dazu bekennen und je transparenter sie ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten machen, desto stärker werden diese Stigmatisierungen verschwinden.

 

Literatur:

Goffman, E. (1974). Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität. Frankfurt 1974. S. 56 f

Goffman, E. (1963). Stigma, Notes on the Management of Spoiled Identity. New York , S. 6.

 

Foto:

Julia Manzerova, Roll-a-Ball, 24.10.2010, Quelle: Flickr, CC-Lizenz

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Prof. Dr. Oliver Stoll
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2 Kommentare

  1. Ganz offen ich verstehe das Problem nicht. Was ist denn daran so schlimm? Gut das mag auch sein weil ich eine Frau bin aber verstehen kann ich es nicht.

  2. […] Exkurs: „Einem homosexuellen Fußballer werden ganz spezifische Eigenschaften und Merkmale zugeordnet, die in einem offensichtlichen Widerspruch zum Leistungssport stehen – wie z.B. „Weiblichkeit“ und die damit in der Gesellschaft weit verbreiteten Grundannahmen zur Rolle und zu den Eigenschaften einer Frau. Hinzu kommt noch eine Bewertung sehr persönlicher und privater Art, nämlich die Annahme, dass diese Spieler z.B. bestimmte sexuelle Praktiken bevorzugen, die in unserer eher „abendländisch“ geprägten Weltsicht nicht mit den Werten und Normen dieser Gesellschaft einhergehen. Wie schon angedeutet, es geht hier nicht um die Realität, sondern lediglich um eine Zuschreibung solcher Merkmale oder Eigenschaften.“ (Stoll: http://www.die-sportpsychologen.de/2014/12/23/prof-dr-oliver-stoll-homosexualitaet-im-fussball/) […]

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