“Flexibel” ist heute keine Zustandsbeschreibung mehr, sondern eine Eigenschaft die man als moderner Mensch nicht nur in Krisenzeiten mitbringen muss. Doch wie passen gerade im Leistungssport private Probleme und die Leistungserbringung zusammen? Kann der Leistungssport sogar eine Hilfe sein, um diesen Emotionen und privaten Problemen entgegen zu wirken und sich abzulenken?
Zum Thema: Leistungssport und Krisenbewältigung
Psychologisch betrachtet fördert Sport viele Aspekte, die dazu beitragen, Krisen besser zu bewältigen. Regelmäßige Trainingseinheiten können helfen, dem “aus den Fugen” geratenen Leben wieder einen planbaren Rahmen zu geben. Stück für Stück kann so wieder die Kontrolle über den eigenen Körper, über die eigene Leistungsfähigkeit und vielleicht ebenso das eigene Leben erlangt werden. Zudem kommt man an die frische Luft und auf andere Gedanken. Gerade im Mannschaftssport werden gleichzeitig soziale Kontakte aufrechterhalten und der Grundstein für ein unterstützendes Netzwerk von sportlichen Gleichgesinnten gelegt. In Phasen der Trennung und persönlichen Krisen leidet häufig auch der Selbstwert. Hier kann Training ebenfalls eine Hilfe sein, denn mit regelmäßigen Einheiten gehen auch körperliche Adaptionen einher. Man wird stärker oder ausdauernder und bemerkt schnell die Verbesserungen, die durch das eigene Bemühen beeinflusst werden können. Ideale Bedingungen zur Krisenbewältigung für Leistungssportler!
Doch kann tatsächlich regelmäßige Bewegung das Mittel sein, um private Probleme zu verarbeiten? Oder ist Training in diesem Falle nur eine Flucht vor der eigentlichen Bewältigung und den aufkommenden Emotionen?
Vier Phasen der Bewältigung
Um diese Frage beantworten zu können, ist es wichtig, den Prozess der Krisenbewältigung näher zu betrachten. Die Psychologin Verena Kast (vgl. 2013, S. 65) beschreibt vier Phasen, die Menschen in persönlichen Krisensituationen durchleben:
Die erste Phase äußert sich in einem Zustand des “Nicht-Wahr-Haben-Wollens”. Der Verlust, beispielsweise eines geliebten Menschens, ist so unwirklich und wir wehren uns regelrecht gegen diese drastischen Veränderung. Dies kann sogar so weit gehen, dass die offensichtliche Krise verleugnet und verdrängt wird.
Wurde von der betroffenen Person die Krise und deren Auswirkungen realisiert, folgt die zweite Phase der “aufbrechenden Gefühle”. Hoffnungslosigkeit, Trauer, Ängste oder Schuldgefühle bestimmten die Gefühlswelt.
Die dritte Phase der “Neuorientierung” bringt die gezielte Suche nach Lösungen mit sich. Langsam kommt die Freude an den Kleinigkeiten des Lebens wieder und ein Ausweg aus der Hoffnungslosigkeit ist in Sicht.
Mit dem neu gefundenen “Gleichgewicht” in der letzten Phase beginnt die Akzeptanz der Situation. Wir vergessen nicht, was wir verloren haben, jedoch realisieren wir, dass diese Krise zu unserem Leben gehört und nun ein neuer Schritt gemacht werden muss.
Gefahren für Leistungssportler
So wird klar, dass gerade Sport etwas Positives bewirken kann, um nach und nach die Phaseninhalte zu bewältigen. Wird Sport also genutzt, um die eigenen Ressourcen zu mobilisieren, bietet dieser damit unterstützende Möglichkeiten in Krisenzeiten. Ist jedoch abzusehen, dass mit regelmäßiger Bewegung das Ziel verfolgt wird, sich dauerhaft abzulenken und eine Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühle zu verhindern, kann Sport auch das Gegenteil bewirken. In diesem Fall wird das Verharren in der ersten Phase des “Nicht-Wahr-Haben-Wollens” begünstigt und der eigentliche Prozess der Krisenbewältigung wird ausgebremst. Dies birgt gerade für Leistungssportler die Gefahr des Leistungseinbruchs, da es auf Dauer viel Energie kostet, heftige Emotionen und belastende Gedanken zu unterdrücken und gleichzeitig volle Leistung zu erbringen. Wird Sport zum einzigen Mittel gemacht, um mit den eigenen Gefühlen umgehen zu können, ist bei Krankheiten oder schlechten Trainingsergebnissen die nächste Krise vorprogrammiert. Aus Sicht des krisengeplagten Sportlers kann nun auch diese, vermeintlich sichere Strategie nicht mehr angewendet werden.
In diesem Fall kann sportpsychologisch gestütztes Krisenmanagement eine Möglichkeit bieten, um eine adäquate Bewältigung zu unterstützen und eine analytische Sicht der Krisensituation zu erlangen. Denn auch durch das Meistern einer Hürde können Fähigkeiten gestärkt und neue Wege einschlagen werden, damit einige Problemsituation erst gar nicht entstehen. Jede Krise ist auch eine Chance zur Weiterentwicklung.
Kast, V. (2013). Trauern – Phasen und Chancen des psychischen Prozesses (35. Aufl.). Freiburg: Kreuz Verlag.
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