Vom 17.10. bis zum 19.10. fand die JKA-Karate WM in Tokio statt. Der MDR zeigte am 16.10. einen Beitrag über Leonie Diffené bei ihrer unmittelbaren Wettkampfvorbereitung. Die Magdeburgerin startete mit gerade einmal 17 Jahren zum ersten Mal bei einer Weltmeisterschaft – doch Angst davor hatte sie keine. Physisch waren alle Athleten optimal vorbereitet, doch das psychische Anforderungsprofil im Karate ist enorm hoch.
Zum Thema: Welche psychischen Anforderungen werden in der Kampfkunst Karate abverlangt?
Die Karate-WM ist nun vorbei, die Athleten haben sich auf den Rückweg gemacht und in den sozialen Netzwerken werden bereits einige Kämpfe ausgewertet bzw. analysiert. Die Japaner dominierten zwar die einzelnen Disziplinen, doch die deutschen Karateka konnten sich trotzdem einige vordere Plätze sichern. Die Meinungen der Zuschauer, der Daheimgebliebenen und auch anderer Karateka zu den hochgeladenen Wettkampf-Videos gehen zum Teil auseinander, jedoch werden immer wieder einige (psychische) Aspekte angesprochen, die sich in jedem Fall auf das Kampfverhalten und die Leistung auswirken können.
Psychische Anforderungen
Trotz dessen, dass sich ein Athlet physisch optimal auf den bevorstehenden Wettkampf vorbereitet hat, kann es zu Selbstzweifeln kommen. Diese entstehen vor allem durch die Anhäufung von Fragen wie “Werde ich wirklich all meine Fähigkeiten und Kraft zeigen können?”, “Bin ich ausreichend vorbereitet?” oder “Kann ich meinen Gegner besiegen?”. Eine Disziplin im Karate-Wettkampf stellt das Jiyu-Kumite dar, welches absoluter Freikampf bedeutet – es sind keine Angriffs- und Abwehrtechniken festgelegt. Diese Disziplin erfordert besonders hohe psychische Stabilität. Der Kampfstil unterscheidet sich von Gegner zu Gegner, von Nation zu Nation. Ein Karateka muss sich innerhalb weniger Sekunden dem jeweiligen Kampfstil anpassen und schnell umdenken können. In den sozialen Netzwerken wird gerade sogar darüber diskutiert, ob aktuell bei der WM verschiedene Karate-Stile von zwei Verbänden aufeinander trafen. Ein Karateka muss also in der Lage sein, mit Gegnern unterschiedlichen Körperbaus, Kampfstils und Verhaltens umzugehen.
Ein weiterer Aspekt ist die häufig diskutierte Startposition. In einem Wettkampf der Disziplin Kata (Kampf gegen imaginären Gegner) ist dieses Problem häufig zu erkennen. Hier kann das Beispiel des deutschen Kata-Teams der Herren genannt werden. Die drei Athleten standen im WM-Finale, bei welchem sie als zweites Team starten mussten und am Ende den fünften Platz erreichten. Hier kann sowohl der Faktor Nervosität als auch der bis dahin nicht vorhandene Vergleich mit den anderen Teams in Betracht gezogen werden. Die Kampfrichter haben bis dahin lediglich ein weiteres Team gesehen, so dass sie noch nicht beurteilen konnten, ob noch ein besseres folgen wird. Der Aspekt der Subjektivität kann an dieser Stelle mit einbezogen werden – Karate ist nun mal keine Sportart, in der Weiten, Zeiten oder Tore zählen. Hinsichtlich Kampfrichterentscheidungen ist vor allem die Ursachenzuschreibung des Athleten nach dem Wettkampf wichtig.
Wie in einigen Videos zu sehen, rückt auch die dominante, vielleicht sogar manchmal überhebliche Körpersprache einiger Athleten in den Vordergrund. Im Karate fällt bestimmtes Verhalten auf der Kampffläche, wie sich vom Gegner wegdrehen oder nachsetzen nach Abpfiff, schnell auf. Zuschauer ordnen dieses Verhalten häufig als respektlos ein, doch ein Athlet, der sich so verhält, kann damit seinen Gegner extrem beeinflussen und ihn durch seine Körpersprache beeindrucken. Häufig entsteht beim Gegner sogar Angst, welche seine Leistung auffallend mindert.
Angst vor Gegnern, Fehlern und Niederlage
Angst ist mehr als nur Aufregung, Nervosität oder Anspannung. Angst wird begleitet von negativen, dysfunktionalen Gedanken, welche die Situation als Bedrohung einordnen. Auch wenn ein Athlet optimistisch in einen Wettkampf geht, kann er nach Bekanntgabe des Gegners ängstlich reagieren, weil er diesen als besser vorbereitet, stärker oder sogar als bedrohlich einschätzt. Der Stresshormonspiegel steigt an und kann sowohl psychische als auch physische Symptome auslösen, wie z.B. Übelkeit oder Furcht vor Misserfolg. Wenn ein Athlet seinen Gegner als sehr stark einschätzt, kann die Angst vor Fehlern steigen, welches den Druck und die Angst vor einer Niederlage wiederum erhöht. Häufig werden Karateka in ihren Techniken und Angriffen vorsichtiger, um Fehler oder sogar Verwarnungen zu vermeiden und können ihre Fähigkeiten nicht abrufen.
Insgesamt ist Karate eine Sportart mit sehr hohen, häufig unbeeinflussbaren psychischen Anforderungen, welche ein Karateka neben dem physischen Training ebenfalls berücksichtigen sollte. Bei der Nachbereitung sollten die aufgeführten Aspekte ebenfalls besprochen und in die Ursachenklärung miteinbezogen werden, so dass die Athleten ihre Fähigkeiten einordnen und den Wettkampf besser reflektieren können.
Weiterführende Literatur:
Boostani, H. B., Boostani, M. A. & Rezaei, A. M. (2013). Sport Psychology in Professional Karate Athletes: give psychological guidelines in order to improve their act in the competitions. Annals of Biological Research, 4 (1), 48-52.
Bouslimi, H. (2007). Das Ausscheidungsverhalten der Katecholamine unter Belastungsbedingungen der Sportart Karate: Eine Feldstudie an Wettkampfsportlern und Breitensportlern mit unterschiedlichen Zielsetzungen. Dissertation, Universität Bielefeld.
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