Christian Hoverath: Weshalb Faris Al-Sultan im Sinne anderer Triathleten zu kurz denkt

Ex-Spitzentriathlet Faris Al-Sultan äußerte sich in der Vorberichterstattung auf Hawaii für die TIME2TRI (https://knowledge.time2tri.me/interviews/interview-faris-al-sultan) äußerst abfällig über die Sportpsychologie. Unter anderem fiel dort die Aussage „Ich bin aber eher der Typ der sagt „wenn du einen Psychodoktor für deine Rübe brauchst, dann hast du im Leistungssport nichts verloren.“ Konträr dazu nimmt allerdings die sportpsychologische Betreuung im Leistungssport zu und findet Einsatz in der Vorbereitung und im ganzjährigen Training. Wie können Triathleten von mentalen Trainingstechniken profitieren? 

Zum Thema: Das Potential der Sportpsychologie im Triathlon

Für welchen Athleten ist es nicht wichtig, über Techniken zur Entspannungsregulation zu verfügen? Unter Stress neigen wir dazu, Dinge negativer zu sehen als sie tatsächlich sind. Sowohl vor dem Start, wenn häufig Nervosität mit im Spiel ist, als auch während des Rennens, wenn unvorhergesehene Ereignisse wie das Überholmanöver eines Konkurrenten eintreten können, ist es demnach nützlich, mit einer kurzen Atementspannung Ruhe in die Situation bringen zu können, um dann mit Übersicht handeln zu können.

Visualisierungen sind ebenfalls eine äußerst nützliche Technik. Aus der psychologischen Forschung wissen wir, dass unser Gehirn keinen Unterschied zwischen tatsächlicher Ausführung einer Bewegung oder dem Erleben einer Situation und der Vorstellung ebendieser macht. Es gibt Studien, die sogar einen Einfluss auf die Kraftentwicklung der Rumpfmuskulatur belegen, selbst wenn wir uns dieses Training nur vorstellen.

Die Schlägerei wird nicht schöner, aber…

Dazu kommt, dass unbekannte Situationen für Unruhe sorgen. Da wir nun aber wissen, dass das Gehirn keinen Unterschied zwischen realem und gedanklichem Erleben einer Situation macht, können wir uns im Vorfeld eine Vielzahl an Situationen vorstellen, die uns im Rennen widerfahren können, sich real allerdings nicht oder nur schwer erleben lassen. Nehmen wir an, unser Athlet liegt gut im Rennen und kann die erhoffte Attacke auf den Führenden gestalten. Er kann sich im Vorfeld schon mit dieser Situation vertraut machen und dann mit viel ausgestrahlter Stärke und entsprechendem Selbstbewusstsein an die Spitze gehen und dem Konkurrenten so entsprechende Signale senden.

Ein solches Ränkespiel muss natürlich nicht zwingend an der Spitze stattfinden, auch in anderen Bereichen sind diese Techniken nützlich. Haben wir uns vorher gedanklich damit auseinander gesetzt, dann bringt uns auch der Platten oder das Überholmanöver des Lieblingskonkurrenten nicht mehr ganz so aus der Fassung. Die Schlägerei beim Schwimmen wird vielleicht nicht schöner, aber die Angst davor nimmt ab, wenn wir uns vorher bewusst machen, wie wir uns in dieser Situation verhalten werden. Diese Vorstellungsübungen sollten allerdings so nah wie möglich an der Realität liegen und möglichst viele Sinne mit einbeziehen.

Schon mal den Gegner per Lasso eingeholt?

Eine weitere Einsatzmöglichkeit ist die Vorstellung von Bildern während des Rennens. So können Sie sich an den nächsten Gegner per Lasso heranziehen oder vom imaginären Teamkollegen schieben lassen und seine Hand im Rücken spüren. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt und alles ist erlaubt, wenn es hilft.

Ein Thema, dass in der sportpsychologischen Arbeit an den Anfang der Saison gehört, ist das Zielsetzungstraining. Es geht darum, sich zu überlegen, was im Saisonverlauf erreicht werden soll? Das ist für den Spitzensportler genauso wichtig wie für den Altersklassenathleten. Grundsätzlich sollten Ziele nicht zu schwer und nicht zu leicht gewählt werden, da sie dann Angst machen oder nicht genügend motivieren.

Andreas Meyer: Wo führen deine Ziele hin?

Das Thema Zielsetzung

Es gibt verschiedene Arten von Zielen. Unterscheiden lassen sich Ergebnisziele, Leistungsziele und Prozessziele. Ergebnisziele orientieren auf, wie der Name schon erahnen lässt, das Ergebnis und beziehen damit auch immer die Leistung des Gegners mit ein („ich möchte bei meinem Hauptwettkampf in die top10“). Leistungsziele hingegen setzen den Maßstab bei einem selbst an und werden damit kontrollierbar („ich laufe die 10km in 45 Minuten“), während Prozessziele beschreiben, wie man die anderen Ziele erreicht („beim schwimmen halte ich mich auf den ersten Metern zurück, um nicht zu viel Energie zu verschwenden“). Insbesondere diese letzte Form der Ziele findet häufig viel zu wenig Beachtung.

Systematisch eingesetzt, sollte sich der Athlet vor der Saison überlegen, welche Ziele er hat und wie er diese erreichen kann („Um meinen ersten Volkstriathlon zu finishen, arbeite ich insbesondere an meinem Schwimmen und suche mir dafür einen Schwimmkurs in der Umgebung,“ oder aber auch: „Ich möchte die Hawaii-Qualifikation erreichen. Dafür muss ich bei meiner Schwimm- und Radleistung in der Lage sein, den Marathon in 3:00-3:05 Stunden zu laufen. Was muss ich dafür tun?“).

Auf dem Weg zu zielführenden Selbstgesprächen finden 

Prozessziele können uns in schwierigen Rennphasen helfen, diese zu durchstehen. Wenn die Schritte schwer werden und die Beine wehtun, kann es hilfreich sein, im Vorfeld Prozessziele für die Laufstrecke zu formulieren. (“Um meine Ziele zu erreichen, laufe ich in sauberer Technik. Ich halte den Kopf oben, nutze den Armschwung und mache lange Schritte“). So formuliert und im Rennen daran gedacht, haben Schmerzen nicht viel Platz in den Gedanken, da wir uns mit etwas anderem beschäftigen. Um sich den gedanklichen Abruf zu erleichtern eignet sich die Technik des Ankerns hervorragend.

Diese Überleitung zu Selbstgesprächen möchte ich nutzen: Ausdauersportler haben tendenziell viel Zeit, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Überlegen Sie doch mal, wie viele Gespräche in Gedanken Sie am Tag führen. Auf einer Langdistanz, auf der ein Windschattenfahrverbot und damit wenig Zeit für Plaudereien herrscht, hat ein Sportler viel Zeit mit sich zu sprechen. Sind Selbstgespräche bei Ihnen eher positiv oder negativ besetzt? Wie viel Einfluss die Sprache darauf hat, lässt sich mit einer einfachen Übung verdeutlichen, für die Sie sich ein paar Minuten Ruhe gönnen sollten. Denken Sie an eine schwierige Situation aus einem Rennen oder an eine, die Sie in naher Zukunft erwarten wird. Nun nehmen Sie sich einen Zettel und schreiben Ihre ersten Gedanken und Gefühle bezogen auf diese Situation auf, wenn Sie folgende Sätze lesen:

Das gefällt mir nicht. Ich möchte nicht in dieser Situation sein. Was mache ich hier?

Es ist schwierig, aber ich kann das schaffen. 

Ich freue mich auf diese Herausforderung. 

Zeit mit sich nutzen!

Wie haben sich Ihre Gedanken und Gefühle in Bezug auf die Situation verändert? Unsere Wahrnehmung einer Situation verändert auch die Gedanken und Gefühle, die wir dieser Situation entgegenbringen.

Georg Potrebitsch: Freundschaftsdienste sind im Triathlon nur Mittel zum Zweck

Im Wettkampf und im Training verbringt man viel Zeit mit sich. Es lohnt sich also, weiter über Selbstgespräche nachzudenken und zu überlegen, wie diese gewinnbringend genutzt werden können. Was sagt der Teufel für gewöhnlich, wenn er auf meiner Schulter auftaucht? Und was würde der Engel ihm entgegnen? Was möchte ich von meinem Engel hören? Wie sämtliche mentale Trainingsformen lässt sich dieser Dialog nicht mit einem Mal erlernen, aber Sie fetten Ihre Kette ja auch nicht nur einmal am Anfang der Saison, oder? Mit zunehmender Übung wird der Engel dann auch immer mehr Gesprächsanteile für sich verbuchen.

Dies ist nur ein Ausschnitt über die Möglichkeiten, die sportpsychologische Techniken dem Triathleten bieten. Für all dies braucht nun wahrlich nicht jeder Sportler einen Sportpsychologen. Viele Athleten wenden eine Vielzahl an Techniken bereits an. Es kann dennoch hilfreich sein, einige Tools mit einem Fachmann zu erarbeiten und so zu schärfen, dass sie im Wettkampf auch einsatzbereit sind.

Abschlussbemerkung zu Faris Al-Sultan

Abschließend möchte ich noch kurz zum eingangs erwähnten Zitat von Faris Al-Sultan Stellung beziehen. Wie auch das physische Training gehört das mentale Training zum Training des modernen Athleten. Die Sportpsychologie versteht sich als Disziplin, die als Ziel vor allem die Steigerung der Leistungsfähigkeit hat. Warum also sollte sich ein moderner Athlet nicht Unterstützung bei einem Psychologen suchen, so wie er vielleicht auch seine Pläne von einem Trainer schreiben lässt?

Dazu kommt, dass Triathlonprofis einem hohen Druck ausgesetzt sind. Der Trainingsaufwand ist enorm hoch und um Preisgelder gewinnen zu können, muss man es nach oben schaffen. Nun ist es so, dass Krisen normal sind und zu einem Leben dazugehören, seien sie nun sportlicher, familiärer oder anderer Natur. Warum sollte es dann verwerflich sein, sich fachmännischen Rat zu holen, um möglichst schnell zu alter Stärke zurückzufinden? Oder um es anders und möglichst nah am Zitat auszudrücken: Hat der Profi, der mit einer Sprunggelenksverletzung zum Orthopäden geht, im Leistungssport auch nichts verloren? Ich arbeite als Psychologe häufig mit Menschen in schwierigen Phasen und bin dankbar, dass ich gemeinsam mit Ihnen Wege dort heraus entwickeln darf.

 

Literatur

Weinberg, R. S., & Gould, D. (2011). Foundations of sport and exercise psychology (5th ed.). Leeds: Human Kinetics.

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Christian Hoverath
Christian Hoverathhttp://www.die-sportpsychologen.de/christian-hoverath/

Sportarten: Fußball, Tennis, Leichtathletik, Schwimmen, Triathlon, Eishockey, Einradsport, Radsport, Klettern, Golf, (Beach-)Volleyball, Feldhockey

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4 Kommentare

  1. Ich möchte mit diesem kurzen Interview von Patrick Lange diesen Artikel einfach unterstützen. Wer der Trainer ist, wissen wir ja. Wie ich finde zeigt dieses Interview wie unglaublich wichtig der Kopf ist. Vielleicht braucht Faris-Al-Sultan einfach umfassendere Einblicke in die Sportpsychologie. In allen anderen Aspekten scheint er ja sensationell gut zu sein. Es würde mich nicht wundern, wenn er sich (vielleicht unbewusst?) einiger Anteile aus der Sportpsychologie bedient. Und das kann, darf und sollte professionalisiert werden. Insbesondere dann, wenn die Gefahr besteht, dass ein Sportler auf Strecke bleiben könnte. Kann man das Thema Psychologie überhaupt aus einem Lebensbereich ausklammern?
    Danke für diesen Artikel und viele Grüße! 🙂

    https://www.zdf.de/sport/zdf-sportextra/zdf-sportextra—triathlon-ironman-wm-interview-lange-100.html

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