Für die-sportpsychologen.de berichtet:
Peter Schneider
Peter Schneider ist ein deutscher Sportpsychologe mit amerikanischen Wurzeln. Er studierte in den USA, Finnland und Deutschland. Im Rahmen seiner Selbstständigkeit arbeitete für Handball- und Fußballvereine in Mitteldeutschland sowie an der Universität Leipzig. Mittlerweile ist er als Sportpsychologe für den Fußball-Regionalligisten FC Carl Zeiss Jena tätig.
Peter Schneider, dein Verein hatte im DFB-Pokal das große Los, gegen den FC Bayern München zu spielen. Für die Spieler war es sicher ein besonderes Erlebnis. Was machte das Spiel für dich als Sportpsychologe anders?
Obwohl ich aus den USA komme, habe ich selbst über 20 Jahre Fußball gespielt. Der FC Bayern war mir seit meiner Kindheit sogar in Detroit bekannt und auch wenn es mir heutzutage ein bisschen wehtut (ich bin leidenschaftlicher Club-Fan – aber das ist eine andere Geschichte!), war mein erstes Mannschaftstrikot vom FCB. Damals war natürlich der Traum, entweder für oder gegen die Bayern auf dem Platz zu stehen! Immerhin: Als ich anfing, Sportpsychologie zu studieren, träumte ich weiter, vielleicht eines Tages neben dem Platz oder in einer anderen Funktion den Bayern gegenüber zu stehen. Dass es so schnell in meiner Karriere in Erfüllung gegangen ist, hatte ich einfach nie gedacht.
Die Vorbereitung auf das Spiel an sich war einerseits völlig normal und andererseits komplett neben der Realität. Stell dir vor, du bereitest die Trainer und Spieler gegen die A-Jugend von Rot-Weiß Erfurt, Hannover 96 oder den FC St. Pauli vor. Du verwendest dann oft Videos aus nicht optimalen Winkeln, musst wegen Namen und Trikotnummern nachschauen und der größte Druck am Spieltag kommt meistens von den Eltern, die ab und zu etwas von der Seitenlinie reinrufen.
So: Jetzt drei Monate vorspulen – du sitzt im Trainerbüro und schaust Supercup, BVB gegen FCB, um einige “Schwächen” in der Verteidigung von den Bayern zu finden. Du brauchst keine Trikotnummer nachschauen. Dass ein französischer Außenbahnspieler namens “Franck Ribéry” extrem gefährlich in 1:1-Situationen ist, ist dir ziemlich bekannt. Oh, und als Letztes kommen 19.000 Zuschauer und Sky Sports, um das Ganze zu beobachten.
Für mich, mein Trainerteam und die Spieler hatten wir nur ein Ziel: “Pleasure before Pressure” (Genuss / Freude vor Druck). Wir wollten natürlich alles für eine Sensation im Ernst-Abbe-Sportfeld tun, wollten unsere Art von Fußball zu spielen bewahren und am Ende des Abends stolz auf unsere Jungs und unsere Stadt sein. Auch mit Blick auf die krasse Aufmerksamkeit und den Zirkus-Halligalli, die mit dem Spiel verbunden waren, denke ich, dass wir genau dieses Ziel getroffen haben. Ich habe jede Sekunde des Tages genossen, habe versucht, so viel wie möglich im Kopf abzuspeichern und von diesem Event zu lernen – vielleicht für das nächste Spiel gegen den FCB!
Mittlerweile, spätestens seit dem 4:0-Heimsieg gegen Union Fürstenwalde seid ihr längst wieder im Regionalliga-Alltag angekommen. Wie sieht ein ganz normaler Tag von dir als Sportpsychologe beim FC Carl Zeiss Jena aus?
Manchmal habe ich im Fußball das Gefühl, es gibt keine “normalen Tage”. Jedoch, es gibt ein paar Routinen, die ich jeden Tag bei der Arbeit absolviere. Ein großer Schwerpunkt unseres Trainerteams ist die Belastungssteuerung. Um die Beanspruchung sowie Erholung unserer Jungs zu erfassen, verwenden wir einen Online-Fragebogen: den Kurzskala-Erholung-Beanspruchung (KEB, Hitzschke et al., 2016). Der KEB wird zweimal in der Woche zum gleichen Zeitpunkt ausgefüllt und ermöglicht uns einen Blick in den momentanen Erholungs- bzw. Beanspruchungszustand der Mannschaft. Die Trainer erhalten nur einen Überblick der kompletten Mannschaft während ich als Sportpsychologe und unser Physiotherapeut individuelle Profile von jedem Spieler bekommen. Falls “Probleme” beim KEB auftauchen sollten, suche ich bzw. der Physiotherapeut ein privates Gespräch mit dem Spieler. Dieser Prozess ist umso wichtiger in der Betreuung von verletzten Spielern und denjenigen, die gerade mit der Rehabilitation fertig geworden sind.
Am Anfang der Woche finden unsere wöchentlichen Meetings statt. In diesen Terminen werden die aktuellen Zwischenstände verschiedener Mannschaften (z.B 1. Mannschaft, U21) ausgetauscht und die Trainingspläne schnell konkretisiert. Danach wird das Spiel mit Video und allen zusätzlichen Daten analysiert und diskutiert. Ich habe während der Analyse drei Aufgaben: meine Einschätzung der Leistung zu teilen, den kompletten Termin zu protokollieren und möglichst viele Fragen zu stellen (Warum war das gut? Wie können wir es verbessern? Haben wir uns in der Wirklichkeit vorgenommen, was wir uns vornehmen wollten?). Eines ist ganz wichtig: Absolut alles aufschreiben und das Protokoll mit einer To-Do Liste an die Teilnehmer des Termins schicken. Zusammengefasst ist es eine Aufgabe von mir, mehr Ideen und Vorschläge vom SAGEN zum MACHEN zu überführen.
Außerdem bin ich, so oft wie möglich bei den Trainingseinheiten sowie bei der Vor- und Nachbesprechung der Einheit dabei. Ich habe jederzeit mein Notizbuch und einen Stift dabei und will vor allem kontinuierlich für Spieler, Trainer und Staff ansprechbar sein. So gut wie ich kann, versuche ich jeden Tag, die übliche Abläufe mit einem objektiven Auge zu betrachten und bei Bedarf zu verbessern.
Die Sportpsychologie wächst in ihrer Bedeutung – im Fußball wie in anderen Sportarten. In welcher Form siehst du Veränderungen bei den jungen Spielern, was die Akzeptanz der sportpsychologischen Arbeit gegenüber betrifft?
Allgemein finde ich, dass vor allem bei jungen Spielern die Sportpsychologie bzw. Sportpsychologen keine Fremdwörter im Fußball mehr sind. Seitdem Nachwuchsleistungszentren mit Sportpsychologen bei der Zertifizierung punkten können, sind sie überall im Einsatz. Allein durch den regelmäßigen Kontakt mit einem gut ausgebildeten und qualifizierten Sportpsychologen gewinnt die Sportpsychologie an Akzeptanz im Fußball. Je mehr von diesen jungen Spielern sich entwickeln und den Sprung in den Männerbereich schaffen, desto größer ist die Akzeptanz bei den Männermannschaften.
Der Weg, um Akzeptanz zu gewinnen bzw. noch zu erhöhen, liegt meiner Meinung nach an drei Faktoren:
1) kontinuierliche Betreuung/Ausbildung der Spieler/Trainer im Nachwuchsbereich nach einem klaren Konzept mit wissenschaftlichen-bewiesenen Methoden,
2) dem sportpsychologischen Fokus auf das gesamten Umfeld im Verein und
3) ein Verständnis, dass Sportpsychologen in die Welt des Fußballs wollen – und nicht unbedingt umgekehrt.
In Jena streben wir allen drei Punkten nach. Mein Vorgänger, Matthias Kleine-Möllhoff (jetzt bei Eintracht Braunschweig) habe ich zu verdanken, dass er die Basis der Sportpsychologie durch seinen positiven Eindruck schon zwei Jahre vor meinem Ankommen gelegt hat. Ich musste damals solche Fragen wie, “was ist die Sportpsychologie?” oder “was machst du denn eigentlich?” nicht mehr beantworten. Darüber hinaus bekam ich ständig Unterstützung von unserem Sportlichen Leiter, der mir geholfen hat, meine Ideen zu konzeptualisieren und über die vergangenen drei Jahren in der Praxis zu überführen. Im Männerbereich bekomme ich mittlerweile die gleiche Unterstützung vom Sportlichen Direktor.
Jedoch ist alles für lau, wenn du als Sportpsychologe den Respekt der Trainer nicht gewinnen kannst. Es ist klar: Vertrauen ist das allerheiligste in unserem Geschäft. Für mich gewinnst du es durch eine Aktion: Marschieren. Komm früh, bleib spät – zeig was du kannst, aber nur wenn nötig. Hilf dem Trainer mit deinem Wissen weiterzukommen und Erfolg zu erleben, ohne Anerkennung zu gebrauchen. Gewinnst du den Respekt, das Vertrauen und die Akzeptanz des Trainers – gewinnst du die der Mannschaft.
Was konkret kann die Sportpsychologie eigentlich leisten, um Spieler und Trainer zu unterstützen?
Sportpsychologen haben einen anderen Blickwinkel und eine andere Denkweise zum Fußball als Spieler und Trainer. Wir beschäftigen uns weniger damit, welche Technik oder welche Taktik erarbeitet wird, sondern mehr mit dem WIE wir Technik beibringen oder WIE wir die Taktik kommunizieren. Außerdem haben Sportpsychologen ein anderen Draht zu den Trainern und Spielern – wir können Fragen stellen, die vielleicht für anderen im Verein tabu wären. Ich scherze in meinem Verein, dass ich das “Schwarze Loch der Information” bin – alles kommt rein aber nichts geht raus! Dieses Konzept ist für einige Trainer und Spieler sehr angenehm – die können jederzeit unter vier Augen alles loswerden und nach Rat fragen, können über Ziele, Familie, Freunde oder Unzufriedenheit quatschen – und werden dafür nie beurteilt. In einem Leben, dass oft stark von der Öffentlichkeit geprägt ist, ist so ein Gefühl von einigen im Verein willkommen.
Ein anderer Punkt ist die Kommunikation. Die Kommunikation zwischen Spielern, Trainern und Staff sollte so klar sein wie möglich. Sportpsychologen kämpfen immer für Klarheit im Verein und zwischen allen, die im Verein arbeiten. Dass heißt nicht, dass jeder Konflikt vermieden werden sollte – oder das der Sportpsychologe die Probleme löst! Sondern eher, dass klare Rollen, Aufgaben und Aussagen herrschen, anstatt Grauzonen, Unklarheiten und Missverständnisse. Die Frage stelle ich oft, “Was ist die Botschaft? Was kommunizierst du mit dieser Aussage oder Aktion?”
Beim FCC bist du als Co-Trainer angestellt. Bei einigen Bundesligisten arbeiten die Sportpsychologen oft im Verborgenen. Wie lange dauert es, bis auch auf allerhöchstem Level offen darüber gesprochen wird, dass Sportpsychologen dazu gehören wie Sportmediziner oder Physiotherapeuten?
Erstens, obwohl ich zum Trainerteam gehöre, sehe ich mich nicht als Co-Trainer beim FCC. Es gibt nur einen Co-Trainer und das ist der Martin Ullmann. Martin, Mark Zimmermann (Cheftrainer), Bernd Lindrath (Torwarttrainer) und ich sitzen zwar zusammen im Büro, aber die Rollenaufgaben jeder einzelnen Person ist uns und den Spielern klar. Dass ich mit auf der Bank während des Spiels sitze, gehört einfach zu unserem Stil als Trainerteam – so hatten wir uns vorher weiterentwickelt und genauso wollen wir uns in der Zusammenarbeit und weiterentwickeln.
Zweitens, das ist eine gute Frage – und auch legitim. Allerdings kann ich selbst nicht beantworten, wann alle Erstligisten zugeben, dass sie mit Sportpsychologen arbeiten – und nebenbei: das machen ja immer noch nicht alle!. Ich glaube, es hängt immer viel mit dem Trainer des Vereins zusammen ab. Hatte er sowie der Sportlicher Leiter schon gute Erfahrungen mit einem Sportpsychologen, dann holt er sich höchstwahrscheinlich einen zur Seite. Allgemein denke ich, dass allein durch die sportpsychologische Weiterbildung der Trainer von UEFA und DFB, wo viel Wert auf die Sportpsychologie gelegt wird, werden wir innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre mehr von der sportpsychologischen Arbeit in der Öffentlichkeit erfahren.
Wie ist es eigentlich zu dem Engagement für den FC Carl Zeiss Jena gekommen?
Ich wohnte vorher in Leipzig und hatte an der SpoWi Fakultät der Universität Leipzig schon 2,5 Jahre gearbeitet. In der Zeit gewann ich Erfahrung in der Praxis bei NHV Concordia Delitzsch Männerhandball, TSG Taucha Frauenhandball sowie durch die Betreuung durch einige Einzelsportler. Dann. durch einen Kontakt bei RB Leipzig bekam ich ein Interview dort hinsichtlich eine´s Job als Sportpsychologe für das NLZ. Den Job bekam ein anderer – aber ich lernte viel aus dem Gespräch und suchte dann andere Gespräche bei verschiedenen NLZs in der Region aus.
Den Kontakt zum FCC bekam ich durch den schon genannten Matthias Kleine-Möllhof, der genau zu der Zeit nach Braunschweig gegangen ist. Ich bin nach Jena gefahren, habe mich mit dem sportlichen Leiter sowie dem Leiter des NLZ getroffen und fing schon im nächsten Monat an. Zu dem Zeitpunkt begann meine Zusammenarbeit mit verschiedenen Nachwuchstrainern, unter anderem dem damaligen U19 Trainer Mark Zimmermann. Nach 2,5 Jahren zusammen im Nachwuchs wurde Mark zur 1. Mannschaft hochgezogen und er fragte mich, ob ich Interesse hätte, mit bei den Männern zu arbeiten.
Kannst du von dem Engagement in der Regionalliga eigentlich leben oder betreust du noch andere Athleten oder Freizeitsportler?
Ich betreue zur Zeit keine andere Athleten weil mir einfach die Zeit fehlt. Ich bin nicht nur mit einer Mannschaft unterwegs – sondern ich betreue auch die U21 und vier Praktikantinnen und Praktikanten von der Universität Halle, die überragende Arbeit in unserer Nachwuchsabteilung leisten. Ich bin sehr froh, dass der Verein davon überzeugt ist, nicht nur in junge Fußballer zu investieren sondern auch in junge Studenten, die ihre Fertigkeiten bei uns entwickeln dürfen. Der Verein profitiert von deren Engagement, die Studentinnen/en aus der Erfahrung und ich aus der Betreuung.
In der Regionalliga gehört ihr zur Spitzengruppe. Die Erwartungshaltung der Fans und in der Stadt ist riesig – aber letztlich würdet ihr noch nicht einmal als Staffelsieger direkt aufsteigen, da ihr erst noch Playoff-Spiele gewinnen müsstest. Wie wirkt sich eine solche Situation sportpsychologisch auf die Betreuung der Mannschaft aus? Und was könnt ihr diesbezüglich vom FC Bayern München lernen?
Spitzengruppe ist schon ein Kompliment! Wobei wir brauchen und wollen kein Label – auch wenn die erste fünf Spiele für uns gut gelaufen sind. Du hast auch Recht, die Erwartungshaltung der Fans ist natürlich groß bei einem Traditionsverein wie dem FCC – aber genauso macht es mehr Spaß! Eine große Erwartungshaltung bedeutet gleichzeitig, dass man in Jena um etwas Größeres spielt. Das Kribbeln im Bauch ist nur ein Zeichen, dass der Körper angespannt und fertig für die Schlacht ist – und dieses Gefühl wollen wir in jedem Spiel anerkennen und genießen.
Wenn es dazu kommen sollte, dass wir am Ende der Saison in der Relegation spielen dürften, dann muss die Mannschaft aus der kompletten Saison Erfahrungen mitnehmen, um sich am Ende durchzusetzten. Mit anderen Worten: Die Betreuung für die Relegationsspiele findet nicht am Ende der Saison statt, sondern ist ein Prozess, der am Tag 1 anfangen hat. Die Ziele, Werte, Mentalität, die uns bis dorthin gebracht haben, müssen genauso in den Playoff-Spielen angewendet werden. Allerdings müssen wir erst dorthin kommen – und das ist weit, weit weg!
Wenn wir eine Sache vom Spiel gegen FCB mitnehmen könnten, wäre es für mich wie die Bayern mit Demut und Bescheidenheit auftreten. Solche Worte verbindet man vielleicht selten mit Profi-Fußballern aber schau das Spiel gegen uns noch einmal an. Sogar beim Stand von 3:0 sind die Bayern nach jedem Ballverlust nach hinten marschiert und haben streng verteidigt – keiner ist so gut, dass er immer vorn stehen bleiben darf. Darüber hinaus spielen sie unkomplizierten Fußball. Dass ein Qualitätsunterschied auf dem Platz war, ist nicht zu diskutieren. Jedoch spielt jeder beim FCB mit zwei Kontakten, Mann zu Mann bis sie vor dem gegnerischen Strafraum stehen. Selbstverständlich könnten sie öfter mit einem Kontakt spielen – die Fähigkeit haben sie. Aber nur weil sie es auf Grundlage ihrer individuellen Fähigkeiten könnten, heißt es nicht, dass sie es müssen – effektiver und einfacher Fußball steht oben in der Prioritätsliste der Bayern! Die zwei Bespiele sind für mich ein Zeichen von einer Mentalität, die wir brauchen, um kontinuierlichen und langfristigen Erfolg zu haben.
Fotos: FC Carl Zeiss Jena, Peter Poser
Dieser Text ist Teil des Schwerpunkts “Rio 2016 und was nun?” – alle weiteren Texte finden Sie hier:
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