In meinem Studienjahr 1994 an der University of Utah führte mich meine Mentorin Prof. Evelyn Hall in die Praxis der nordamerikanischen Sportpsychologie ein. Einer ihrer Leitsätze, der mich heute noch begleitet, war: „What is at stake“? Was steht auf dem Spiel? – so lautet auch die Gretchenfrage, die Carolina-Spieler Thomas Davis für sich beantworten will. Super Bowl 50, das ist wahrscheinlich das grösste Einzelsportereignis weltweit! Dieses sorgt in den nordamerikanischen Medien für Rekord-Einschaltquoten und gilt gemeinhin als Ort, wo US-Legenden begründet werden. Aus Sicht des 32-jährigen Linebackers ist es DAS bisherige Karriere-Highlight, welches zudem in den „Indian Summer“ seiner sportlichen Karriere fällt – «once in a lifetime», wird er sich vielleicht sagen! Der erlittene Armbruch, die notwenige Operation sowie eine massive Behinderung durch verordnete Schonung und postoperative Schmerzen gefährden seine Finalteilnahme. Falsch! Aus Sicht eines Football-Spielers geht es hier nicht um irgendein Endspiel, sondern um die Realisierung seines sportlichen Traums! Gewinn der Super-Bowl 50! Auf diesen einzigartigen Moment hat er elf NFL-Saisons lang hingearbeitet!
Zum Thema: Warum Thomas Davis beim Super Bowl 50 mit dabei sein sollte
Wäre ich der Sportpsychologe von Davis, ich würde aktuell folgende Aufgabe an den Sportler richten: „Thomas, stell dir mal folgende Situation vor: Jahr 2020 – du bist zurückgetreten aus dem Spitzensport – retired eben – und schaust auf deine Karriere zurück. Was würdest du gerne berichten über jene Zeit, damals zum Karrierehöhepunkt am Super Bowl 50? Wieviel wird es dir dann bedeuten, sagen zu können: ich habe das bestmögliche versucht, um diese Phase erfolgreich zum bewältigen…?“ Genau diese Frage stellte ich damals Eiskunstläuferin Sarah Meier, als sie sich, geplagt von Verletzungen, Schmerzen und Zweifeln, entschied, die Heim-EM 2011 trotz grösster Widrigkeiten motiviert in Angriff zu nehmen. Wenige Wochen später trat sie als Europameisterin von der sportlichen Bühne ab. Entscheidend für diesen Erfolg war ihre innere Haltung. Im Zitat von Davis’ Trainer meine ich genau diesen «spirit», diese grundlegende Überzeugung des Spielers zu erkennen: „It’s reflected in his attitude and his willingness to everything he can to get on the practice field and prepare to play on Sunday Bowl. I know Thomas, and if he says he’s going to do it, I believe he will.“
Ist diese Grundlage gesichert, bieten sich mindestens fünf sportpsychologisch relevante Betätigungsfelder, in denen sich der Sportler – wenn möglich unter Anleitung von Trainer und/oder Sportpsychologe – spezifisch auf seinen Karrierehöhepunkt vorbereiten kann.
Ressource Erfahrung, Alter des Athleten
Wie bekannt wurde, hat Davis in seiner langen Karriere bereits dreimal eine schwerwiegende Kreuzbandverletzung überwunden und ist immer wieder erfolgreich ins Wettkampfgeschehen zurückgekehrt. Abfahrer Beat Feuz ist im Schweizer Skisrennsport ein weiteres Beispiel für jene Gruppe herausragender Sportler, welche derartige Rückschläge mit mentaler Stärke und Erfahrung parieren. Feuz’ ehemaliger Trainer Sepp Brunner meint den auch zu den besonderen Fähigkeiten seines Athleten: „Eben: den Kopf. Ich kenne niemanden, der mit dieser Verletzungsgeschichte so schnell wieder dort wäre, wo Beat jetzt ist. In diesen Punkten ist er der Beste der Welt.“
Mentales Training: Visualisieren und kognitives Funktionstraining
Fallen für den Verletzten Trainingseinheiten aus, können diese wiederum genutzt werden, um gezielt im mentalen Bereich zu arbeiten. Hier sind zwei Trainingsschwerpunkte speziell zu gewichten. Das Vorstellungstraining, die Vergegenwärtigung wichtiger Spielzüge und Handlungsabläufe, die im American Football sehr systematisch ablaufen. Gerade in der wichtigen Defensiv-Rolle des Linebackers sind Antizipation und Reaktionsschnelligkeit Schlüsselelemente. Davis’ wuchtige „Tackles“ und „Sacks“ müssen auch im Kopf sitzen und funktionieren!
Optimale psychophysische Regeneration/Ergänzungstraining
In der Vorbereitung auf ein Finale steigt die Anspannung kontinuierlich an, auch der mediale Druck und die Erwartungshaltung in der Öffentlichkeit steigen an und beeinflussen das Verhalten der Athleten. Wichtig – auch für den Kopf – ist die sorgfältige Dosierung der Belastung und Optimierung der technisch-taktischen Arbeit. Dem rekonvalszenten Athleten bietet sich hier die Gelegenheit der Leistungssteigerung über ein entsprechendes Regenerationstraining in Verbindung mit psychophysiologischem Entspannungstraining (Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation u.a.m)
Umgang mit Schmerzen
Ahtleten vom Kaliber Davis’ kennen körperlichen Schmerz und den Umgang damit. Es gehört wohl auch zum Selbstverständnis eines NFL-Defensivspielers, dass „ihr“ Spiel ein körperlich hartes Spiel sein muss. Trotzdem ist der Schmerz auch für diese „Brocken“ ein Warnsignal, dem nicht ausschliesslich mit medikamentösen Mitteln begegnet werden darf. Vermehrt Beachtung im Kontext des Sports sollten auch hypnotherapeutischen Verfahren finden (vgl. Peter, 2009) die mit Einsatz von Suggestion, Imagination und Aufmerksamkeitsablenkung auf Schmerzlinderung abzielen.
Role Model
Allein die Tatsache, dass Davis in all seinen mittlerweile elf NFL-Profi-Jahren für die Carolina Panthers gespielt hat, macht ihn zu einem Schlüsselspieler – seine Verletzung auch zu einem Thema der ganzen Mannschaft und seine positive Genesung zum Synomym mentaler Stärke des gesamten Teams.
“I was devastated for him at the time”, Carolina defensiv tackle Dwan Edwards said. “The guy has been through a lot and is the heart and soul of our team. He`s our emotional leader, our playmaker on the field.”
Denverpost.com
Bleibt abzuwarten, ob Linebacker Thomas Davis im Super Bowl 50 tatsächlich auflaufen und spielen wird. Aus Sicht der angewandten Sportpsychologie und mit Berücksichtigung der oben erwähnten Diskussionpunkte wäre es ihm zu gönnen! Der Spieler äusserst sich im Interview zu seinem erfolgreichen Comeback überzeugt: “Ain’t nothing going to stop me from playing the game!” Teamkollege Kawann Short ergänzt dazu vielsagend: „Man muss ihm schon alle Trikots wegnehmen, damit er nicht aufläuft. Auch die, die bei ihm zu Hause hängen.“
Allgemeiner Hinweis:
Auszug aus dem Leitartikel “Pro und Contra: Super Bowl trotz Armbruch – Darf die Sportpsychologie Athleten wie Thomas Davis helfen?“: es nicht die Aufgabe der Angewandten Sportpsychologie darüber zu richten, welche Entscheidung der Athlet zu fällen hat. Stattdessen will sie als Dienstleister dem mündigen Athleten und seinem Trainer ein breites Argumentarium für eine selbständige und selbstverantwortliche Lösungsfindung anbieten. Die pointierten Stellungnahmen der beiden Sportpsychologen Hanspeter Gubelmann (“Pro Thomas Davis“) und Philippe Müller (“Contra Thomas Davis“) zielen deshalb nicht darauf ab zu klären, welche der beiden Positionen richtig oder falsch ist. Vielmehr soll aus dem Kontrast der Argumentationen die Idee einer nach den spezifischen Umständen gewichteten «passenden Lösung» sichtbar werden!
Quellen:
Peter, B. (2009). Mehr als blosses Wegsuggerieren. Methoden und Potenziale der Hypnose in der psychotherapeutischen Schmerzbehandlung. Psychoscope 4/30, S.4-9.
http://www.tagesanzeiger.ch/sport/wintersport/da-ist-er-der-beste-der-welt/story/13754098
http://www.denverpost.com/broncos/ci_29462387/panthers-thomas-davis-play-broken-arm-broncos-know
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[…] abgehandelt. Die Sportpsychologie liefert zahlreiche Möglichkeiten für solche Situation (siehe “Pro Thomas Davis”). Ob die zur Verfügung stehende Zeit jedoch dazu reicht, darf angezweifelt werden. Ein […]
[…] einen wissenschaftlichen Schlagabtausch. Während der erfahrene Gubelmann in seinem Beitrag “Pro Thomas Davis“ die Position vertritt, dass der Athlet bei einer entsprechenden sportmedizinischen Freigabe […]