Im sportlichen Wettkampf zählt oft nichts mehr als das Ergebnis. Begeisternde Vorrundensiege, eine makellose Vorkampf-Bilanz oder temporäre Siegesserien sind sportartenübergreifend Makulatur, wenn in den entscheidenden Situationen versagt wird. Viele Sportler haben damit Probleme, große Probleme. Christian Reinhardt von die-sportpsychologen.de unternimmt einen Ausflug in eine Randregion der Sportwelt, um an Hand der weltweit boomenden Kampfsportart Mixed Martial Arts (Gemischte Kampfkünste) dieses Phänomen zu erklären.
Für die-sportpsychologen.de berichtet Christian Reinhardt:
Druck verändert die psychischen Leistungsvoraussetzungen
Das Mixed Martial Arts Großereignis im Juni, die Ultimate Fighting Championship 174 im kanadischen Vancouver, stand im Zeichen der psychischen Beanspruchung der Athleten. Andrei Arlovski gab zu, dass bei seinem ersten UFC Auftritt seit 2008 seine Arme und Beine auf dem Weg zum Oktagon und auch während der ersten Runde heftig gezittert haben. Sein Gegner Brendan Schaub schien nicht weniger nervös. Das Publikum quittierte den entsprechend gehemmten Kampf mit Buh-Rufen.
Schlimmer erging es Tyron Woodley, der in seinem Kampf gegen Rory Macdonald wie paralysiert wirkte. Wie zur Bestätigung wurde der einstige Ausnahme-Ringer dann sogar von seinem Gegner zu Boden ‚gerungen‘. UFC Präsident Dana White urteilte, dass Woodley in diesem wichtigen Kampf unter Druck versagt und vielleicht nicht das Zeug für die UFC habe.
“HE GOT BEAT MENTALLY. HE GOT BEAT PHYSICALLY. TYRON’S GOT A WAYS TO GO. HE SEEMS LIKE HE CHOKES IN THE BIG FIGHTS.”
DANA WHITE, UFC PRÄSIDENT
Tatsächlich zeigt sich ein Muster, wenn man Woodleys Karriere (15 Siege, 3 Niederlagen) genauer betrachtet. Seine einzigen Niederlagen erlitt er jeweils in entscheidenden Kämpfen und auf ähnliche Art und Weise: Er verlor den Strikeforce-Titelkampf gegen Nate Marquardt, nachdem er trotz eines guten Starts immer passiver wurde. In der UFC unterlag er bei einem richtungsweisenden Kampf Jake Shields, wobei er teilweise „fast apathisch wirkte“ (Lawson, 2014). Der zurückliegende Kampf gegen Rory MacDonald sollte Woodley nach eigener Aussage in die Position des Titelanwärters bringen. Der Ausgang ist bekannt.
Was ist nun mit Tyron Woodley passiert? Das Versagen unter Druck (engl. Choking under pressure; Baumeister & Showers, 1986) ist keine seltene Erscheinung und bedeutet, dass ein Athlet seine Leistung plötzlich nicht mehr abrufen kann, da sich unter wahrgenommenem Druck die psychischen Leistungsvoraussetzungen ändern, beispielsweise das Angstniveau steigt. Insbesondere die subjektiv empfundene Wichtigkeit des Wettbewerbs spielt dabei eine Rolle. Grundsätzlich gibt es zwei Erklärungsmodelle für dieses Phänomen:
Das erste Modell geht von einem Anstieg der Selbstaufmerksamkeit aus. Der empfundene Druck führt zu einer gesteigerten Angst zu Versagen, was wiederum eine erhöhte Selbstaufmerksamkeit zur Folge hat. Dies bewirkt, dass automatisierte Bewegungen nicht mehr reibungslos ausgeführt werden, sondern die Kämpfer plötzlich bewusst darauf achten, wie ihre Bewegung (eigentlich) ablaufen sollen. Dies kann zu einer „Paralyse durch Analyse“ (Beilock, 2011) führen.
Das zweite Modell basiert auf der Ablenkung der Kämpfer aufgrund des empfundenen Drucks. Die Aufmerksamkeit wird dabei auf irrelevante Hinweisreize und auf leistungsabträgliche Gedanken, wie beispielsweise die Angst zu versagen, Gedanken an zurückliegende Misserfolge in vergleichbaren Situationen, Selbstzweifel oder aber auch vorzeitige Sieggedanken und Gedanken an den nachfolgenden Wettkampf gelenkt. Diese Ablenkung führt dazu, dass ein Sportler sich nicht mehr optimal auf die Bewegung konzentrieren kann. Die Auswirkungen sind in einer Sportart, die extreme koordinative und konzentrative Anforderungen mit sich bringt, wie die MMA, entsprechend gravierend.
Was kann man gegen das Versagen unter Druck tun?
Grundsätzlich ist es für den betroffenen Sportler wichtig zu wissen, dass die auslösenden Gedanken beeinflusst und die Stressreaktion damit abgemildert oder ganz vermieden werden kann. Abhängig davon, welches der beiden Erklärungsmodelle überwiegt, gibt es unterschiedliche Methoden, diesem Erleben zu begegnen.
Ist der Leistungsabfall auf eine erhöhte Selbstaufmerksamkeit zurückzuführen und die normalerweise automatisierten Bewegung funktionieren plötzlich nicht mehr, weil sich der Athlet zu bewusst auf ihre Ausführung konzentriert, liegt der Schlüssel in der (Wieder-) Erlangung der kognitiven Kontrolle. Hier ist zum einen das Training von Drucksituationen* wichtig, beispielsweise durch die Simulation von kritischen Situationen, die Verknüpfung mit Konsequenzen, das Einbinden von stressauslösenden Reizen etc. Zum anderen sollten die Kämpfer lernen, eine Kurzentspannung, eine Atementspannung oder eine Entspannungsroutine in den Rundenpausen anwenden zu können (sehr gut bei Halbschwergewichtschampion Jon Jones zu beobachten). Diese Kurzentspannungen sollten dann auch in Drucksituationen im Training oder bspw. als Zuschauer (möglichst nah am Ring) geübt werden. Darüber hinaus sind positiveund handlungsrelevante Selbstinstruktionen hilfreich. Durch diese Maßnahmen bauen wir uns auf und es bleibt kein Raum mehr für leistungsabträgliche Gedanken. Die Situation bleibt somit in der Kontrolle des Athleten.
Wenn Sie mit dem Auto Hindernisse umfahren müssen schauen Sie im Optimalfall dahin, wo Sie hinfahren wollen und nicht auf das Hindernis. Ähnlich ist es im Ring. Die Aufmerksamkeit sollte auf das gerichtet werden, was mir hilft die Aufgabe zu bewältigen und nicht das (mentale) Hindernis.
Für den Fall, dass die Aufmerksamkeitsablenkung hauptsächlich für den Leistungsabfall verantwortlich ist, kommt der Anwendung von Routinen eine Schlüsselrolle zu. Sie vermitteln dem Kämpfer ein Gefühl von Sicherheit und führen dazu, dass derDruck weniger stark empfunden wird und die Aufmerksamkeit (routinemäßig) auf die aufgabenrelevanten Reize gelenkt wird. Diese Routinen können sowohl vor dem Kampf als auch in den Pausen durchgeführt werden und sollten unbedingt mit den Trainern bzw. dem Team erarbeitet werden, das tatsächlich am beziehungsweise im Ring sein wird.
Gleichzeitig ist es sinnvoll, sich mit den ablenkenden Gedanken und reizen zu befassen. Welche Gedanken haben mich abgelenkt? Gab es vielleicht auch Gedanken, die mir geholfen haben? So lässt sich letztlich das Zulassen von vornehmlich hilfreichen und handlungsleitende Gedanken trainieren. Der Athlet muss sich bewusst sein, dass er die Möglichkeiten hat, die Situation zu kontrollieren und erfolgreich zu meistern.
Fazit
Ein Leistungsabfall unter Druck kann – in unterschiedlich starker Ausprägung – jedem Sportler wiederfahren. In einigen Sportarten, insbesondere in den gemischten Kampfkünsten, ist dies eine bekannte Erscheinung. Entscheidend ist, sich darauf vorzubereiten um die Wahrscheinlichkeit eines Auftretens zu verringern und sich vor allem während des Kampfes wieder fangen zu können. Ein gutes Beispiel dafür ist Woodleys Gegner, Rory Macdonald. Dieser wurde nach eigenen Angaben bei seiner ersten Niederlage (gegen Carlos Condit bei UFC 115) während des Kampfes durch das Publikum so abgelenkt, dass er nicht mehr aufmerksam genug war und kurz vor dem Ende den Kampf noch verlor. Nachdem er intensiv an diesem Problem arbeitete, berichtete er nach dem Kampf gegen Woodley, dass er so fokussiert war, dass er das Publikum kaum wahrnahm (siehe Video).
Dana White liegt also richtig, wenn er sagt, dass Tyron Woodley unter Druck versagt hat. Er liegt allerdings falsch, wenn er daraus ableitet, dass ein Sportler deshalb nicht das Zeug zum Spitzenathleten hat.
*Das Training von Drucksituationen im Kampfsport ist aus sportpsychologischer Perspektive eine so wichtige und komplexe Komponente der Trainingsarbeit, das diese hier zu einem späteren Zeitpunkt ausführlicher beschrieben wird.
Literaturverzeichnis
Baumeister, R. &. (1986). A review of paradoxical performance effects: choking under pressure in sports and mental tests. Journal of Social Psychology, S. 361-383.
Beilock, S. (2011). Choke: What the Secrets of the Brain Reveal About Getting It Right When You Have To. New York: Free Press.Absatz
Lawson, N. (16. 06 2014). Bleacherreport. Von http://bleacherreport.com/articles/2098539-dana-white-tyron-woodley-seems-like-he-chokes-in-big-fights abgerufen
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