„Das Ticket kam einfach nicht mit der Post“, erinnert sich Stephan Neigenfink. Der Kicker des Fußball-Fünftligisten VfL Halle 96 wollte sich in der vergangenen Sommerpause seinen Traum vom Start einer Profi-Karriere erfüllen. Ein Klub aus Griechenland hatte Interesse angemeldet, das Probetraining verlief top und Verein, Spieler und Berater waren sich einig. Scheinbar. Bis dem ambitionierten Mittelfeldspieler, der schon groß Abschied gefeiert hatte, bewusst wurde, dass kein Brief mit Flugticket mehr kommen würde. Der Deal war geplatzt. Warum, weiß er bis heute nicht.
Für die-sportpsychologen.de berichtet:
Elvina Abdullaeva
Fast jeder Junge hat den Traum, Profifußballer zu werden. Dieser schien sich bei Stephan Neigenfink vom VfL Halle 96 zu bewahrheiten. Der 22-jährige Spieler trainierte dafür jahrelang hart und fleißig und wartete so auf seine Chance, die sich im Sommer 2013 in Form eines konkreten Angebots tatsächlich ergab. Körperlich auf das südeuropäische Klima gut vorbereitet und mit gepackten Koffern musste er erfahren, dass der Transfer in letzter Sekunde nicht zustande kommen sollte. Aus für ihn bis heute nicht bekannten Gründen. „Ich fühlte mich so, als ob ich in ein Loch gefallen wäre“, hat der Spieler zugegeben. „Täglich suchte ich nach Gründen des Scheiterns. Meine kreisenden Gedanken um den geplatzten Transfer ließen mich an meinen eigenen Fähigkeiten zweifeln. Mein jedoch größtes Problem bestand darin, nicht zu wissen, wie es mit mir persönlich und vor allem fußballerisch weiter gehen sollte“.
Enttäuschung, Niedergeschlagenheit und Angst vor dem Ungewissen – so ist die typische aber auch ganz normale Reaktion eines Menschen auf unerwartete negative Lebensereignisse. Im Sport kann das beispielweise ein großer sportlicher Misserfolg oder eine schwere körperliche Verletzung sein. In diesem Fall braucht der Athlet eine gewisse Zeit, um so einen Vorfall emotional zu verarbeiten und eine Klarheit über die nächsten Schritte im Sport und im Leben allgemein zu finden. Wenn er aber mit seinen Gedanken zu lange in diesem frustrierten und verunsicherten Zustand bleibt, kann sich dies auf seine sportlichen Leistungen negativ auswirken.
So war es auch im Fall von Stephan Neigenfink, der sich nach dem geplatzten Wechsel entschied, wieder bei seinem alten Verein in der fünften Liga zu spielen. Doch in der neuen Saison konnte er sehr lange sein Können auf dem Platz nicht mehr 100-prozentig abrufen. Wegen des plötzlich entstandenen Zweifels an seinen eigenen fußballerischen Fähigkeiten gelang es ihm nicht mehr, so gefährlich wie früher zu agieren. Schlechte Leistungen haben wiederum den Mangel an seinem Selbstbewusstsein nur weiter verstärkt. Das ist ein Teufelskreis, der für das Selbstvertrauen frappierend ist. „Aktionen, die nicht gut waren, haben dazu geführt noch ängstlicher zu spielen, weil ich gedanklich zu oft und viel zu lang an längst vergangenen schlechten Handlungen hängen geblieben bin. Fußball funktioniert nur mit Selbstvertrauen, damals war ich ein Spieler ohne den Glauben an mich selbst. Ich sah keine Lösung“. So kam er zur Idee sich sportpsychologisch beraten zu lassen, um sich aus diesem Loch wieder herauszuholen.
Das Drehbuch – die entscheidende Lösung
Das Anliegen des Spielers war ganz klar: Er wollte sein Selbstvertrauen wieder gewinnen. Das könnte er durch erfolgreiches Spiel wieder aufbauen. Dazu müsste Stephan Neigenfink aber erst aus der Spirale der negativen Gedanken herausfinden. In der Sportpsychologie gibt es mehrere Möglichkeiten, die dem Sportler helfen, mit negativen Gedanken umzugehen. Dabei ist es wichtig, die Umstände zu berücksichtigen. Auf dem Platz müssen Spieler schnell agieren und es bleibt keine Zeit, eigene dysfunktionale Kognitionen zu registrieren und in positive umzuwandeln. Deswegen haben wir uns dafür entschieden, die negativen Gedanken durch zuversichtliche Handlung zu steuern. Dies bezieht sich auf Embodiment (Storch et. al. 2006), eine wissenschaftlich bewiesene These zur Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche. Mit anderen Worten heißt das, dass einige zuversichtliche Körperzustände und Handlungen zu einer besseren Stimmungslage und Steigerung des Selbstbewusstseins führen können. Basierend darauf wurde Stephan gebeten, sich an seine besten Spiele zu erinnern. Durch Erinnerungen an erfolgreiche Spiele, sein Verhalten und seine Körpersprache aus vergangenen Zeiten wurden ganz präzise Handlungsanweisungen seines selbstbewussten Spiels zusammengestellt. Daraufhin erstellte er sich eine Liste mit seinen persönlichen Handlungszielen. Ein Ziel beispielsweise war, torgefährlich Fußball zu spielen. Dies bedeutete für ihn, in einem Spiel so oft wie möglich torgefährlich zu werden. Ihm blieb daraus resultierend nur eine sehr präzise Aufgabe: In jedem Spiel unabhängig von misslungenen Aktionen die Rolle eines selbstbewussten Fußballers zu spielen (sieh. «Reset-Technik», Beckmann et. al. 2011). Dies ist vergleichbar mit der Rolle eines Schauspielers in einem Film. Seine selbst erarbeiteten Anweisungen stellen dabei eine Art von Szenario dar, so wie in einem Drehbuch. Die haben ihm ganz genau erklärt, wie er sich auf dem Platz benehmen sollte und zusätzlich dabei geholfen sich von den schlechten Aktionen nicht ablenken zu lassen.
Und es hat funktioniert. Schon nach ein paar Trainingseinheiten und Testspielen hat Stephan zugegeben, dass er jetzt auf dem Platz an nichts anderes außer an seine fußballerischen Aufgaben denkt. Eine regelmäßige Ausübung dieser Technik hat ihn dazu gebracht, dass er seine guten Leistungen wieder zeigen konnte. Diese Technik hat Stephan geholfen aus seinem negativen Gedankenkreis auszubrechen und sein Selbstvertrauen wieder zu gewinnen. Auch seine persönlichen Erfolgserlebnisse (Tore), positive Rückmeldung des Trainerstabs und der Mannschaft haben nicht lange auf sich warten lassen.
Der Spieler selbst bewertet diese Zusammenarbeit als sehr wirkungsvoll. Das spiegelt sich in der Nachhaltigkeit sowie in der Stabilität seiner Leistung wieder: „Durch mein eigenes Drehbuch im Zusammenhang mit neu gewonnenen Erfahrungen entstand wieder Selbstvertrauen und der Glaube an mich selbst. Diese Erkenntnisse haben meinen Ehrgeiz größer werden lassen. So komisch es auch klingen mag, nun kann ich härter und fleißiger trainieren, so dass ich diesen Weg definitiv genau so weiter gehen werde.“
Literatur
Beckmann J., Elbe A.-M. (2011). Praxis der Sportpsychologie.Mentales Training im Wettkampf- und Leistungssport. Aufl. (2),Balingen: Spitta
Storch, M., Cantieni, B., Hüther, G. Tschacher, W. (2006). Embodiment. Die Wechselwirkung von Körper und Psyche versehen und nutzen. Bern: Huber
Foto
Stephan Neigenfink (Quelle: Fupa.net, Thomas Rinke)
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